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„Da hat es gute Wege“, erwiderte der Fuhrmann. „Ich kenne diese Wirtschaft seit mehr als zehn Jahren und habe nie etwas Unrechtes darin verspürt. Der Mann ist selten zu Hause, man sagt, er treibe Weinhandel; die Frau aber ist eine stille Frau, die niemand Böses will; nein, diesen tut Ihr unrecht, Herr!“

„Und doch“, nahm der junge vornehme Herr das Wort, „doch möchte ich nicht so ganz verwerfen, was er gesagt. Erinnert euch an die Gerüchte von jenen Leuten, die in diesem Wald auf einmal spurlos verschwunden sind. Mehrere davon hatten vorher gesagt, sie werden in diesem Wirtshaus übernachten, und als man nach zwei oder drei Wochen nichts von ihnen vernahm, ihrem Weg na chforschte und auch hier im Wirtshaus nachfragte, da soll nun keiner gesehen worden sein; verdächtig ist es doch.“

„Weiß Gott“, rief der Zirkelschmied, „da handelten wir ja vernünftiger, wenn wir unter dem nächsten besten Baum unser Nachtlager nehmen als hier in diesen vier Wänden, wo an kein Entspringen zu denken ist, wenn sie einmal die Türe besetzt haben; denn die Fenster sind vergittert.“

Sie waren alle durch diese Reden nachdenklich geworden. Es schien gar nicht unwahrscheinlich, daß die Schenke im Wald, sei es gezwungen oder freiwillig, im Einverständnis mit den Räubern wäre. Die Nacht schien ihnen daher gefährlich, denn wie manche Sage hatten sie gehört von Wanderern, die man im Schlafe überfallen und gemordet hatte; und sollte es auch nicht an ihr Leben gehen, so war doch ein Teil der Gäste in der Waldschenke von so beschränkten Mitteln, daß ihnen ein Raub an einem Teil ihrer Habe sehr empfindlich gewesen wäre. Sie schauten verdrießlich und düster in ihre Gläser. Der junge Herr wünschte auf seinem Roß durch ein sicheres, offenes Tal zu traben, der Zirkelschmied wünschte sich zwölf seiner handfesten Kameraden, mit Knütteln bewaffnet, als Leibgarde, Felix, dem Goldarbeiter, war bange, mehr um den Schmuck seiner Wohltäterin als um sein Leben; der Fuhrmann aber, der einige Male den Rauch seiner Pfeife nachdenklich vor sich hingeblasen, sprach leise: „Ihr Herren, im Schlaf wenigstens sollen sie uns nicht überfallen. Ich für meinen Teil will, wenn nur noch einer mit mir hält, die ganze Nacht wach bleiben.“

„Das will ich auch!“ - „Ich auch“, riefen die drei übrigen. „Schlafen könnte ich doch nicht“, setzte der junge Herr hinzu.

„Nun, so wollen wir etwas treiben, daß wir wach bleiben“, sagte der Fuhrmann; „ich denke, weil wir doch gerade zu vier sind, könnten wir Karten spielen, das hält wach und vertreibt die Zeit.“

„Ich spiele niemals Karten“, erwiderte der junge Herr, „Darum kann ich wenigstens nicht mithalten.“

„Und ich kenne die Karten gar nicht“, setzte Felix hinzu.

„Was können wir denn aber anfangen, wenn wir nicht spielen?“ sprach der Zirkelschmied. „Singen? Das geht nicht und würde nur das Gesindel herbeilocken; einander Rätsel und Sprüche aufgeben zum Erraten? Das dauert auch nicht lange. Wißt ihr was? Wie wäre es, wenn wir uns etwas erzählten? Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, es hält doch wach und vertreibt die Zeit so gut wie Kartenspiel.“

„Ich bin’s zufrieden, wenn ihr anfangen wollt“, sagte der junge Herr lächelnd. „Ihr Herren vom Handwerk kommt in allen Ländern herum und könnt schon etwas erzählen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und Geschichten.“

„Ja, ja, man hört manches“, erwiderte der Zirkelschmied, „dafür studieren Herren wie ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wüßtet Ihr noch Klügeres und Schöneres zu erzählen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich müßte alles trügen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter.“

