»Ah …«
»Ihr habt mich gefragt, warum ich zur Schwarzen Burg kam. Ihr wolltet wissen, warum ich darum bat, geprüft zu werden. Nun, dieses Ding, das ich bin, es beantwortet mir eine Frage. Es verrät mir, wer mein Vater war, und warum er tat, was seiner Meinung nach nötig war.
Mittlerweile ist mir alles klar. Unser Geschäft ging zu gut. Vater konnte seltene Steine und Erzadern finden, wo es kein anderer vermochte. Man bezahlte ihn dafür, ertragreiche Erzvorkommen aufzuspüren. Er war der Beste. Ungewöhnlich gut. Ich konnte … am Ende konnte ich es in ihm sehen, Pevara. Ich war erst zehn, aber ich erinnere mich. Die Furcht in seinen Augen. Diese Furcht kenne ich jetzt.« Er zögerte. »Mein Vater sprang von dieser Klippe, um das Leben seiner Familie zu retten.«
»Es tut mir leid«, sagte Pevara.
»Das Wissen, was ich bin, was er war, das hilft.«
Der Regen hatte wieder eingesetzt, dicke Tropfen prasselten wie Kieselsteine gegen das Fenster. Die Außentür öffnete sich, und endlich kam Emarin. Sein Blick fiel auf den in der Luft schwebenden Dobser, und auf seiner Miene zeichnete sich Erleichterung ab. Dann sah er die anderen beiden und zuckte zusammen. »Was habt Ihr getan?«
»Was getan werden musste«, erwiderte Androl und stand auf. »Was hat Euch aufgehalten?«
»Beinahe hatte ich noch eine Konfrontation mit Coteren«, sagte Emarin und starrte die beiden gefangenen Asha’man noch immer an. »Ich glaube, uns bleibt nicht viel Zeit. Wir ließen nicht zu, dass sie uns herausforderten, aber Coteren erschien ärgerlich – viel mehr als sonst. Ich glaube nicht, dass sie uns noch lange tolerieren.«
»Nun, diese Gefangenen sorgen sowieso dafür, dass unsere Zeit begrenzt ist«, sagte Pevara und bewegte Dobser ein Stück zur Seite, um für Emarin Platz zu machen. »Glaubt Ihr wirklich, Ihr könnt diesen Mann zum Reden bringen? Schon früher habe ich versucht, Schattenfreunde der Befragung zu unterziehen. Sie können schwer zu brechen sein.«
»Ah, aber das ist kein Schattenfreund«, erwiderte Emarin. »Das ist Dobser.«
»Ich glaube nicht, dass er das wirklich ist«, sagte Androl und musterte den Mann, der gefesselt dort schwebte. »Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass man jemanden dazu zwingen kann, dem Dunklen König zu dienen.«
Pevara war da völlig anderer Meinung, das spürte er deutlich. Sie glaubte wirklich, dass es auf diese Weise geschah. Sie hatte erklärt, dass jeder Machtlenker einfach Umgedreht werden konnte. So bezeichneten es die alten Aufzeichnungen.
Die Vorstellung verursachte Androl Übelkeit. Jemanden dazu zu zwingen, sich dem Bösen zuzuwenden? So etwas durfte nicht möglich sein. Das Schicksal bewegte die Menschen, brachte sie oft in eine schreckliche Lage, raubte ihnen das Leben, manchmal auch den Verstand. Aber die Entscheidung, dem Dunklen König zu dienen oder dem Licht … sicherlich war das die eine Entscheidung, die man einem Menschen nicht nehmen konnte.
Der Schatten, den er hinter Dobsers Augen erkennen konnte, reichte ihm als Beweis. Der Mann, den er gekannt hatte, war verschwunden. Man hatte ihn getötet, und etwas anderes – etwas Böses – war in seinen Körper gesteckt worden. Eine neue Seele. Das musste es sein.
»Was auch immer er ist«, sagte Pevara, »ich bin noch immer skeptisch, dass Ihr ihn zum Reden zwingen könnt.«
»Die beste Überredung«, sagte Emarin mit auf dem Rücken verschränkten Händen, »ist die, die nicht erzwungen wird. Pevara Sedai, wenn Ihr so freundlich wärt, die Gewebe auf seinen Ohren zu entfernen, damit er wieder hören kann – aber entfernt sie so unauffällig wie möglich, als wäre das Gewebe verknotet gewesen und würde sich nun auflösen. Ich will, dass er meine nächsten Worte belauscht.«
Sie tat es. Zumindest nahm Androl das an. Der Doppelbund bedeutete keineswegs, dass sie die Gewebe des anderen sehen konnten. Aber er spürte ihre Nervosität. Sie dachte an Schattenfreunde, die sie verhört hatte, und wünschte sich … irgendetwas? Ein Werkzeug, das sie gegen sie benutzen konnte?
