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Lind Taglien war eine kleine dunkelhaarige Frau; ihr Kleid war mit wunderschönen Stickereien verziert. Sie war ihm immer wie ein Monument dessen erschienen, was die Schwarze Burg sein konnte. Zivilisiert. Gebildet. Wichtig.

Die Männer machten ihr Platz; sie hüteten sich, in ihrer Schenke Getränke zu verschütten oder Streit anzufangen. Kein kluger Mann wollte sich Linds Zorn aussetzen. Es war gut, dass sie die Zügel so straff hielt. In einer Stadt voller Machtlenker konnte ein schlichter Wirtshausstreit ausgesprochen schlimme Folgen haben.

»Beunruhigt Euch das so sehr, wie es mich beunruhigt?«, fragte Lind leise, als sie ihn erreicht hatte. »War nicht er es, der noch vor wenigen Wochen darüber sprach, dass man Taim für einige seiner Taten vor Gericht stellen und hinrichten sollte?«

Androl antwortete nicht. Was sollte er sagen? Dass er den Verdacht hegte, dass der Mann, den sie als Welyn gekannt hatten, tot war? Dass die ganze Schwarze Burg bald nur noch von diesen Ungeheuern mit den falschen Augen, dem falschen Lächeln und toten Seelen bevölkert sein würde?

»Ich glaube ihm nicht, was er über Logain sagte«, bemerkte Lind. »Hier geht etwas vor, Androl. Ich werde Frask bitten, ihm heute Nacht zu folgen, wollen wir doch einmal sehen, wo er …«

»Nein«, sagte Androl. »Nein. Macht das nicht.« Frask war ihr Mann, den man im Schwarzen Turm eingestellt hatte, um Henre Haslin beim Fechtunterricht zu unterstützen. Taim war der Ansicht, dass ein Asha’man kein Schwert brauchte, aber der Lord Drache hatte darauf bestanden, dass man den Männern den Schwertkampf beibrachte.

Sie kniff die Augen zusammen. »Ihr wollt doch nicht sagen, dass Ihr glaubt …«

»Lind, ich sage, dass wir im Augenblick in großer Gefahr schweben, und ich will nicht, dass Frask das noch schlimmer macht. Tut mir einen Gefallen. Merkt Euch, was Welyn heute noch zu sagen hat. Vielleicht nützt mir ja noch etwas davon.«

»Also gut«, sagte sie. Aber es klang skeptisch.

Androl nickte Nalaam und Canler zu, die aufstanden und zu ihm kamen. Regen prasselte auf das Dach und die Veranda. Welyn redete ununterbrochen weiter, und die Männer hörten zu. Ja, es war unglaublich, dass er seine Einstellung so schnell geändert hatte, und das würde einige mit Misstrauen erfüllen. Aber viele Leute respektierten ihn, und man musste ihn schon gut kennen, um zu bemerken, dass er sich nur um eine winzige Spur verändert hatte.

»Lind«, sagte Androl, als sie sich abwandte.

Sie schaute zu ihm zurück.

»Ihr … schließt den Laden später gut ab. Dann solltet Ihr und Frask mit ein paar Vorräten in den Keller gehen, ja? Habt ihr eine stabile Kellertür?«

»Ja«, sagte sie. »Was auch immer das nutzen wird.« Falls jemand mit der Einen Macht kam, spielte es nicht die geringste Rolle, wie stark eine Tür war.

Nalaam und Canler gesellten sich zu ihm, und Androl wollte gehen, rannte aber direkt in einen Mann, der hinter ihm in der Tür stand und dessen Eintreten er nicht bemerkt hatte. Regen tropfte von seinem Asha’man-Mantel mit Schwert und Drachen auf dem hohen Kragen. Atal Mishraile war von Anfang an Taims Mann gewesen. Ihm fehlte dieser leere Blick; er war von Natur aus bösartig. Er hatte langes blondes Haar und war von hohem Wuchs, und sein Lächeln schien niemals seine Augen zu erreichen.

Pevara zuckte zusammen, als sie ihn erblickte, und Nalaam fluchte und griff nach der Einen Macht.

»Aber, aber«, sagte eine Stimme. »Es gibt keinen Grund für Handgreiflichkeiten.« Mezar trat neben Mishraile aus dem Regen. Der kleine Domani hatte ergrauendes Haar und verbreitete eine Aura der Weisheit, die nicht von seiner Verwandlung beeinträchtigt wurde.

Androl sah Mezar in die Augen, und es war, als würde man in eine tiefe Höhle blicken. Ein Ort, der noch nie Licht kennengelernt hatte.

»Hallo, Androl«, sagte Mezar und legte Mishraile die Hand auf die Schulter, als wären die beiden schon seit einer Ewigkeit Freunde. »Warum sollte sich Frau Lind fürchten und in den Keller einschließen müssen? Sicherlich ist die Schwarze Burg einer der sichersten Orte der Welt.«

»Ich misstraue einer stürmischen dunklen Nacht«, sagte Androl.

