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»Sie ist in die Speisekammer gegangen, – Zucker holen.«

»Zucker holen?« wiederholte Bajmakow düster und ließ sich auf die Rasenbank nieder. »Zucker! Nein es ist schon wahr, – diese Freiheit wird den Menschen große Unruhe bringen.«

Die Frau betrachtete ihn forschend und fragte besorgt:

»Was hast du? Ist dir wieder nicht wohl?«

»Ich habe schwere Sorge im Herzen. Ich glaube, dieser Mann ist gekommen, um mich auf Erden abzulösen.«

Die Frau suchte ihn zu beruhigen.

»Was fällt dir denn ein! Kommen jetzt etwa wenig Leute aus dem Dorf in die Stadt?«

»Das ist es ja gerade, daß solche Leute kommen! Ich will dir vorläufig noch nichts sagen, laß mich erst überlegen ...«

»Nach fünf Tagen legte sich Bajmakow ins Bett. Nach weiteren zwölf Tagen starb er, und sein Tod hüllte Artamonow und dessen Söhne in noch tieferen Schatten. Während der Krankheit des Stadtältesten kam Artamonow zweimal zu ihm, und sie unterhielten sich lange, unter vier Augen; beim zweitenmal rief Bajmakow seine Frau herein und sagte mit müde auf der Brust gefalteten Händen:

»Da, sprich mit ihr, ich glaub', ich hab' an irdischen Dingen schon keinen Anteil mehr. Laßt mich ausruhen.«

»Komm' mit, Uljana Iwanowna«, befahl Artamonow und verließ das Zimmer, ohne sich umzusehen, ob die Hausfrau ihm folge.

»Geh', Uljana; es ist wohl vom Schicksal so bestimmt«, riet der Älteste leise der Frau, da er sah, daß sie zögerte, dem Gast zu folgen. Sie war eine kluge, charaktervolle Frau und tat nichts ohne Überlegung; jetzt kam es aber so, daß sie nach einer Stunde zu ihrem Manne zurückkehrte, mit einer Bewegung der schönen, langen Wimpern die Tränen wegschüttelte und sagte:

»Nun, Mitritsch, es scheint wirklich unser Schicksal zu sein, – gib unserer Tochter deinen Segen.«

Am Abend führte sie die prunkvoll gekleidete Tochter zum Bette ihres Mannes; Artamonow schob seinen Sohn zu ihr hin, der Bursche und das Mädchen faßten sich, ohne einander anzusehen, bei den Händen, knieten mit gesenkten Köpfen nieder, und Bajmakow bedeckte sie, schwer atmend, mit einem uralten, perlenübersäten, vom Vater stammenden Heiligenbild:

»Im Namen des Vaters und des Sohnes ... Herr, versage deine Gnade nicht meinem einzigen Kinde!«

Und er sprach streng zu Artamonow:

»Merke dir, – du trägst vor Gott die Verantwortung für meine Tochter!«

Dieser verneigte sich vor ihm, indem er mit der Hand die Erde berührte.

»Das weiß ich.«

Und ohne seiner künftigen Schwiegertochter ein freundliches Wort zu sagen, sie und den Sohn kaum anblickend, wies er mit dem Kopf nach der Tür:

»Geht.«

Als das Paar nach dem Segen draußen war, setzte er sich zu dem Kranken aufs Bett und sagte mit Bestimmtheit:

»Sei ruhig, es wird alles geschehen, wie es sich gehört. Ich habe siebenunddreißig Jahre lang, ohne je bestraft zu werden, meinen Fürsten gedient. Der Mensch ist aber nicht Gott, der Mensch ist nicht gütig, es ist schwer, ihn zufriedenzustellen. Und auch dir, Gevatterin Uljana, soll es gut gehen, du wirst bei meinen Söhnen Mutterstelle übernehmen, und ich werde ihnen anbefehlen, dich zu achten.«

Bajmakow blickte schweigend in die Ecke auf die Heiligenbilder und weinte. Auch Uljana schluchzte, Artamonow sprach aber ärgerlich:

»Ach, Jewsej Mitritsch, du verläßt uns zu früh. Du hast dich nicht genug geschont. Und ich hätte dich noch so nötig, so dringend nötig!«

Er fuhr sich mit der Hand quer durch den Bart und seufzte geräuschvoll.

