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»Ich bin ihre Wächterin.«

»Nur dem Namen nach. Sie wurden erst kürzlich entdeckt, und ich besitze sie. Ich bin an Euch herangetreten und habe Euch aus Respekt vor Eurem traditionellen Titel darum gebeten.«

»Ihr seid an mich herangetreten? Ihr habt keine Bitte geäußert«, sagte sie. »Ihr habt nicht einmal eine Forderung gestellt. Ihr seid vorbeigekommen, habt mir mitgeteilt, was Ihr zu tun beabsichtigt, und seid wieder verschwunden.«

»Ich besitze die Siegel«, wiederholte er. »Und ich werde sie brechen. Ich erlaube niemandem, nicht einmal Euch, sich zwischen mich und den Schutz dieser Welt zu stellen.«

Um sie herum wurde weiterhin über das Dokument debattiert, die Herrscher murmelten mit ihren Vertrauten und Nachbarn. Egwene trat vor und starrte Rand auf der anderen Seite des kleinen Tisches an; im Augenblick ignorierte man sie größtenteils. »Ihr werdet sie nicht brechen, wenn ich Euch daran hindere, Rand al’Thor.«

»Warum solltet Ihr mich aufhalten wollen? Nennt mir nur einen einzigen Grund, warum das eine schlechte Idee ist.«

»Einen anderen Grund, als dass es den Dunklen König auf die Welt loslässt?«

»Im Krieg der Macht war er nicht frei«, sagte Rand. »Er konnte die Welt berühren, aber den Stollen zu öffnen wird ihn nicht befreien. Nicht sofort.«

»Und was für einen Preis müssten wir bezahlen, wenn er die Welt berührt? Wie hoch ist er denn jetzt schon? Schrecken, Terror, Zerstörung. Ihr wisst genau, was mit dem Land passiert. Die Toten wandeln, das Muster wird auf diese seltsame Weise verzerrt. Und das passiert bereits, wo die Siegel bloß geschwächt sind! Was passiert, wenn wir sie brechen? Das weiß das Licht allein.«

»Das ist ein Risiko, das wir eingehen müssen.«

»Dem stimme ich nicht zu. Ihr wisst nicht, was passiert, wenn man die Siegel zerstört – Ihr wisst nicht, ob er dann entkommt. Ihr wisst nicht, wie nahe er davorstand, als der Stollen das letzte Mal versiegelt wurde. Die Zerstörung dieser Siegel könnte die ganze Welt zerstören! Was ist, wenn unsere einzige Hoffnung in der Tatsache liegt, dass er dieses Mal Einschränkungen unterliegt, dass er nicht völlig frei ist?«

»So funktioniert das nicht.«

»Das wisst Ihr nicht. Wie könntet Ihr auch?«

Er zögerte. »Viele Dinge im Leben sind ungewiss.«

»Also wisst Ihr es tatsächlich nicht«, sagte sie. »Nun, ich habe geforscht, gelesen, zugehört. Habt Ihr die Werke jener gelesen, die das studiert, darüber nachgedacht haben?«

»Spekulationen von Aes Sedai.«

»Die einzigen Informationen, die wir haben! Öffnet den Kerker des Dunklen Königs, und alles könnte verloren sein. Wir müssen vorsichtiger sein. Zu diesem Zweck existiert der Amyrlin-Sitz, nicht zuletzt aus diesem Grund wurde die Weiße Burg überhaupt erst gegründet!«

Er zögerte. Tatsächlich. Beim Licht, er dachte nach. Konnte sie zu ihm durchdringen?

»Es gefällt mir nicht, Egwene«, sagte er dann leise. »Wenn ich mich ihm stelle und die Siegel sind nicht gebrochen, bleibt mir nur die Möglichkeit, eine weitere unzulängliche Lösung zu finden. Ein Flicken, der noch schlimmer als beim letzten Mal ist – denn mit den alten, geschwächten Siegeln schmiere ich bloß neuen Gips in tiefe Risse. Wer weiß, wie lange sie dieses Mal halten? In ein paar Jahrhunderten könnten wir wieder vor dem gleichen Kampf stehen.«

»Wäre das so schlimm?«, meinte Egwene. »Zumindest ist das sicher. Ihr habt den Stollen das letzte Mal versiegelt. Ihr wisst, wie man es macht.«

»Am Ende haben wir wieder den Makel.«

»Diesmal sind wir darauf vorbereitet. Nein, ideal wäre es nicht. Aber Rand … Wollt Ihr das wirklich riskieren? Das Schicksal eines jeden lebenden Wesens aufs Spiel setzen? Warum nicht den einfachen Weg nehmen, den bekannten Weg? Repariert die Siegel. Verstärkt den Kerker.«

»Nein, Egwene.« Rand wich einen Schritt zurück. »Beim Licht! Geht es darum? Ihr wollt, dass Saidin wieder makelbehaftet ist. Ihr Aes Sedai … ihr fühlt euch von der Vorstellung bedroht, dass Männer, die die Macht lenken können, eure Autorität untergraben!«

»Rand al’Thor, wagt es ja nicht, ein solcher Narr zu sein.«

Er erwiderte ihren Blick. Die Herrscher schienen der Unterhaltung nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl das Schicksal der Welt davon abhing. Sie hatten die Köpfe über Rands Dokument gesenkt und murmelten zornig. Vielleicht war das ja sogar seine Absicht gewesen, sie mit dem Dokument abzulenken und dann die eigentliche Schlacht zu schlagen.

