»Wer hat es getan? Sprich!«
Alexej öffnete kläglich sein böses, verschwollenes Auge und krächzte, Blut spuckend und nach Atem ringend:
»Gebt mir den Gnadenstoß ...«
Die erschrockene Natalia weinte laut, der Schwiegervater stampfte mit dem Fuß auf und schrie sie an:
»Still! Hinaus!«
Alexej packte seinen Kopf mit den Händen, als wollte er ihn abreißen und stöhnte.
Dann warf er sich mit ausgebreiteten Armen auf die Seite und erstarrte mit offenem, blutigem, schnarchendem Mund; auf dem Tisch beim Bett flimmerte das Licht, über den verunstalteten Körper krochen Schatten, und Alexej schien immer schwärzer und verschwollener zu werden. Zu seinen Füßen standen schweigend und bedrückt die Brüder, der Vater schritt durch das Zimmer und fragte jemanden:
»Ist es denn möglich, daß er nicht am Leben bleibt, he?«
Nach acht Tagen stand Alexej aber auf, er hustete, hatte Auswurf und spuckte Blut; er ging oft ins Dampfbad und trank gepfefferten Branntwein; in seinen Augen glühte ein düsteres, dunkles Feuer, was sie noch verschönte. Er selbst wollte nicht sagen, wer ihn verprügelt hatte. Die Jerdanskaja brachte jedoch in Erfahrung, daß ihn Stepan Barski, zwei Feuerwehrleute und ein Mordwine, Woroponows Hausknecht, so zugerichtet hatten. Als Artamonow Alexej fragte, ob das stimme, antwortete er:
»Ich weiß nicht.«
»Du lügst!«
»Ich habe es nicht gesehen; ich glaube, sie haben mir von rückwärts einen Kaftan oder sonst irgend was über den Kopf geworfen.«
»Du verbirgst irgend etwas«, meinte Artamonow. Alexej sah ihm mit böse flackernden Augen ins Gesicht und sagte:
»Ich werde schon wieder gesund werden.«
»Iß mehr!« riet Artamonow und brummte sich in den Bart: »Dafür sollte man ihnen den roten Hahn aufs Dach setzen und ihnen die Pfoten braten!«
Er behandelte Alexej noch aufmerksamer und in seiner rauhen Art freundlicher. Er stellte seine eigene Arbeit zur Schau und verbarg nicht die Absicht, die Kinder durch seine Leidenschaft zum Schaffen zu begeistern.
»Macht alles, habt vor nichts Scheu!« belehrte er sie, tat vieles, was er nicht zu tun brauchte und legte bei allem die aufmerksame Geschicklichkeit eines Tieres an den Tag. Das erlaubte ihm genau festzustellen, wo der Widerstand seiner Kraft gegenüber am hartnäckigsten war und wie man ihn am leichtesten überwinden konnte.
Die Schwangerschaft der Schwiegertochter zog sich unnatürlich in die Länge, und als Natalia nach zwei qualvollen Tagen am dritten ein Mädchen gebar, sagte er betrübt:
»Nun, das will ja nichts heißen ...«
»Danke Gott für die Gnade,« sagte Uljana streng. »Heute ist der Tag der flachstragenden Jelena.«
»Stimmt das auch?«
Er griff nach dem Kalender, sah hinein und freute sich wie ein Kind:
»Führe mich zu meiner Tochter!«
Er legte der Schwiegertochter ein Rubinenohrgehänge und fünf Dukaten auf die Brust und rief aus:
»Da hast du! Wenn es auch kein Junge geworden ist, – mir ist es doch recht!«
Und er fragte Pjotr:
»Nun, was ist, du Fischblut? Freust du dich? Ich hab' mich so gefreut, als du geboren wurdest!«
Pjotr blickte ängstlich in das blutleere, gequälte, fast fremde Gesicht seiner Frau; ihre müden Augen lagen tief in schwarzen Höhlen und blickten von dort aus so auf Menschen und Dinge, als erinnerten sie sich an längst Vergessenes; sie beleckte, langsam die Zunge bewegend, die zerbissenen Lippen.
»Warum schweigt sie?« fragte er die Schwiegermutter.
»Sie hat lange genug geschrien«, erklärte Uljana und stieß ihn aus dem Zimmer hinaus.