»Mir ist dein Wandel bekannt: du bist so klug und ehrlich, du solltest wenigstens noch fünf Jahre mit mir leben. Was wir alles unternehmen würden! Nun, es ist wohl Gottes Wille!«

Uljana schrie klagend:

»Warum krächzst du wie ein Rabe, warum erschreckst du uns? Vielleicht wird es noch ...«

Artamonow erhob sich jedoch, verneigte sich vor Bajmakow tief, wie vor einem Toten:

»Ich danke für das Vertrauen. Lebt wohl, ich muß zur Oka hinunter, – eine Barke mit Wirtschaftssachen ist angekommen.«

Als er fort war, heulte die Bajmakowa gekränkt auf:

»Nicht ein einziges freundliches Wort hat der ungehobelte Bauer für die seinem Sohne angelobte Braut gehabt!«

Ihr Mann unterbrach sie:

»Gräme dich nicht, störe meine Ruhe nicht!« Und er fügte nach kurzem Überlegen hinzu:

»Halte dich an ihn: dieser Mensch ist sicherlich besser als die hiesigen.«

Bajmakow wurde von der ganzen Stadt ehrenvoll zu Grabe getragen. Die Geistlichkeit aller fünf Kirchen war vertreten. Die Artamonows folgten gleich hinter der Frau und der Tochter des Verstorbenen dem Sarge. Das mißfiel den Städtern; der bucklige Nikita, der hinter seinen Angehörigen ging, hörte, wie man in der Menge brummte:

»Man weiß gar nicht, wer er ist, und doch drängt er sich gleich an die erste Stelle.«

Pomialow rollte seine runden, eichelfarbenen Augen und flüsterte:

»Der verstorbene Jewsej und auch Uljana sind vorsichtige Menschen, sie haben nie etwas ohne Grund getan, folglich ist hier ein Geheimnis: dieser Geier hat sie durch irgend etwas verführt. Würden sie ihn sonst so in die Familie nehmen?«

»Ja–a, es ist eine dunkle Sache.«

»Ich sage ja auch – eine dunkle Sache. Sicher handelt es sich um falsches Geld. Und was für ein heiliges Leben schien Bajmakow doch zu führen, nicht?«

Nikita hörte mit gesenktem Kopf und vorgestrecktem Buckel zu, als erwartete er Schläge. Es war ein stürmischer Tag, der Wind blies hinter der Menge her, der von Hunderten von Füßen aufgewirbelte Staub schwebte wie eine Rauchwolke hinter den Leuten und setzte sich dicht in die fettigen Haare der entblößten Köpfe. Jemand sagte:

»Sieh doch, wie Artamonow von unserem Staub eingepfeffert ist! Der Zigeuner ist ganz grau geworden ...«

Am zehnten Tage nach der Beerdigung ihres Mannes übergab Uljana Bajmakowa Artamonow ihr Haus und fuhr mit ihrer Tochter ins Kloster. Sowohl er, als seine Söhne schienen von einem Wirbelwind erfaßt zu sein; sie tauchten von früh bis spät vor aller Augen auf, schritten eilig durch die Straßen und bekreuzten sich hastig vor den Kirchen; der Vater war laut und ungestüm, der älteste Sohn düster, schweigsam und sichtlich ängstlich oder schüchtern, der schöne Alexej war herausfordernd gegen die Burschen und zwinkerte frech den Mädchen zu, Nikita schleppte seinen spitzen Buckel bei Sonnenaufgang nach dem andern Ufer hinüber zur »Kuhzunge«, wo Schreiner und Maurer wie Krähen zusammenkamen und eine langgestreckte Backsteinkaserne aufführten; abseits, an der Oka, wurde ein großes, zweistöckiges Haus aus zwölf Zoll dicken Balken gebaut; dieses Haus erinnerte an ein Gefängnis. Des Abends versammelten sich die Einwohner von Driomow am Ufer der Watarakscha, knabberten Kürbis- und Sonnenblumenkerne, lauschten dem Schnarchen und Kreischen der Sägen, dem Scharren der Hobel, den tief eindringenden Schlägen der scharfen Äxte und gedachten spöttisch der Fruchtlosigkeit des Turmbaues von Babel, während Pomialow den Fremden trostreich allerhand Unheil prophezeite.

»Im Frühjahr wird das Wasser diese scheußlichen Gebäude unterwaschen. Es kann auch Feuer ausbrechen: die Schreiner rauchen Tabak, und überall hegen Holzspäne herum.«

Der schwindsüchtige Pope Wasili stimmte ihm zu:

»Sie bauen auf Sand.«

»Sie werden Fabrikarbeiter hertreiben, und dann fängt Saufen, Stehlen und Huren an.«

Der kolossale, vor Fett überquellende, nach allen Seiten aufgedunsene Müller und Schankwirt Luka Barski tröstete mit seiner heiseren Baßstimme:

»Wenn mehr Menschen da sind, findet man leichter sein Auskommen. Das macht nichts, die Leute sollen nur arbeiten.«

Nikita Artamonow belustigte die Stadtbewohner sehr; er rodete und hackte auf einem großen Viereck das Weidengesträuch aus, schöpfte tagelang den fetten Schlamm der Watarakscha, stach im Sumpfe Torf, den er, seinen Buckel himmelwärts hebend, in einem Karren wegbrachte und auf dem Sand in schwarzen Haufen ausbreitete.