»Oft. Aber was …«
»Rand al’Thor, wir sind Erstschwestern, Elayne und ich. Wenn wir Min besser kennen, wird sie sich uns anschließen. Wir werden alles teilen.«
Erstschwestern? Das hätte er sich eigentlich denken müssen, so wie sie damals mit ihm den Behüterbund eingegangen waren. Er hob die Hand an die Schläfe. Wir werden dich uns teilen, hatten sie ihm gesagt.
Vier durch den Behüterbund miteinander verbundenen Frauen Qualen zu bereiten, wenn er starb, war schon schlimm genug, aber drei Frauen, die ihn liebten? Licht, er wollte ihnen keine Schmerzen bereiten!
»Sie sagen, dass du dich verändert hast«, sagte Aviendha. »In der kurzen Zeit seit meiner Rückkehr haben so viele davon gesprochen, dass ich es beinahe schon leid bin, mir etwas über dich anzuhören. Nun, deine Miene mag ruhig sein, aber deine Gefühle sind es nicht. Ist diese Vorstellung denn so schrecklich, mit uns drei zusammen zu sein?«
»Ich will es, Aviendha. Ich sollte mich verstecken, weil ich es will. Aber die Schmerzen …«
»Du hast sie umarmt, nicht wahr?«
»Es sind nicht meine Qualen, die ich fürchte. Es sind eure.«
»Sind wir also schwach, dass wir nicht ertragen können, was du schaffst?«
Der Ausdruck in ihren Augen lud wirklich nicht dazu ein, sich darüber lustig zu machen.
»Natürlich nicht«, antwortete er. »Aber wie kann ich denen, die ich liebe, Schmerzen wünschen?«
»Wir müssen diese Qualen akzeptieren«, sagte sie und hob entschlossen das Kinn. »Rand al’Thor, deine Entscheidung ist ganz einfach, auch wenn du dich wirklich bemühst, sie schwer zu machen. Wähle Ja oder Nein. Aber sei gewarnt; entweder sind wir es alle oder keine von uns. Wir werden nicht zulassen, dass du zwischen uns kommst.«
Er zögerte, dann küsste er sie und kam sich dabei wie ein Wüstling vor. Hinter ihm brüllten Töchter, von denen er sich gar nicht bewusst gewesen war, dass sie zusahen, jetzt noch lauter ihre Beleidigungen, aber er hörte daraus eine unbändige Freude, die so gar nicht zu den Worten passte. Er beendete den Kuss, dann hob er die Hand und legte sie an Aviendhas Wange. »Ihr seid verdammte Närrinnen. Alle drei.«
»Dann ist es gut. Wir sind deinesgleichen. Du solltest wissen, dass ich jetzt eine Weise Frau bin.«
»Dann sind wir vielleicht doch nicht gleich«, erwiderte er, »denn ich fange jetzt erst an zu begreifen, wie wenig Weisheit ich doch habe.«
Aviendha schnaubte. »Genug geredet. Du wirst mich jetzt lieben.«
»Beim Licht!«, sagte er. »Du bist ein bisschen forsch, nicht wahr? Ist das bei den Aiel so üblich?«
»Nein«, erwiderte sie und errötete wieder. »Ich bin bloß … ich bin bloß nicht besonders erfahren darin.«
»Ihr drei habt das entschieden, stimmt’s? Wer von euch zu mir kommt?«
Sie zögerte, dann nickte sie.
»Ich habe da kein Mitspracherecht, oder?«
Sie schüttelte den Kopf.
Er lachte und zog sie an sich. Zuerst war sie ganz steif, aber dann schmiegte sie sich an ihn. »Also, muss ich zuerst mit ihnen kämpfen?« Er wies mit dem Kopf auf die Töchter.
»Das ist bloß bei der Hochzeit so, falls wir uns entscheiden, dass du eine Heirat wert bist, dummer Mann. Und dann wären es unsere Familien, nicht die Mitglieder unserer Gemeinschaft. Du hast deinen Unterricht wirklich versäumt, oder?«
Er schaute zu ihr hinab; Licht, sie war so wunderschön.
»Nun, ich bin froh, dass ich nicht kämpfen muss. Ich vermag nicht zu sagen, wie viel Zeit wir haben, und ich hatte gehofft, heute Nacht wenigstens etwas Schlaf zu bekommen. Aber …« Der Ausdruck in ihren Augen ließ ihn verstummen. »Ich … heute bekomme ich keinen Schlaf, richtig?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ach, auch gut. Wenigstens brauche ich mir dieses Mal keine Sorgen darüber zu machen, dass du erfrieren könntest.«
»Ja. Aber wenn du nicht aufhörst, törichtes Zeug zu plappern, Rand al’Thor, könnte es passieren, dass ich vor Langeweile sterbe.«
Sie nahm ihn am Arm und zog ihn sanft, aber energisch in das Zelt – und die Rufe der Töchter wurden noch lauter und noch beleidigender. Aber vor allem noch ausgelassener.