»Ich glaube, wir können uns auf meinen Besitzungen verstecken«, sagte Emarin mit hochmütiger Stimme.
Androl blinzelte. Der Mann schien plötzlich an Haltung gewonnen zu haben, gab sich stolzer, viel … befehlsgewohnter. Seine Stimme wurde energischer, verächtlicher. Von jetzt auf gleich war er zum Adligen geworden.
»Niemand wird auf die Idee kommen, dort nach uns zu suchen«, fuhr Emarin fort. »Ich akzeptiere euch als meine Begleiter, und die Geringeren unter uns – wie zum Beispiel der junge Evin – können als Diener in meine Dienste treten. Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen, können wir eine rivalisierende Schwarze Burg aufbauen.«
»Ich … weiß nicht, ob das so klug wäre«, sagte Androl und spielte mit.
»Schweigt«, befahl Emarin. »Ich frage Euch nach Eurer Meinung, wenn ich sie hören will. Aes Sedai, wir haben nur eine Möglichkeit, um zu Rivalen der Weißen und Schwarzen Burg zu werden, wir müssen einen Ort schaffen, an dem männliche und weibliche Machtlenker zusammenarbeiten. Eine … Graue Burg, wenn Ihr so wollt.«
»Das ist ein interessanter Vorschlag.«
»Das ist die einzige Sache, die Sinn macht«, erwiderte Emarin und wandte sich ihrem Gefangenen zu. »Er hörte nicht, was wir besprachen?«
»Nein«, sagte Pevara.
»Dann befreit ihn. Ich will mit ihm sprechen.«
Zögernd gehorchte die Aes Sedai. Dobser sackte zu Boden und wäre beinahe gestürzt. Er schwankte einen Moment lang, dann sah er sofort zur Tür.
Emarin zog etwas von seinem Gürtel und warf es zu Boden. Einen kleinen Beutel. Es klirrte, als er auftraf. »Meister Dobser«, sagte Emarin.
»Was ist das?«, fragte Dobser, ging misstrauisch in die Hocke und hob den Beutel auf. Er warf einen Blick hinein, und seine Augen weiteten sich.
»Die Bezahlung«, sagte Emarin.
Dobser runzelte die Stirn. »Um was zu tun?«
»Ihr versteht nicht, Meister Dobser«, sagte Emarin. »Ich bitte Euch nicht, etwas zu tun, ich bezahle Euch, um mich zu entschuldigen. Ich beauftragte Androl hier, um Eure Hilfe zu bitten, und er scheint seine Befehle … etwas zu enthusiastisch ausgeführt zu haben. Ich wollte bloß mit Euch sprechen. Ich wollte Euch nicht in Luft gewickelt und gequält sehen.«
Dobser blinzelte misstrauisch. »Wo habt Ihr so viel Geld her, Emarin? Wie kommt Ihr auf die Idee, Ihr könntet hier Befehle geben? Ihr habt bloß den Rang eines Soldaten …« Wieder warf er einen Blick auf den Inhalt des Beutels.
»Wie ich sehe, verstehen wir uns«, sagte Emarin lächelnd. »Ihr werdet also meine Tarnung aufrechterhalten?«
»Ich …« Dobsers Blick fiel auf Welyn und Leems, die bewusstlos am Boden lagen.
»Ja«, sagte Emarin. »Das wird ein Problem sein, nicht wahr? Was meint Ihr, könnten wir Androl einfach an Taim ausliefern und ihn dafür verantwortlich machen?«
»Androl?« Dobser schnaubte. »Den Pagen? Der zwei Asha’man besiegt? Das würde keiner glauben. Keiner.«
»Das ist wohl wahr, Meister Dobser«, sagte Emarin betrübt.
»Gebt ihnen doch einfach die Aes Sedai«, sagte Dobser und zeigte mit dem Finger auf Pevara.
»Leider brauche ich sie noch. Das ist ein schrecklicher Schlamassel. Ganz schlimm.«
»Nun«, sagte Dobser, »vielleicht könnte ich mich ja für Euch beim M’Hael verwenden. Ihr wisst schon, die Dinge klären.«
»Das wüsste ich sehr zu schätzen«, sagte Emarin, holte einen der Hocker, die an der Wand standen, dann nahm er noch einen zweiten und baute ihn davor auf. Er setzte sich und bedeutete Dobser, ebenfalls Platz zu nehmen. »Androl, macht Euch nützlich. Holt mir und Meister Dobser etwas zu trinken. Tee. Mögt Ihr Zucker?«
»Nein«, sagte Dobser. »Tatsächlich hörte ich, dass es hier irgendwo Wein geben sollte.«