„Ich sträube mich nicht“, sagte dieser, „obgleich unser Nachbar der Herr Jäger, den Anfang nicht gehört hat.“
„Ich muß ihn mir hinzudenken, fanget nur an!“ rief der Jäger.
„Nun denn“, wollte eben der Studiosus beginnen, als sie durch das Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden. Alle hielten den Atem an und horchten; zugleich stürzte einer der Bedienten aus dem Zimmer der Gräfin und rief, daß wohl zehn bis zwölf bewaffnete Männer von der Seite her auf die Schenke zukämen.
Der Jäger griff nach seiner Büchse, der Student nach seiner Pistole, die Handwerksburschen nach ihres Stöcken, und der Fuhrmann zog ein langes Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an.
„Laßt uns an die Treppe gehen!“ rief der Student. „Zwei oder drei dieser Schurken sollen doch zuvor ihren Tod finden, ehe wir überwältigt werden.“ Zugleich gab er dem Zirkelschmied seine zweite Pistole und rief, daß sie nur einer nach dem andern schießen wollten. Sie stellten sich an die Treppe; der Student und der Jäger nahmen gerade ihre ganze Breite ein; seitwärts neben dem Jäger stand der mutige Zirkelschmied und beugte sich über das Geländer, indem er die Mündung seiner Pistole auf die Mitte der Treppe hielt. Der Goldarbeiter und der Fuhrmann standen hinter ihnen bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen sollte, das Ihrige zu tun. So standen sie einige Minuten in stiller Erwartung; endlich hörte man die Haustüre aufgehen, sie glaubten auch das Flüstern mehrerer Stimmen zu vernehmen.
Jetzt hörte man Tritte vieler Menschen der Treppe nahen, man kam die Treppe herauf, und auf der ersten Hälfte zeigten sich drei Männer, die wohl nicht auf den Empfang gefaßt waren, der ihnen bereitet war. Denn als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jäger mit starker Stimme: „Halt! Noch einen Schritt weiter, und ih r seid des Todes. Spannet die Hähne, Freunde und gut gezielt!“
Die Räuber erschraken, zogen sich eilig zurück und berieten sich mit den übrigen. Nach einer Weile kam einer davon zurück und sprach: „Ihr Herren! Es wäre Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu wollen, denn wir sind unserer genug, um euch völlig aufzureiben; aber ziehet euch zurück, es soll keinem das Geringste zuleide geschehen; wir wollen keines Groschen Wert von euch nehmen.“
„Was wollt ihr denn sonst?“ rief der Student. „Meint ihr, wir werden solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen, in Gottes Namen so kommt, aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne ich auf die Stirne, daß er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben soll!“
„Gebt uns die Dame heraus, gutwillig!“ antwortete der Räuber. „Es soll ihr nichts geschehen, wir wollen sie an einen sicheren und bequemen Ort führen, ihre Leute können zurückreiten und den Herrn Grafen bitten, er möge sie mit zwanzigtausend Gulden auslösen.“
„Solche Vorschläge sollen wir uns machen lassen?“ entgegnete der Jäger knirschend vor Wut und spannte den Hahn. „Ich zähle drei, und wenn du da unten nicht bei drei hinweg bist, so drücke ich los, ein, zwei -“
„Halt!“ schrie der Räuber mit donnernder Stimme. „Ist das Sitte, auf einen wehrlosen Mann zu schießen, der mit euch friedlich unterhandelt? Törichter Bursche, du kannst mich totschießen, und dann hast du erst keine große Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden, die mich rächen werden. Was nützt es dann deiner Frau Gräfin, wenn ihr tot oder verstümmelt auf dem Flur lieget? Glaube mir, wenn sie freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden, aber wenn du, bis ich drei zähle, nicht den Hahn in Ruhe setzest, so soll es ihr übel ergehen. Hahn in Ruh, eins, zwei, drei!“
„Mit diesen Hunden ist nicht zu spaßen“, flüsterte der Jäger, indem er den Befehl des Räubers befolgte; „wahrhaftig, an meinem Leben liegt nichts, aber wenn ich einen niederschieße, könnten sie meine Dame um so härter behandeln. Ich will die Gräfin um Rat fragen. Gebt uns“, fuhr er mit lauter Stimme fort, „gebt uns eine halbe Stunde Waffenstillstand, um die Gräfin vorzubereiten, sie würde, wenn sie es so plötzlich erführe, den Tod davon haben.“
„Zugestanden“, antwortete der Räuber und ließ zugleich den Ausgang der Treppe mit sechs Mann besetzen.
