»Gib an Wochentagen keine Servietten zu Tisch, diese Langbärte machen sie ja gleich schmutzig.«
Sie betrachtete Nikita, der ihr früher gefallen hatte, mit aufeinandergepreßten Lippen und sprach mit ihm wie mit einem Angestellten, den man verdächtigt, etwas Unehrliches begangen zu haben, und sie warnte die Tochter:
»Gib acht, sei zu ihm nicht zu freundlich, – alle Buckligen sind hinterlistig.«
Schon mehr als einmal wollte Natalia sich bei der Mutter über ihren Mann beschweren, weil er ihr nicht traute und den Buckligen beauftragt hätte, sie zu überwachen; aber irgend etwas hinderte sie stets, davon zu sprechen.
Am schlimmsten war es aber, wenn die Mutter in der Sorge, Natalia könnte keinen Knaben gebären, sie über ihren nächtlichen Verkehr mit ihrem Mann befragte. Sie tat das in schamlos offener Weise, während ihre feuchten Augen lächelnd blinzelten, die gesenkte Stimme schnurrte und die Neugierde sie heftig erregte. Und Natalia war immer froh, wenn die Frage des Schwiegervaters ertönte:
»Gevatterin, – soll ich das Pferd anspannen?«
»Ich möchte lieber zu Fuß gehen.«
»Gut, ich werd' dich begleiten.«
Pjotr sagte nachdenklich:
»Die Schwiegermutter ist ein kluger Kopf. Wie geschickt sie den Vater behandelt! Vor ihr ist er sanfter zu uns. Sie sollte ihr Haus verkaufen und zu uns ziehen.«
»Das ist nicht nötig«, will Natalia sagen, wagt es aber nicht und trägt es der Mutter noch mehr nach, daß man sie gern hat, und daß sie glücklich ist.
Wenn sie mit einer Näharbeit in den Händen am Gartenfenster oder im Garten sitzt, hört sie Bruchstücke der Unterhaltung zwischen Tichon und Nikita. Sie arbeiten hinter den Beerensträuchern beim Badehaus, und durch das leise Geräusch des Werkes dringen die ruhigen Worte des Hausknechtes:
»Die Langeweile stammt von den Menschen, – wenn sie eine lange Weile beisammen sind, entsteht die Langeweile.«
»Wie richtig!« denkt Natalia, aber Nikitas angenehme Stimme wirft ein:
»Du gehst zu weit. Und Tanz und Spiel? Ohne Menschen gibt es keine Fröhlichkeit.«
»Auch das ist richtig«, stimmt sie erstaunt zu.
Sie sieht, daß alle um sie herum in ihren Reden sicher sind, jeder weiß irgend etwas genau, und zwar sieht sie, wie einfache, bestimmte, fest aneinander gefügte Worte jedem Menschen ein Stück irgendeiner unverrückbaren Wahrheit sichern; die Menschen unterscheiden sich von einander durch ihre Worte und schmücken sich damit, sie klappern und spielen mit Worten wie mit goldenen und silbernen Uhrketten. Sie aber besitzt keine solchen Worte, sie hat nichts, worin sie ihre Gedanken kleiden könnte, die sie trübe und ungreifbar wie Herbstnebel belästigen, die sie nur stumpfsinnig machen, – und sie denkt immer häufiger ärgerlich und traurig:
»Ich bin dumm! Ich weiß nichts und versteh' nichts ...«
»Der Bär kennt sich aus, er weiß, wo es Honig gibt«, murmelt Tichon im Himbeergesträuch.
»Ja, das ist wahr«, denkt Natalia und erinnert sich zusammenzuckend, wie Alexej ihren Liebling getötet hat:
Der Bär lief, bis er dreizehn Monate alt wurde, frei im Hof herum; er war zahm und zutraulich wie ein Hund, kam in die Küche, richtete sich auf den Hinterbeinen auf und bettelte, leise brummend, mit den komischen Augen blinzelnd, um Brot. Er war in allem drollig und gutmütig und schätzte Güte. Alle hatten ihn gern, Nikita pflegte ihn, kämmte ihm die Büschel seines dichten, verfilzten Pelzes durch und führte ihn zum Fluß baden; der Bär gewann ihn so lieb, daß er, wenn Nikita fort war, mit hochgehobener Schnauze besorgt die Luft beschnupperte, fauchend über den Hof lief, in das Kontor, wo sein Pfleger wohnte, eindrang und häufig die Fensterscheiben eindrückte und dabei die Rahmen zerbrach. Natalia machte es Freude, ihn mit Weizenbrot und Sirup zu füttern, er konnte die Brotstücke selbst in die Sirupschüssel tauchen; freudig brüllend und sich auf den zottigen Füßen wiegend, schob er das Brot in den rosigen, von Zähnen starrenden Rachen und sog an seiner klebrigen, süßen Pfote; seine gutmütigen Äuglein leuchteten beglückt, und er stieß den Kopf, gegen Natalias Knie und lud sie ein, mit ihm zu spielen. Man könnte sich mit diesem lieben Tier unterhalten, es verstand schon so vielerlei.
