»Ist dein Sohn nicht gut abgerichtet? Das will ich meinen! Sieh nur, Uljana, wie ich deine Tochter erzogen habe! Und dein Schwiegersohn ? Er stolziert wie ein Pfau einher, als ginge ihn das ganze gar nichts an!«
Wenn Pjotr und Natalia aber heimgingen schlafen, warfen sie zugleich mit den Kleidern alles ab, was man ihnen aufgezwungen hatte und was sie demütig auf sich genommen hatten, und besprachen den verflossenen Tag:
»Wie bei euch aber getrunken wird!« staunte Pjotr.
»Trinkt man denn bei euch weniger?« fragte die junge Frau.
»Dürfen die Bauern denn so trinken ?«
»Ihr seht gar nicht wie Bauern aus.«
»Wir gehörten zum Hofgesinde. Das ist schon beinahe so gut wie Edelleute.«
Manchmal umfaßten sie einander und setzten sich ans Fenster. Sie atmeten die appetitlichen Gartengerüche ein und schwiegen:
»Warum schweigst du?« fragte leise die junge Frau. Ihr Mann erwiderte ebenso leise:
»Ich habe keine Lust, gewöhnliche Worte zu sagen.«
Er wünschte ungewöhnliche Worte zu hören; doch kannte Natalia keine. Wenn er ihr aber von der grenzenlosen Weite und Freiheit der goldenen Steppen erzählte, fragte sie:
»Gibt es denn dort keine Wälder oder sonst irgend etwas? Oh, wie schrecklich muß das sein!«
»Der Schrecken lebt in den Wäldern«, sagte Pjotr etwas gelangweilt. »Was findest du denn an der Steppe schrecklich? Dort ist die Erde, dort ist der Himmel, dort bin ich...«
Als sie einmal so am Fenster saßen und schweigend die Sternennacht bewunderten, hörten sie im Garten, beim Badehaus ein Rumoren,–jemand lief da, streifte und zerbrach die Ruten der Himbeersträucher, darauf ertönte ein leiser, zorniger Ausruf:
»Was fällt dir ein, du Teufel ?«
Natalia sprang erschrocken auf.
»Das ist ja die Mutter!«
Pjotr beugte sich zum Fenster hinaus, das er durch seinen breiten Rücken verstellte; er sah, daß sein Vater seine Schwiegermutter umfaßt hielt, sie gegen die Badehauswand preßte und auf die Erde zu werfen versuchte, während sie mit den Händen rasch ausholte, ihn auf den Kopf schlug und atemlos laut flüsterte:
»Laß mich, ich schreie sonst!«
Und dann schrie sie mit ganz fremder Stimme:
»Liebster, rühr' mich nicht an! Hab' Mitleid ...«
Pjotr schloß geräuschlos das Fenster und nahm seine Frau auf den Schoß.
»Schau nicht hin.«
Sie zappelte in seinen Armen und rief:
»Was ist das, wer ist's ?«
»Der Vater«, sagte Pjotr, sie fest an sich pressend. »Verstehst du denn nicht?«
»Ach, was ist das bloß?« flüsterte sie voll Scham und Angst. Ihr Mann trug sie zum Bett und sagte demütig:
»Wir dürfen über die Eltern nicht zu Gericht sitzen.«
Natalia hielt sich mit den Händen den Kopf und jammerte, sich hin und her wiegend:
»Welche Sünde!«
»Es ist nicht unsere Sünde«, sagte Pjotr und dachte an die Worte des Vaters: ,die Herrschaft hat sich noch ganz andere Dinge erlaubt'. »So ist es sogar besser: nun wird er sich nicht über dich hermachen. Für die Alten ist das eine einfache Sache; für sie ist es eine geringe Sünde, sich mit der Schwiegertochter abzugeben. Weine nicht.«
Sie sagte unter Tränen:
»Schon als sie tanzten, dachte ich es mir ... Und wie, wenn er Gewalt anwendet, was soll dann bei uns werden ?«
Doch sie schlief bald ein, von der Aufregung ermattet und ohne sich auszukleiden. Pjotr öffnete das Fenster und blickte forschend in den Garten; es war niemand da, und er atmete den den Morgen verkündenden Wind ein, während die Bäume das vom Wohlgeruch erfüllte Dunkel in Bewegung setzten. Er ließ das Fenster offenstehen, legte sich neben seine Frau und dachte, ohne die Augen zu schließen, über das Vorgefallene nach. Wie schön wäre es, mit Natalia in einem kleinen Gutshaus zu leben! ...
... Natalia erwachte bald; ihr schien, das Mitleid mit der Mutter und die ihretwegen erduldete Kränkung hätten sie geweckt. Sie ging barfuß und im bloßen Hemd nach unten. Die des Nachts stets geschlossene Tür zum Zimmer der Mutter stand halb offen, was die junge Frau noch mehr erschreckte. Als sie aber in die Ecke bückte, wo sich das Bett der Mutter befand, sah sie unter dem Laken eine weiße Erhöhung und auf dem Kissen die ausgebreiteten dunklen Haare.
»Sie schläft. Sie hat geweint und sich abgehärmt ...«
Natalia mußte irgend etwas beginnen, die gekränkte Mutter irgendwie trösten. Sie ging in den Garten; das kalte, taunasse Gras kitzelte die Füße; soeben war hinter dem Wald die Sonne aufgestiegen, deren schräge Strahlen die Augen blendeten. Sie wärmten kaum. Sie pflückte ein vom Tau versilbertes Huflattichblatt, hielt es erst an die eine und dann an die andere Wange, und als sie ihr Gesicht erfrischt hatte, begann sie Träubchen roter Johannisbeeren zu pflücken und in das Blatt hineinzutun, während sie ohne Zorn an den Schwiegervater dachte. Er pflegte sie mit der schweren Hand auf den Rücken zu klopfen und dabei schmunzelnd zu fragen:
»Nun, wie steht es, lebst du ? Atmest du? Nun gut, lebe nur!«
Er schien für sie keine anderen Worte zu haben, das freundliche Tätscheln beleidigte sie aber ein wenig, so pflegt man Pferde zu liebkosen.
»So ein Räuber!« dachte sie und zwang sich, an den Schwiegervater feindselig zu denken..
Es sangen die Finken und Rotkehlchen, es zwitscherten die Zeisige, die Baumblätter raschelten leise und seidig, irgendwo am Stadtrande blies ein Schäfer, vom Ufer der Watarakscha, wo die Fabrik lag, tönten Menschenstimmen herüber und schwebten langsam durch die helle Stille. Irgend etwas schnappte zu, Natalia erhob, zusammenzuckend, den Kopf, – über ihr, auf einem Apfelbaum, hing eine Vogelfalle, ein Zeisig zappelte zwischen den dünnen Ruten.
»Wer fängt hier Vögel? Etwa Nikita?«
Irgendwo knackte ein trockener Ast.
Als sie ins Haus zurückkehrte und in das Zimmer der Mutter hineinsah, lag diese mit nach oben gewendetem Gesicht wach da. Sie hob erstaunt die Augenbrauen und schob die eine Hand unter den Kopf.
»Wer ist da ... Was hast du ?« fragte sie beunruhigt, sich auf dem Ellenbogen aufrichtend.
»Nichts! Hier habe ich dir Johannisbeeren zum Tee gepflückt.«
Auf dem Tisch neben dem Bett lag eine große, fast leere Karaffe mit Kwas, der über das Tischtuch gegossen war, der Stöpsel lag auf der Erde. Die strengen, hellen Augen der Mutter waren von bläulichen Schatten umringt, aber nicht von Tränen verschwollen, wie Natalia erwartet hatte; die Augen selbst erschienen dunkler, sie hatten sich vertieft und ihr sonst etwas hochmütiger Blick erschien heute fremd, kam aus der Ferne, war zerstreut.
»Die Mücken lassen mich nicht schlafen, ich will mich lieber in die Scheune legen,« sagte die Mutter und wickelte den Hals in das Laken. »Sie haben mich ganz zerbissen. Warum bist du denn so früh aufgestanden? Warum läufst du barfuß im Tau herum? Dein Rock ist ganz naß. Du wirst dich erkälten ...«
Die Mutter sprach unfreundlich, widerwillig und aus irgendwelchen eigenen Gedanken heraus. Die Unruhe der Tochter wurde allmählich von einer nicht wohlwollenden und scharfen weiblichen Neugierde abgelöst.
»Beim Erwachen habe ich an dich gedacht ... ich habe von dir geträumt.«
»Was dachtest du?« erkundigte sich die Mutter, auf die Zimmerdecke blickend.
»Du schläfst jetzt ganz allein, ohne mich ...«
Es kam Natalia vor, als ob die Wangen der Mutter sich röteten, und als sie lächelnd sagte: »Ich bin nicht ängstlich«, schien ihr dieses Lächeln nicht aufrichtig zu sein.