Wächter. Pevara versuchte den Gedanken direkt an Androl zu schicken.
Es funktionierte. Sie konnte seine Überraschung fühlen, als sich der fremde Gedanke in seinen Kopf einschlich.
Undeutlich kam etwas zurück. Wir sollten unseren Vorteil nutzen.
Ja, erwiderte sie. Der nächste Gedanke war allerdings zu komplex, also flüsterte sie ihn. »Ist Euch je zuvor aufgefallen, dass er das Fundament nachts bewachen lässt? Falls es wirklich geheime Räume gibt, dann müsste die Arbeit daran ebenfalls in der Nacht erledigt werden.«
»Taim hat eine Ausgangssperre verhängt«, flüsterte Androl ebenfalls. »Er lässt sie uns nur dann ignorieren, wenn es für ihn von Vorteil ist – so wie heute Welyns Rückkehr. Davon abgesehen ist dieses Gebiet mit seinen Gruben und Gräben gefährlich. Das wäre ein guter Grund, um Wächter aufzustellen, aber …«
»Aber Taim ist eigentlich nicht der Typ, der sich dafür interessiert, ob sich ein paar Kinder beim Herumstöbern den Hals brechen.«
Androl nickte.
Sie warteten im Regen und zählten ihre Atemzüge, bis drei Flammenzungen aus der Nacht schossen und die Wächter direkt am Kopf trafen. Die beiden Asha’man brachen augenblicklich zusammen. Nalaam, Emarin und Jonneth hatten perfekte Arbeit geleistet. Ganz kurzes Machtlenken; hoffentlich würde es keiner bemerken oder für das Werk der von Taim eingeteilten Wächter halten.
Beim Licht, dachte Pevara. Androl und die anderen sind wirklich Waffen. Ihr war nicht in den Sinn gekommen, dass Emarin und die anderen sofort töten würden. Das war ihrer Erfahrung als Aes Sedai völlig fremd. Aes Sedai töteten nicht einmal falsche Drachen, wenn sie es vermeiden konnten.
»Das Dämpfen tötet«, sagte Androl und starrte nach vorn. »Wenn auch nur langsam.«
Licht. Ja, ihr Bund hatte sicherlich seine Vorteile – aber er war auch ausgesprochen lästig. Sie würde üben müssen, ihre Gedanken abzuschirmen.
Emarin und die anderen liefen aus der Dunkelheit herbei und gesellten sich an der Kohlenpfanne zu Pevara und Androl. Canler blieb mit zwei weiteren Burschen aus den Zwei Flüssen zurück, dazu bereit, sie bei einem Fluchtversuch aus der Schwarzen Burg zu unterstützen, falls etwas schieflief. Trotz seiner Proteste war es vernünftig, ihn zurückzulassen. Er hatte Familie.
Sie schleiften die Leichen in die Dunkelheit, ließen die Kohlenpfanne aber brennen. Jemand, der zufällig nach den Wächtern Ausschau hielt, würde das Licht sehen, aber die Nacht war so neblig und regnerisch, dass man sich schon hinbegeben musste, um zu erkennen, dass die Männer verschwunden waren.
Obwohl er sich oft beklagt hatte, nicht zu wissen, warum ihm die anderen folgten, übernahm Androl auf der Stelle den Befehl über die Gruppe und schickte Nalaam und Jonneth los, um den Rand der Erdarbeiten zu überwachen. Jonneth trug seinen Bogen, dessen Sehne allerdings in der feuchten Nacht nicht gespannt war. Sie hofften, dass der Regen irgendwann nachließ und er ihn dann benutzen konnte, wenn sie kein Machtlenken riskieren konnten.
Androl, Emarin und Pevara rutschten einen der schlammigen Hänge in die Baugrube hinunter, die man für das Fundament ausgehoben hatte. Schlamm bespritzte Pevara, aber sie war ja bereits völlig durchnässt, und der Regen spülte den Dreck weg.
Das Fundament bestand aus Ziegelsteinen, die Mauern, Zwischenräume und Korridore bilden sollten; hier unten verwandelte sich alles in ein Labyrinth, in dem sich der fallende Regen sammelte. Am Morgen würden die Asha’man-Soldaten erst einmal alles trockenlegen müssen.
Wie finden wir den Eingang?, übersandte Pevara.
Androl kniete nieder, dann schwebte eine winzige Lichtkugel über seiner Hand. Regentropfen passierten das Licht; einen Augenblick lang sah es aus, als würden winzige Meteoriten aufblitzen und verschwinden. Er legte die Finger in das Wasser auf dem Boden.