Langsam wich der Zorn aus seiner Miene, er hob die Hand an die Schläfe. »Beim Licht, Egwene. Du schaffst es noch immer, wie die Schwester, die ich nie hatte – machst mir einen Knoten ins Hirn, und ich muss dich zugleich anbrüllen und doch lieben.«

»Zumindest bin ich konsequent«, sagte sie. Sie sprachen jetzt sehr leise, beugten sich über den Tisch nahe aneinander. Perrin und Nynaeve standen an der Seite, möglicherweise nahe genug, um sie zu verstehen, und Min hatte sich zu ihnen gesellt. Gawyn war zurückgekehrt, hielt aber Abstand. Cadsuane ging im Raum umher und schaute in die andere Richtung – viel zu auffällig. Sie hörte auch zu.

»Ich sage das doch nicht, weil ich den Makel zurückholen will! Das ist doch albern!«, sagte Egwene. »So kleinlich bin ich nicht, und das weißt du auch. Hier geht es darum, die ganze Menschheit zu beschützen. Ich kann einfach nicht glauben, dass du aufgrund einer vagen Möglichkeit alles aufs Spiel setzen willst.«

»Eine vage Möglichkeit?«, wiederholte Rand. »Wir sprechen davon, in die Finsternis zu treten, statt ein weiteres Zeitalter der Legenden zu begründen. Wir könnten Frieden haben, das Leid beenden. Oder wir könnten eine weitere Zerstörung der Welt erleben. Beim Licht, Egwene. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Siegel überhaupt reparieren oder auf die gleiche Weise neue herstellen kann. Der Dunkle König wird auf diesen Plan vorbereitet sein.«

»Hast du denn einen anderen?«

»Davon rede ich doch. Ich breche die Siegel, um den alten unzuverlässigen Flicken loszuwerden, und versuche es auf eine neue Weise.«

»Der Preis für ein Scheitern wäre die Welt selbst, Rand.« Sie dachte kurz nach. »Da steckt doch mehr dahinter. Warum sagst du es mir nicht?«

Rand sah zögerlich aus, und einen Augenblick lang kam er ihr wie der kleine Junge vor, den sie zusammen mit Mat dabei erwischt hatte, wie sie heimlich an Frau Cauthons Kuchen naschten. »Ich werde ihn töten, Egwene.«

»Wen? Moridin?«

»Den Dunklen König.«

Entsetzt wich sie zurück. »Entschuldigung. Was hast du gesagt …?«

»Ich werde ihn töten«, sagte Rand leidenschaftlich und beugte sich weiter vor. »Ich werde dem Dunklen König ein Ende bereiten. Solange es ihn gibt und er im Hintergrund lauert, werden wir niemals echten Frieden haben. Ich werde den Kerker aufreißen, ihn betreten und ihm entgegentreten. Falls nötig werde ich einen neuen Kerker bauen, aber zuerst werde ich versuchen, dem allen ein Ende zu bereiten. Das Muster und das Rad für alle Ewigkeit beschützen.«

»Beim Licht, Rand, du bist wahnsinnig!«

»Ja. Das ist ein Teil des Preises, den ich gezahlt habe. Glücklicherweise. Nur ein Mann mit erschüttertem Verstand wäre wagemutig genug, um das zu versuchen.«

»Ich bekämpfe dich, Rand«, flüsterte sie hitzig. »Ich lasse nicht zu, dass du uns da reinziehst. Hör auf die Vernunft. Die Weiße Burg sollte dich leiten.«

»Ich habe die Anleitung der Weißen Burg kennengelernt«, erwiderte er. »In einer Kiste. Jeden Tag Schläge.«

Keiner von ihnen senkte den Blick. Um sie herum ging die Debatte weiter und wurde lauter, verschaffte ihnen eine Atempause.

»Ich habe nichts dagegen, das zu unterschreiben«, sagte Tenobia. »Das sieht gut aus.«

»Bah!«, knurrte Gregorin. »Ihr Grenzländer haben Euch nie für die Politik im Süden interessiert. Ihr unterschreibt das? Nun, schön für Euch. Ich werden mein Land jedenfalls nicht in Ketten legen.«