»Ich vermute, schuld daran ist eine Art Ter’angreal«, sagte Pevara. Sie hockte mit Androl im Hinterzimmer eines der Warenlager der Schwarzen Burg und fand ihre Stellung nicht gerade bequem. Der Raum roch nach Staub, Korn und Holz. Die meisten Gebäude der Schwarzen Burg waren neu, und das hier bildete keine Ausnahme; die Bodendielen aus Zedernholz waren noch frisch.
»Ihr kennt ein Ter’angreal, das Wegetore verhindern könnte?«, fragte Androl.
»Nicht direkt, nein«, erwiderte die Aes Sedai und verlagerte das Gewicht, um eine bessere Position zu finden. »Aber es ist allgemein akzeptiert, dass das, was wir über Ter’angreale wissen, nur ein Bruchteil dessen ist, was einst bekannt war. Es muss Tausende Arten von Ter’angrealen geben, und wenn Taim ein Schattenfreund ist, hat er Kontakt mit den Verlorenen – die ihm die Benutzung und Konstruktion von Dingen erklären können, von denen wir nur träumen können.«
»Also müssen wir dieses Ter’angreal finden«, sagte Androl. »Es abschalten oder zumindest herausfinden, wie es funktioniert.«
»Und entkommen?«, fragte Pevara. »Hattet Ihr nicht bereits entschieden, dass die Flucht eine schlechte Wahl wäre?«
»Nun … ja«, gestand Androl ein.
Sie konzentrierte sich und vermochte ein paar Gedankenfetzen von ihm aufzufangen. Sie hatte gehört, dass der Behüterbund eine empathische Verbindung erlaubte. Das hier schien tiefer zu gehen. Er war … ja, er wünschte sich wirklich, Wegetore machen zu können. Ohne sie fühlte er sich entwaffnet.
»Das ist mein Talent«, sagte er widerstrebend. Er wusste, dass sie irgendwann auf den Grund stoßen würde. »Ich kann Wegetore machen. Zumindest konnte ich es.«
»Wirklich? Mit Eurer Stärke in der Macht?«
»Mit meiner lächerlichen Stärke?«, fragte er. Sie konnte ein paar seiner Gedanken spüren. Obwohl er seine Schwäche akzeptierte, sorgte er sich, dass ihn das möglicherweise zu einem wenig geeigneten Anführer machte. Eine seltsame Mischung aus Selbstvertrauen und Hemmungen.
»Ja«, fuhr er fort. »Reisen erfordert große Stärke in der Einen Macht, aber ich kann große Wegetore erschaffen. Bevor das alles hier falschlief, war das größte Wegetor, das ich öffnete, dreißig Fuß breit.«
Pevara blinzelte. »Ihr übertreibt doch!«
»Wenn ich könnte, würde ich es Euch zeigen.« Er schien völlig ehrlich zu sein. Entweder sagte er die Wahrheit, oder sein Wahnsinn flüsterte ihm das nur ein. Sie erwiderte nichts, sich unsicher, wie sie das ansprechen sollte.
»Schon gut«, sagte er. »Ich weiß, dass da … etwas nicht mit mir stimmt. Mit den meisten von uns. Ihr könnt die anderen nach meinen Wegetoren fragen. Es gibt einen Grund, warum Coteren mich Page nennt. Denn das Einzige, in dem ich gut bin, ist, Leute von einem Ort zum anderen zu bringen.«
»Das ist ein erstaunliches Talent, Androl. Ich bin überzeugt, die Burg würde es mit Begeisterung studieren. Ich frage mich, wie viele Menschen damit geboren wurden und es niemals wussten, weil die Gewebe zum Reisen unbekannt waren.«
»Ich gehe nicht zur Weißen Burg, Pevara«, sagte er und legte die Betonung auf Weiße.
Sie wechselte das Thema. »Ihr sehnt Euch zu Reisen, und doch wollt Ihr die Schwarze Burg nicht verlassen. Also wieso spielt dieses Ter’angreal eine Rolle?«
»Wegetore wären … nützlich.«
Er dachte etwas, aber sie konnte es nicht verstehen. Ein schnelles Aufblitzen von Bildern und Eindrücken.
»Aber wenn wir nirgendwohin gehen …«, protestierte sie.
»Ihr wärt überrascht«, meinte er und hob den Kopf, um über den Fenstersims in die Gasse zu spähen. Draußen nieselte es; der Regen ließ endlich nach. Aber der Himmel war noch dunkel. Bis zur Morgendämmerung dauerte es noch ein paar Stunden. »Ich habe … experimentiert. Ein paar Dinge ausprobiert, die meiner Meinung nach noch nie zuvor jemand versucht hat.«