»Vielleicht ist das klug«, erwiderte Mezar. »Und doch geht Ihr hinaus. Warum nicht hierbleiben, wo’s warm ist? Nalaam, ich würde gern eine Eurer Geschichten hören. Vielleicht könntet Ihr von der Reise erzählen, bei der Ihr und Euer Vater Shara besucht habt?«

»So gut ist diese Geschichte nicht«, sagte Nalaam. »Die meisten Einzelheiten habe ich ohnehin vergessen.«

Mezar lachte, und Androl hörte, wie Welyn hinter ihnen aufstand. »Ah, da seid Ihr ja! Ich habe den anderen schon gesagt, dass Ihr über die Verteidigung von Arafel sprechen werdet.«

»Hört besser zu«, sagte Mezar. »Das wird wichtig für die Letzte Schlacht.«

»Vielleicht kehre ich zurück«, erwiderte Androl mit kühler Stimme. »Sobald ich meine restliche Arbeit erledigt habe.«

Die beiden Männer starrten sich an. An der Seite hielt Nalaam noch immer die Eine Macht. Seine Stärke entsprach Mezars, aber er würde sich nicht ihm und Welyn stellen können – vor allen Dingen nicht in einem Raum voller Leute, die vermutlich die Partei der beiden vollwertigen Asha’man ergreifen würden.

»Verschwendet Eure Zeit doch nicht mit dem Pagen, Welyn«, sagte Coteren. Mishraile machte Platz für den dritten Neuankömmling. Der stämmige Mann mit den Knopfaugen legte eine Hand gegen Androls Brust und stieß ihn im Vorbeigehen zur Seite. »Halt, wartet. Ihr könnt den Pagen gar nicht mehr spielen, oder?«

Androl versenkte sich in das Nichts und ergriff die Quelle.

Sofort gerieten die Schatten im Raum in Bewegung. Wurden länger.

Hier gab es nicht genug Licht! Warum hatten sie nicht mehr Lampen? Die Dunkelheit lud nur diese Schatten ein, und er konnte sie sehen. Sie waren real, ein jeder ein Tentakel aus Finsternis, der nach ihm griff. Um ihn in sie hineinzuzerren und zu vernichten.

Beim Licht! Ich bin wahnsinnig. Ich bin wahnsinnig …

Das Nichts zerbrach, und die Schatten zogen sich gnädigerweise zurück. Er fand sich am ganzen Leib zitternd und keuchend an der Wand wieder. Pevara betrachtete ihn mit ausdrucksloser Miene, aber er konnte ihre Besorgnis fühlen.

»Ach, übrigens«, sagte Coteren. Er war einer von Taims einflussreichsten Speichelleckern. »Habt Ihr es schon gehört?«

»Was gehört?«, schaffte es Androl vorzustoßen.

»Ihr seid degradiert worden, Page«, sagte Coteren und deutete auf den Schwertanstecker. »Taims Befehl. Ab heute. Jetzt seid Ihr wieder Soldat, Androl.«

»O ja«, rief Welyn von der Raummitte. »Es tut mir leid, aber das vergaß ich zu erwähnen. Ich fürchte, das ist mit dem Lord Drachen abgeklärt worden. Ihr hättet niemals befördert werden dürfen, Androl. Tut mir leid.«

Androl griff zum Kragen, zu dem Anstecker. Er hätte ihm nichts bedeuten sollen; was bedeutete er schon?

Aber es spielte eine Rolle. Sein ganzes Leben hatte er mit einer Suche verbracht. Er hatte in einem Dutzend verschiedener Handwerke als Lehrling gearbeitet. Er hatte in Rebellionen gekämpft, war über zwei Meere gesegelt. Und hatte die ganze Zeit über gesucht, hatte nach etwas gesucht, das er selbst nicht benennen konnte.

Als er die Schwarze Burg betreten hatte, hatte er es gefunden.

Er verdrängte die Furcht. Verflucht sollten die Schatten sein! Erneut griff er nach Saidin, und die Macht flutete in ihn hinein. Er nahm Haltung an, erwiderte Coterens Blick.

Der größere Mann lächelte und ergriff ebenfalls die Eine Macht. Mezar folgte seinem Beispiel, und Welyn stand auf. Nalaam flüsterte besorgt mit sich selbst, und seine Blicke huschten hin und her. Canler griff mit resignierter Miene nach Saidin.

Was Androl halten konnte, floss in ihn hinein – so viel er von der Einen Macht ergreifen konnte. Verglichen mit den anderen war es eine lächerliche Menge. Er war der schwächste Mann im Raum; die jüngsten Rekruten konnten mehr bewältigen als er.