Zweimal vierundzwanzig Stunden hatte er bei Tag und bei Nacht das Wehklagen seiner Frau angehört; zuerst hatte er sie bedauert und hatte befürchtet, daß sie sterben würde, dann wurde er durch ihr Schreien betäubt und durch den Trubel im Hause abgestumpft und war nun zu müde, um zu fürchten und zu bedauern. Er hatte nur das Bestreben, möglichst weit fortzugehen, wohin das Jammern der Frau nicht drang; es gelang ihm jedoch nicht, dem zu entgehen, das Kreischen erklang irgendwo mitten in seinem Kopf und erregte ungewöhnliche Gedanken. Und überall, wo er hingehen mochte, sah er Nikita mit einer Axt oder mit einem eisernen Spaten in Händen: der Bucklige hackte und zimmerte etwas zurecht, grub Löcher und lief in der lautlosen Art eines Maulwurfs irgendwohin; er schien sich im Kreise zu bewegen, denn man stieß immer auf ihn.
»Sie wird vielleicht gar nicht niederkommen«, sagte Pjotr zu seinem Bruder. Der Bucklige versenkte den Spaten in den Sand und fragte:
»Was meint die Hebamme?«
»Sie tröstet und verspricht. Warum zitterst du?«
»Ich habe Zahnschmerzen.«
Am Abend nach der Niederkunft saß er mit Nikita und Tichon auf den Stufen des Hauseinganges und erzählte, nachdenklich lächelnd:
»Meine Schwiegermutter legte mir das Kind in den Arm, ich fühlte vor Freude gar kein Gewicht und hätte meine Tochter fast zur Zimmerdecke hinaufgeschleudert. Es ist schwer zu begreifen: es ist etwas so Kleines und verursacht solche ungeheuren Qualen.«
Tichon Wialow kratzte sich die Backen und sagte ruhig, wie immer:
»Alle Menschenqualen entstehen durch etwas Kleines.«
»Wieso denn?« fragte Nikita streng. Der Hausknecht antwortete, gleichgültig gähnend:
»Ja, es ist nun schon mal so ...«
Aus dem Hause wurde zum Abendbrot gerufen.
Das Kind war groß und schwer zur Welt gekommen, starb aber nach fünf Monaten an einer Kohlengasvergiftung; auch die Mutter wäre beinahe gestorben, da auch sie etwas von der Vergiftung abbekam.
»Nun, laß nur«, tröstete der Vater Pjotr auf dem Kirchhof. »Sie wird wieder gebären. Und wir haben jetzt ein eigenes Grab hier, das heißt, wir haben unseren Anker hier tief versenkt. Du hast das, was dir gehört bei dir und unter dir, auf der Erde und unter der Erde, – das gibt dem Menschen festen Halt!«
Pjotr nickte und sah seine Frau an; mit plump gebeugtem Rücken blickte sie sich vor die Füße, auf den kleinen Hügel, auf den Nikita ganz vertieft mit dem Spaten losschlug. Sie wischte sich mit den Fingern so krampfhaft schnell die Tränen von den Wangen, als fürchtete sie, sich an ihrer verschwollenen, roten Nase zu verbrennen und flüsterte:
»O Gott, o Gott ...«
Alexej ging zwischen den Kreuzen im Kreise herum und las die Aufschriften; er war abgemagert und sah älter aus, als er war. Sein Gesicht war nicht das eines Bauern und erschien durch die darauf sprießenden dunklen Haare verbrannt und rußig, die dreisten, tief unter schwarzen Brauen liegenden Augen blickten alle unfreundlich an; er sprach mit etwas dumpfer Stimme von oben herab und wie mit beabsichtigter Undeutlichkeit. Wenn er aber gefragt wurde, kreischte er:
»Du verstehst mich nicht?«
Und schimpfte. In sein Verhältnis zu den Brüdern kam etwas Häßliches, Höhnisches. Er schrie Natalia wie eine Arbeiterin an, und wenn Nikita vorwurfsvoll zu ihm sagte:
»Du beleidigst Natascha grundlos«, erwiderte er:
»Ich bin eben ein kranker Mensch.«
»Sie ist ja so sanft.«
»Dann soll sie's nur ertragen.«
Von seiner Krankheit sprach Alexej oft und fast immer mit Stolz, als wäre sie ein Vorzug, der ihn von den anderen Menschen unterschied.
Als er mit dem Onkel vom Kirchhof zurückkehrte, sagte er zu ihm:
»Wir müßten uns unseren eigenen Kirchhof anlegen. Es ist selbst für einen Toten unschicklich, mit diesem Volk beisammenzuliegen.«