Er schaute wieder auf, dann streckte er den Arm aus. »Es fließt in die Richtung«, flüsterte er. »Irgendwohin. Dort finden wir Taim.«
Emarin grunzte anerkennend. Androl hob die Hand und winkte Jonneth und Nalaam nach unten ins Fundament, dann ging er mit leisen Schritten voraus.
Ihr. Bewegt. Euch. Gut. Leise, übermittelte Pevara.
Bin als Kundschafter ausgebildet, sandte er zurück. Im Wald. In den Verschleierten Bergen.
Wie vielen Handwerken war er in seinem Leben eigentlich nachgegangen? Er hatte ihr einige Sorgen bereitet. Ein Leben, wie er es geführt hatte, konnte ein deutlicher Hinweis auf eine fundamentale Unzufriedenheit mit der Welt sein, eine Ungeduld. Aber wie er über die Schwarze Burg sprach … die Leidenschaft, mit der er kämpfen wollte … das besagte etwas anderes. Hier ging es nicht nur um Loyalität zu Logain. Ja, er und die anderen respektierten Logain, aber für sie repräsentierte er etwas viel Bedeutenderes. Einen Ort, an dem Männer wie sie geachtet wurden.
Ein Leben, wie Androl es geführt hatte, konnte auf einen Mann hinweisen, der sich niemals festlegte oder zufrieden war, aber es konnte auch auf etwas anderes hindeuten: einen Mann auf der Suche. Einen Mann, der genau wusste, dass das Leben, das er führen wollte, irgendwo dort draußen existierte. Er musste es bloß finden.
»Bringt man euch in der Weißen Burg eigentlich bei, Menschen auf diese Weise zu analysieren?«, flüsterte Androl ihr ins Ohr, als er neben einem Türdurchgang stehen blieb und seine Lichtkugel hineinhielt, um die anderen dann herbeizuwinken.
Nein, antwortete sie stumm, um diese Kommunikationsmethode zu üben, um ihre Gedanken besser fließen zu lassen. Das ist etwas, das eine Frau nach ihrem ersten Lebensjahrhundert erlernt.
Er reagierte mit angespannter Belustigung. Sie kamen zu einer Reihe im Bau befindlicher Räume, von denen keiner ein Dach aufwies, bevor sie schließlich zu einer Sektion unbearbeiteten Erdbodens kamen. Hier standen ein paar Fässer mit Pech, aber man hatte sie zur Seite geschoben, und die Bretter, auf denen sie normalerweise standen, waren entfernt worden. Dort klaffte ein Loch im Boden. Das Wasser floss über den Grubenrand und verschwand in der Dunkelheit. Androl kniete nieder und lauschte, dann nickte er den anderen zu, bevor er sich hinunterließ. Eine Sekunde später platschte es.
Pevara folgte ihm; es ging nur wenige Fuß in die Tiefe. Das Wasser fühlte sich kalt an ihren Füßen an, aber sie war ja bereits durchnässt. Androl stand geduckt da und schob sich dann unter einem irdenen Überhang hindurch, um sich auf der anderen Seite wieder aufzurichten. Seine winzige Lichtkugel enthüllte einen Tunnel. Hier hatte man einen Graben ausgehoben, in dem sich das Regenwasser sammelte. Pevara schätzte, dass sie jetzt genau unter der Stelle standen, an der sie die Wächter getötet hatten.
Dobser hat recht, übermittelte sie, während die anderen hinter ihr in die Tiefe sprangen. Taim errichtet Geheimtunnel und verborgene Räume.
Sie überquerten den Graben und gingen weiter. Nach einem kurzen Stück Tunnel erreichten sie eine Abzweigung, an der die Wände wie ein Minenschaft abgestützt waren. Sie versammelten sich und schauten erst in die eine Richtung, dann in die andere. Zwei Möglichkeiten.
»Der Weg führt schräg aufwärts«, flüsterte Emarin und zeigte nach links. »Vielleicht zu einem weiteren Eingang in diese Tunnel?«
»Wir sollten weiter nach unten gehen«, meinte Nalaam. »Findet Ihr nicht auch?«
»Ja«, erwiderte Androl, befeuchtete den Finger und überprüfte die Luft. »Der Luftzug zeigt nach rechts. Wir gehen zuerst in die Richtung. Seid vorsichtig. Es wird noch mehr Wächter geben.«