Bestürzt und verwirrt folgten die unglücklichen Reisenden dem Jäger in das Zimmer der Gräfin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte man verhandelt, daß ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und zitterte heftig, aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in ihr Schicksal zu ergeben: „Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler braven Leute aufs Spiel setzen?“ sagte sei. „Warum euch zu einer vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht kennet? Nein, ich sehe, daß keine andere Rettung ist, als den Elenden zu folgen.“
Man war allgemein von dem Mut und dem Unglück der Dame ergriffen; der Jäger weinte und schwur, daß er diese Schmach nicht überleben könne. Der Student aber schmähte auf sich und seine Größe von sechs Fuß. „Wäre ich nur um einen halben Kopf kleiner“, rief er, „und hätte ich keinen Bart, so wüßte ich wohl, was ich zu tun hätte, ich ließe mir von der Frau Gräfin Kleider geben, und diese Elenden sollten spät genug erfahren, welchen Mißgriff sie getan.“
Auch auf Felix hatte das Unglück dieser Frau großen Eindruck gemacht. Ihr ganzes Wesen kam ihm so rührend und bekannt vor, es war ihm, als sei es seine früh verstorbene Mutter, sie sich in dieser schrecklichen Lage befinde. Er fühlte sich so gehoben, so mutig, daß er gerne sein Leben für das ihrige gegeben hätte. Doch als der Student jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele auf; er vergaß alle Angst, alle Rücksichten, und er dachte nur an di e Rettung dieser Frau. „Ist es nur dies“, sprach er, in dem er schüchtern und errötend hervortrat, „gehört nur ein kleiner Körper, ein bartloses Kinn und ein mutiges Herz
dazu, die gnädige Frau zu retten, so bin ich vielleicht auch nicht zu schlecht dazu; ziehet in Gottes Namen meinen Rock an, setzet meinen Hut auf Eurer schönes Haar und nehmet mein Bündel auf den Rücken und - ziehet als Felix, der Goldarbeiter, Eure Straße.“
Alle waren erstaunt über den Mut des Jünglings, der Jäger aber fiel ihm freudig um den Hals. „Goldjunge“, rief er, „das wolltest du tun? Wolltest dich in meiner gnädigen Frau Kleider stecken lassen und sie retten? Das hat dir Gott eingegeben; aber allein sollst du nicht gehen, ich will mich gefangen geben, will bei dir bleiben an deiner Seite, als dein bester Freund, und solange ich lebe, sollen sie dir nichts anhaben dürfen.“ - „Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!“ rief der Student und schloß den Jüngling in seine Arme.
Es kostete lange Überredung, um die Gräfin zu diesem Vorschlage zu überreden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein fremder Mensch für sie sich aufopfern sollte; sie dachte sich im Falle einer späteren Entdeckung die Rache der Räuber, die ganz auf den Unglücklichen fallen würde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des jungen Menschen, teils die Überzeugung, im Falle sie gerettet würde, alles aufbieten zu können, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie willigte ein. Der Jäger und die übrigen Reisenden begleiteten Felix in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der Gräfin überwarf. Der Jäger setzte ihm noch zum Überfluß einige falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und alle versicherten, daß man ihn nicht erkennen würde. Selbst der Zirkelschmied schwur, daß, wenn er ihm auf der Straße begegnete, er flink den Hut abziehen und nicht ahnen würde, daß er vor seinem mutigen Kameraden sein Kompliment mache.