„Ein Gelehrter nicht“, lächelte der junge Herr, „wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unseren Büchern steht, eignet sich weniger zum Erzählen, als was ihr hie und dort gehört. Darum hebt immer an, wenn anders diese da gerne zuhören.“

„Noch höher als Kartenspiel“, erwiderte der Fuhrmann, „gilt bei mir, wenn einer eine schöne Geschichte erzählt. Oft fahre ich auf der Landstraße lieber im elendesten Schritt und höre einem zu, der nebenher geht und etwas Schönes erzählt; manchen habe ich schon im schlechten Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, daß er etwas erzähle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deswegen so lieb, weil er Geschichten weiß, die sieben Stunden lang und länger dauern.“

„So geht es auch mir“, setzte der junge Goldschmied hinzu, „erzählen höre ich für mein Leben gerne, und mein Meister in Würzburg mußte mir die Bücher ordentlich verbieten, daß ich nicht zu viel Geschichten las und die Arbeit darüber vernachlässigte. Drum gib nur etwas Schönes preis, Zirkelschmied, ich weiß, du könntest erzählen von jetzt an, bis es Tag wird, ehe dein Vorrat ausginge.“

Der Zirkelschmied trank, um sich zu seinem Vortrag zu stärken, und hob alsdann also an:

Die Sage vom Hirschgulden

In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die stattlichste der Gegend war: Hohenzollern. Sie erhebt sich auf einem runden steilen Berg, und von ihrer schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. So weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen deutschen Landen. Nun lebte vor mehreren hundert Jahren, ich glaube das Schießpulver war kaum erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, daß er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen Nachbarn in Fehde gelebt hätte, aber dennoch traute ihm niemand über den Weg ob seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirn und seinem einsilbigen, mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer dem Schloßgesinde, die ihn je hätten ordentlich sprechen hören wie andere Menschen; denn wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und schnell die Mütze abnahm, sich hinstellte und sagte: „Guten Abend, Herr Graf, heute is t es schön Wetter“, so antwortete er: „Dummes Zeug!“ oder „Weiß schon!“. Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht, für ihn oder seine Rosse, begegnete ihn ein Bauer im Hohlweg mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen nicht schnell genug vorüberkommen konnte, so entlud sich sein Ingrimm in einem Donner von Flüchen; doch hat man nie gehört, daß er bei solchen Gelegenheiten einen Bauern geschlagen hätte. In der Gegend aber hieß man ihn „das böse Wetter von Zollern“.

Das böse Wetter von Zollern hatte eine Frau, die der Widerpart von ihm und so mild und freundlich war wie ein Maitag. Oft hat sie Leute, die ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch freundliche Worte und ihre gütigen Blicke wieder mit ihm ausgesöhnt; den Armen aber tat sie Gutes, wo sie konnte, und ließ es sich nicht verdrießen, sogar im heißen Sommer oder im schrecklichsten Schneegestöber den steilen Berg herabzugehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete ihr auf solchen Wegen der Graf, so sagte er mürrisch: „Weiß schon, dummes Zeug!“ und ritt weiter.

Manch andere Frau hätte dieses mürrische Wesen abgeschreckt oder eingeschüchtert; die eine hätte gedacht, was gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie für dummes Zeug hält; die andere hätte vielleicht aus Stolz oder Unmut die Liebe gegen einen so mürrischen Gatten erkalten lassen; doch nicht so Frau Hedwig von Zollern. Die liebte ihn nach wie vor, suchte mit ihrer schönen weißen Hand die Falten von seiner braunen Stirn zu streichen und liebte und ehrte ihn. Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein junges Gräflein zum Angebinde bescherte, liebte sie ihren Gatten nicht minder, indem sie ihrem Söhnchen dennoch alle Pflichten einer zärtlichen Mutter erzeigte. Drei Jahre lang vergingen, und der Graf von Zollern sah seinen Sohn nur alle Sonntage nach Tische, wo er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er blickte ihn dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihm der Amme zurück. Als jedoch der Kleine „Vater“ sagen konnte, schenkte der Graf der Amme einen Gulden - dem Kind machte er kein fröhlicheres Gesicht.