Doch diese Einsamkeit fühlte er nicht sehr lange; der gute Kuno starb schon in seinem achtundzwanzigsten Jahre, und böse Leute behaupteten an Gift, das ihm der kleine Schalk beigebracht hätte.
Wie dem aber auch sei, einige Stunden nach seinem Tode vernahm man wieder den Donner der Kanonen, und in Zollern und Schalksberg tat man fünfundzwanzig Schüsse. „Diesmal hat er doch daran glauben müssen“, sagte der Schalk, als sie unterwegs zusammentrafen.
„Ja“, antwortete Wolf, „und wenn er noch einmal aufersteht und zum Fenster herausschimpft wie damals, so hab’ ich ein Büchse bei mir, die ihn höflich und stumm machen soll.“
Als sie den Schloßberg hinanritten, gesellte sich ein Reiter mit Gefolge zu ihnen, den sie nicht kannten. Sie glaubten, er sei vielleicht ein Freund ihres Bruders und komme, um ihn beisetzen zu helfen. Daher gebärdeten sie sich kläglich, priesen vor ihm den Verstorbenen, beklagten sein frühes Hinscheiden, und der kleine Schalk preßte sich sogar einige Krokodilstränen aus. Der Ritter antwortete ihnen aber nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite den Hirschberg hinauf. „So, jetzt wollen wir es uns bequem machen und Wein herbei, Kellermeister, vom besten!“ rief Wolf, als er abstieg. Sie gingen die Wendeltreppe hinauf und in den Saal; auch dahin folgte ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz breit an den Tisch gesetzt hatten, zog jener ein Silberstück aus dem Wams, warf es auf den Schiefertisch, daß es umherrollte und klingelte, und sprach: „So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es wird just recht sein, ein Hirschgulden.“ Da sahen sich die beiden Brüder verwundert an, lachten und fragten ihn, was er damit sagen wolle.
Der Ritter aber zog ein Pergament hervor, mit hinlänglichen Siegeln, darin hatte der dumme Kuno alle Feindseligkeiten aufgezeichnet, die ihm die Brüder bei seinen Lebzeiten bewiesen,
und am Ende hatte er verordnet und bekannt, daß sein ganzes Erbe, Hab und Gut, außer dem Schmuck seiner seligen Mutter, auf dem Fall seines Todes an Württemberg verkauft sei, und zwar - um einen elenden Hirschgulden! Um den Schmuck aber solle man in der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen.
Da erstaunten nun die Brüder, abermals, lachten aber nicht dazu, sondern bissen die Zähne zusammen, denn sie konnten gegen Württemberg nichts ausrichten, und so hatten sie das schöne Gut, Wald, Feld, die Stadt Balingen und selbst - den Fischteich verloren und nichts geerbt als einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf trotzig in den Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein Barett auf den Kopf und ging trotzig und ohne Gruß an dem württembergischen Kommissär vorbei, schwang sich auf sein Roß und ritt nach Zollern.
Als ihn aber am andern Morgen seine Mutter mit Vorwürfen plagte, daß sie Gut und Schmuck verscherzt hätten, ritt er hinüber zum Schalk auf Schalksburg: „Wollen wir unser Erbe verspielen oder vertrinken?“ fragte er ihn.
„Vertrinken ist besser“, sagte der Schalk, „dann haben wir beide gewonnen. Wir wollen nach Balingen reiten und uns den Leuten zum Trotz dort sehen lassen, wenn wir auch gleich das Städtlein schmählich verloren.“
„Und im Lamm schenkt man Roten, der Kaiser trinkt ihn nicht besser“, setzte Wolf hinzu.