Eines Tages gab ihm aber Alexej Schnaps zu trinken. Der betrunkene Bär tanzte, kugelte sich herum, stieg auf das Badehausdach, riß den Schornstein auseinander und begann die Ziegelsteine hinunterzurollen; es versammelte sich ein Haufen von Arbeitern, die ihm lachend zuschauten. Seitdem gab ihm Alexej zur Belustigung der Leute fast jeden Feiertag zu trinken, und das Tier gewöhnte sich das Saufen so an, daß es allen Arbeitern nachjagte, die nach Schnaps rochen und Alexej nicht über den Hof gehen ließ, ohne auf ihn loszustürzen. Man legte ihn an die Kette, er zertrümmerte jedoch seine Hütte und lief mit der Kette am Halse und einem Balken an ihrem Ende über den Hof, fuchtelte mit den Tatzen herum und schüttelte den Kopf. Man wollte ihn einfangen, er zerkratzte aber Tichon das Bein, warf den jungen Arbeiter Morosow zu Boden und verletzte Nikita, indem er ihn mit der Tatze am Schenkel packte. Alexej kam mit einem Hirschfänger dazu und rammte ihn dem Bären im vollen Lauf in den Bauch. Natalia sah aus dem Fenster, wie der Bär auf die Hinterbeine sank und mit den Pfoten winkte, als bitte er die wütend um ihn herum schreienden Menschen, um Verzeihung. Jemand schob Alexej diensteifrig eine scharfe Zimmermannsaxt in die Hände, der Schwager mit dem Spitzbart sprang hoch und schlug damit erst auf die eine, dann auf die andere Tatze los, – der Bär brüllte auf, ließ sich auf die zerhackten Füße sinken, nach rechts und nach links strömte das Blut und bildete auf der festgestampften Erde tiefrote Lachen. Das Tier gab jämmerlich brüllend den Kopf einem neuen Hieb preis, und Alexej versenkte die Axt in das Genick des Bären wie in ein Holzscheit; der Bär streckte seine Schnauze in sein Blut und die Axt saß so tief in den Knochen, daß Alexej, sich mit dem Fuß gegen den zottigen Körper stemmend, sie nur mit Mühe aus dem Schädel herausziehen konnte. Natalia war traurig um den Bären, noch trauriger aber war sie, als sie erfuhr, daß der furchtlose, geschickte immer lustige, mutwillige Schwager sich mit irgendeinem nichtigen Mädel abgab, während er sie selbst gar nicht sah.
Alle belobten ihn für seine Geschicklichkeit und seinen Mut, der Schwiegervater klopfte ihn aber auf die Schulter und rief:
»Und du sagst, du bist krank? Ach, du ...«
Nikita lief weg, und Natalia weinte so, daß ihr Mann sie erstaunt und ärgerlich fragte:
»Aber, wenn man vor dir einen Menschen tötet, – was willst du dann tun?«
Und er schrie sie an wie ein kleines Mädchen:
»Hör' auf, dummes Weib!«
Es schien ihr, daß er sie schlagen wollte, und sie erinnerte sich mit verhaltenen Tränen an die erste Nacht mit ihm, – wieviel Innigkeit und Schüchternheit hatte er damals gezeigt! Es fiel ihr ein, daß er sie noch nie geprügelt hatte, wie es alle Männer sonst mit ihren Frauen tun, und sie sagte mit unterdrücktem Schluchzen:
»Verzeih, das Tier tut mir so leid.«
»Du solltest lieber mich und nicht den Bären bedauern«, erwiderte er halblaut und schon freundlicher.
Als sie sich zum erstenmal bei der Mutter über die Strenge ihres Mannes beklagte, sägte die ihr mit Nachdruck:
»Der Mann, ist die Biene, wir sind für ihn Blumen, er sammelt bei uns Honig, – das muß man verstehen und muß dulden lernen, Liebling. Die Männer herrschen über alles, sie haben mehr Sorgen, als wir, sie bauen zum Beispiel Kirchen und Fabriken. Sieh doch nur, was der Schwiegervater alles auf dem Ödland aufgebaut hat ...«
Ilja Artamonow eilte immer toller, sein Werk zu fördern und zu festigen, als ahnte er, daß die ihm gestellte Frist knapp sei. Im Mai, kurz vor dem Nikolaustag, kam der Dampfkessel für das zweite Werkgebäude an; er kam in einem Kahn, der an dem sandigen Ufer der Oka dort landete, wo das Sumpfwasser der grünen Watarakscha in sie mündete. Es stand eine schwere Arbeit bevor: der Kessel mußte etwa fünfzehnhundert Schritt weit über sandigen Boden geschleppt werden. Am Nikolaustage gab Artamonow den Arbeitern ein reichliches Feiertagsessen mit Schnaps und Bier; die Tische waren auf dem Hof gedeckt, die Frauen hatten sie mit Fichten und Birkenzweigen und mit Sträußen der ersten Frühlingsblumen geschmückt und hatten sich selbst bunt, wie Blumen, herausgeputzt. Der Hausherr saß mit seiner Familie und einigen Gästen mitten unter den alten Webern bei Tisch, wechselte mit den kecken, zungengewandten Spulerinnen gepfefferte Scherze, trank viel, pulverte die Leute kunstvoll zum Frohsinn auf und rief angeregt, sich mit der Hand durch den ergrauten Bart fahrend: