„Und ich kann nichts weiter sagen“, rief der Jüngling, „als daß alles wahr ist bei meiner Seele und beim Bart des Propheten!“
„Was! Bei deiner Seele willst du schwören?“ schrie der Kaufmann. „Bei deiner schwarzen, lügenhaften Seele? Wer soll da glauben? Und beim Bart des Propheten, du, der du selbst keinen Bart hast? Wer soll da trauen?“
„Ich habe freilich keinen Zeugen“, fuhr Said fort, „aber habt Ihr mich nicht gefesselt und elend gefunden?“
„Das beweist mir gar nichts“, sprach jener, „du bist gekleidet wie ein stattlicher Räuber, und leicht hast du einen angefallen, der stärker war als du und dich besiegte und band.“
„Den einzelne n oder sogar zwei möchte ich sehen“, entgegnete Said, „die mich niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten eine Schlinge über den Kopf werfen. Ihr mögt in Eurem Basar freilich nicht wissen, was ein einzelner vermag, wenn er in den Waffen geübt ist. Aber Ihr hat mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt Ihr denn aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht unterstützt, so muß ich betteln, und ich mag keinen meinesgleichen um eine Gnade anflehen; an den Kalifen will ich mich wenden.“
„So?“ sprach der Kaufmann höhnisch lächelnd. „An niemand anders wollt Ihr Euch wenden als an unseren allergnädigsten Herrn? Das heiße ich vornehm betteln? Ei, ei! Bedenkt aber, junger vornehmer Herr, daß der Weg zum Kalifen an meinem Vetter Messour vorbeigeht und daß es mich ein Wort kostet, den Oberkämmerer darauf aufmerksam zu machen, wie trefflich Ihr lügen könnt. - Aber mich dauert deine Jugend, Said. Du kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden. Ich will dich in mein Gewölbe im Basar nehmen, dort sollst du mir ein Jahr lang dienen, und ist dies vorbei und willst du nicht bei mir bleiben, so zahle ich dir deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst, nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora, meinetwegen zu den Ungläubigen. Bis Mittag gebe ich dir Bedenkzeit; willst du, so ist es gut, willst du nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die Reisekosten, die du mir verursacht, und den Platz auf dem Kamel, mache mich mit deinen Kleidern und allem, was du hast, bezahlt, und werfe dich auf die Straße; dann kannst du beim Kalifen oder beim Mufti, an der Moschee oder im Basar betteln.“
Mit diesen Worten verließ der böse Mann den unglücklichen Jüngling. Said blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empört über die Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn absichtlich mit genommen und in sein Haus gelockt hatte, damit er ihn in seine Gewalt bekäme. Er versuchte, ob er nicht entfliehen könnte, aber sein Zimmer war vergittert und die Türe verschlossen. Endlich, nachdem sein Sinn sich lange dagegen gesträubt hatte, beschloß er, fürs erste den Vorschlag des Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewölbe zu dienen. Er sah ein, daß ihm nichts Besseres zu tun übrigbleibe; denn wenn er auch entfloh, so konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber er nahm sich vor, sobald als möglich den Kalifen selbst um Schutz anzuflehen.
Den folgenden Tag führte Kalum-Bek seinen neuen Diener in sein Gewölbe im Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren, womit er handelte, und wies ihm
seinen besonderen Dienst an. Dieser bestand darin, daß Said, angekleidet wie ein Kaufmannsdiener und nicht mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der andern einen prachtvollen Schleier, unter der Türe des Gewölbes stand, die vorübergehenden Männer oder Frauen anrief, seine Waren vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud; und jetzt konnte sich Said auch erklären, warum ihn Kalum-Bek zu diesem Geschäft bestimmt hatte. Er war ein kleiner, häßlicher Alter, und wenn er selbst unter dem Laden stand und anrief, so sagte mancher Nachbar oder auch einer der Vorübergehenden ein witziges Wort über ihn, oder die Knaben spotteten seiner, und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber jedermann sah gerne den jungen, schlanken Said, der mit Anstand die Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten wußte.
Als Kalum-Bek sah, daß sein Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann, speiste ihn besser als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schön und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig gerührt und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt zurückzukehren.
Eines Tages war im Gewölbe vieles verkauft worden, und alle Packknechte, welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau eintrat und noch einiges kauft e. Sie hatte bald gewählt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage. „In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken“, antwortete Kalum-Bek, „nur so lange müßt Ihr Euch gedulden oder irgendeinen anderen Packer nehmen.
„Seid Ihr ein Kaufmann und wollet Euren Kunden fremde Packer mitgeben?“ rief die Frau. „Kann nicht ein solcher Bursche im Gedränge mit meinem Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht, mir meinen Pack nach Hause tragen zu lassen, und an Euch kann und will ich mich halten.“
„Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!“ sprach der Kaufmann, sich immer ängstlicher drehend. „Alle meine Packknechte sind verschickt -“
„Das ist ein schlechtes Gewölbe, das nicht immer einige Knechte übrig hat!“ entgegnete das böse Weib. „Aber dort steht ja noch solch ein junger Müßiggänger; komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trage ihn mir nach.“
„Halt! Halt!“ schrie Kalum-Bek. „Das ist mein Aushängeschild, mein Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!“
„Was da!“ erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihren Pack unter den Arm. „Das ist ein schlechter Kaufmann und elende Waren, die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen müßigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld verdienen.“
„So lauf im Namen Arimans und aller bösen Geister“, murmelte Kalum-Bek seinem Magnet zu; „und siehe zu, daß du bald wiederkommst; die alte Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Basar, wollte ich mich länger weigern.“
Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes, als man ihrem Alter zutrauen sollte, durch den Markt und die Straßen eilte. Sie stand endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an,
die Flügeltüren sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann, sein Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstück und hieß ihn gehen.
Er war schon an der Türe, als eine helle, feine Stimme „Said“ rief; verwundert, daß man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, saß statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung.
„Said, mein lieber Junge“, sprach die Dame, „sosehr ich die Unfälle bedaure, die dich nach Bagdad führten, so war doch dies der einzige vom Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem zwanzigsten Jahr dein Vaterhaus verließest, dein Schicksal lösen würde. Said, hast du noch dein Pfeifchen?“
„Wohl habe ich es noch“, rief er freudig, indem er die goldene Kette hervorzog; „und ihr seid vielleicht die gütige Fee, die mir dieses Angebinde gab, als ich geboren wurde?“