So ritten sie miteinander nach Balingen ins Lamm un d fragten, was die Maß vom Roten koste, und tranken sich zu, bis der Gulden voll war. Dann stand Wolf auf, zog das Silberstück mit dem springenden Hirsch aus dem Wams, warf es auf den Tisch und sprach: „Da habt Ihr Euren Gulden, so wird’s richtig sein.“
Der Wirt aber nahm den Gulden, besah ihn von links, besah ihn rechts und sagte lächelnd: „Ja, wenn es kein Hirschgulden wär’, aber gestern Nacht kam der Bote von Stuttgart, und heute früh hat man es ausgetrommelt im Namen des Grafen von Württemberg, dem jetzt das Städtlein eigen; die sind abgeschätzt, und gebt mir nur anderes Geld.“
Da sahen sich die beiden Brüder erbleichend an. „Zahl aus“, sagte der eine. „Hast du keine Münze?“ sagte der andere; und kurz, sie mußten den Gulden schuldig bleiben im Lamm in Balingen. Sie zogen schweigend und nachdenkend ihren Weg; als sie aber an den Kreuzweg kamen, wo es rechts nach Zollern und links nach Schalksberg ging, da sagte der Schalk: „Wie nun? Jetzt haben wir sogar weniger geerbt als gar nichts, und der Wein war überdies schlecht.“
„Jawohl“, erwiderte sein Bruder. „Aber was die Feldheimerin sagte, ist doch eingetroffen: Seht zu, wieviel von seinem Erbe übrigbleiben wird um einen Hirschgulden! Jetzt haben wir nicht einmal eine Maß Wein dafür kaufen können.“
„Weiß schon!“ antwortete der von Schalksberg.
„Dummes Zeug!“ sagte der Zollern und ritt zerfallen mit sich und der Welt seinem Schloß zu.
„Das ist die Sage von dem Hirschgulden“, endete der Zirkelschmied, „und wahr soll sie sein. Der Wirt von Dürrwangen, das nicht weit von den drei Schlössern liegt, hat sie meinem guten Freund erzählt, der oft als Wegweiser über die Schwäbische Alb ging und immer in Dürrwangen einkehrte.“
Die Gäste gaben dem Zirkelschmied Beifall. „Was man doch nicht alles hört in der Welt“, rief der Fuhrmann. „Wahrhaftig, jetzt erst freut es mich, daß wir die Zeit nicht mit Kartenspielen verderbten, so ist es wahrlich besser, und gemerkt habe ich mir die Geschichte, daß ich sie morgen meinen Kameraden erzählen kann, ohne ein Wort zu fehlen.“
„Mir fiel da, während Ihr so erzähltet, etwas ein“, sagte der Student.
„Oh, erzählet, erzählet!“ baten der Zirkelschmied und Felix.
„Gut“, antwortete jener, „ob die Reihe jetzt an mich kommt oder später, ist gleichviel; ich muß ja doch heimgeben, was ich gehört. Das, was ich erzählten will, soll sich wirklich einmal begeben haben.“
Er setzte sich zurecht und wollte eben anfangen zu erzählen, als die Wirtin den Spinnrocken beiseite setzte und zu den Gästen an den Tisch trat. „Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette zu gehen“, sagte sie. „Es hat neun Uhr geschlagen, und morgen ist auch ein Tag.“
„Ei, so gehe zu Bette!“ rief des Student. „Setze noch eine Flasche Wein für uns hierher, und dann wollen wir dich nicht länger abhalten.“
„Mitnichten“, entgegnete sie grämlich, „solange noch Gäste in der Wirtsstube sitzen, können Wirtin und Dienstboten nicht weggehen. Und kurz und gut, ihr Herren, machet, daß ihr auf eure Kammern, kommt, mir wird die Zeit lange, und länger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht gezecht werden.“
„Was fällt Euch ein, Frau Wirtin?“ sprach der Zirkelschmied staunend. „Was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr auch längst schlafet? Wir sind rechtliche Leute und werden Euch nichts wegtragen noch ohne Bezahlung fortgehen. Aber so lasse ich mir in keinem Wirtshaus ausbieten.“
Die Frau rollte zornig die Augen: „Meint Ihr, ich werde wegen jedem Lumpen von Handwerksburschen, wegen jedem Straßenläufer, der mir zwölf Kreuzer zu verdienen gibt, meine Hausordnung ändern? Ich sag’ euch jetzt zum letztenmal, daß ich den Unfug nicht leide!“
Noch einmal wollte der Zirkelschmied etwas entgegnen, aber der Student sah ihn bedeutend an und winkte mit den Augen den übrigen. „Gut“, sprach er, „wenn es die Frau Wirtin nicht haben will, so laßt uns auf unsere Kammern gehen. Aber Lichter möchten wir gerne haben, um den Weg zu finden.“