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»Ja, das hat sie, Konstabler!« bestätigte einer aus der Menge. »Ein prächtiges blaues Auge! Hervorragende Arbeit! Teufel – die muß Kräfte haben!«

»Legen Sie sich ein schönes rohes Beefsteak darauf, Sir. Das tut gut!« riet ein Metzgerjunge.

»Also!« erklärte der ranghöchste Polizist. »Was ist hier eigentlich los?«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, sie…« begann der fette Mann, doch da rief ein anderer: »Laßt den Alten aus der Droschke nicht entwischen! Der hat sie nämlich angestiftet!«

Dem alten Herrn war es endlich gelungen, sich aufzurichten. Es war tatsächlich Onkel Andrew, der sich da seine Schrammen rieb. »Nun denn«, meinte der Polizist und wandte sich zu ihm. »Was soll das alles?«

»Wumpel – Pumpel – Schwumpel«, klang unter dem Hut Onkel Andrews Stimme hervor.

»Schluß damit!« befahl der Polizist streng. »Ich finde das Ganze absolut nicht spaßig! Nehmen Sie sofort das Ding ab! Verstanden?«

Doch das war leichter gesagt als getan. Nachdem Onkel Andrew ein Weilchen vergeblich mit seinem Zylinder gekämpft hatte, traten zwei andere Polizisten hinzu, packten den Hut an der Krempe und rissen ihn herunter.

»Herzlichen Dank, herzlichen Dank«, sagte Onkel Andrew mit versagender Stimme. »Vielen Dank. Ach herrje, ich bin völlig außer mir! Wenn vielleicht einer der Herren ein kleines Schlückchen Brandy für mich hätte…«

»Sie hören mir jetzt zu, wenn es recht ist!« befahl der Polizist. Er nahm ein riesiges Notizbuch und einen winzigen Bleistift aus der Tasche. »Sind Sie verantwortlich für diese junge Frau hier?«

»Achtung!« ertönten da Stimmen, und der Polizist machte gerade noch rechtzeitig einen Satz nach hinten.

Das Pferd war eben im Begriff, ihm einen Tritt zu versetzen, der ihn vermutlich das Leben gekostet hätte. Dann ließ die Hexe das Pferd im Kreis wirbeln, bis es mit den Hinterbeinen auf dem Gehsteig stand und sie die Menge sehen konnte. Sie hatte ein langes, funkelndes Messer in der Hand, mit dem sie die Riemen zwischen dem Pferd und der zerschmetterten Droschke durchtrennte.

Digory versuchte inzwischen unentwegt, sich in eine Position zu bringen, wo er die Hexe berühren konnte.

Doch das war gar nicht so einfach, denn zwischen ihm und der Hexe standen viel zuviele Leute. Und wenn er auf die andere Seite gelangen wollte, mußte er sich zwischen dem Zaun des Vorgartens und den Pferdebeinen hindurchzwängen. Wenn ihr etwas von Pferden versteht und euch vor Augen führt, in welchem Zustand sich dieses Pferd befand, dann wißt ihr gewiß, was für eine gefährliche Aufgabe Digory da vor sich hatte. Digory kannte sich gut aus mit Pferden, aber er biß die Zähne zusammen und nahm sich vor, rasch um das Tier herumzurennen, sobald sich eine Gelegenheit bot.

Inzwischen hatte sich ein rotgesichtiger Mann mit einem Bowler auf dem Kopf durch die Menge gedrängt und trat nach vorn.

»He! Konstabler!« sagte er. »Das ist mein Gaul, auf dem die Frau da sitzt, und dieser Trümmerhaufen hier, das war mal meine Droschke.«

»Einer nach dem anderen bitte. Einer nach dem anderen«, sagte der Konstabler.

»Dazu ist keine Zeit!« widersprach der Droschken­kutscher. »Ich kenn das Pferd besser als Sie. Es ist kein gewöhnlicher Gaul – sein Vater war Streitroß in der Kavallerie, und er gehörte einem Offizier. Wenn die junge Frau es weiterhin so verrückt treibt, dann kommt noch einer ums Leben. Lassen Sie mich zu meinem Pferd!«

Der Konstabler war höchst erleichtert, daß es jetzt einen Grund für ihn gab, ein paar Schritte zurückzuweichen.

Der Kutscher trat vor, schaute zu Jadis hinauf und sagte recht freundlich: »So, Fräuleinchen, ich nehm jetzt die Zügel, und Sie steigen runter. Sicher geht’s Ihnen zu wild zu hier – wenn man bedenkt, daß Sie ‘ne Frau sind. Sie gehn besser heim jetzt, trinken ‘n schönes Täßchen Tee und legen sich ein bißchen hin. Dann geht’s Ihnen sicher gleich viel besser.« Dabei legte er die Hand auf den Kopf seines Pferdes und sagte: »Ruhig, Goldapfel, alter Junge. Ganz ruhig.«

Jetzt ergriff zum erstenmal die Hexe das Wort.

»Hund!« erklang ihre kalte, klare Stimme, die wie eine Glocke alle übrigen Geräusche überhallte. »Hund! Laß mein königliches Streitroß los! Ich bin Königin Jadis!«

DIE SCHLACHT AM LATERNENPFAHL

 »Ha! Eine Königin will das sein! Das wollen wir mal sehn!« sagte eine Stimme.

Dann befahl eine andere: »Ein Hoch auf die Königin von Colney Hatch«, und viele stimmten mit ein. Ein rosiger Hauch überflog das Gesicht der Königin, und fast unmerklich verbeugte sie sich. Doch da verklangen die Hochrufe und verwandelten sich zu schallendem Gelächter, und die Hexe begriff, daß man sich nur über sie lustig machte. Schlagartig verwandelte sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht, und sie wechselte das Messer von ihrer Rechten zur Linken. Dann geschah ohne jegliche Vorwarnung etwas ganz Furchtbares. Mühelos und ganz nebenbei, als wäre das die naheliegendste Sache der Welt, griff sie mit der Rechten nach oben und brach einen Seitenarm vom Laternenpfahl. Auch wenn Jadis hier in unserer Welt ihre Zauberkräfte verloren hatte, ihre Körperkraft war ihr geblieben.

Sie brach die Eisenstange ab wie einen morschen Ast. Dann warf sie ihre neue Waffe hoch in die Luft, fing sie wieder auf, zückte sie und zwang das Pferd nach vorn.

Jetzt! dachte Digory. Rasch lief er zwischen dem Pferd und dem Gartenzaun hindurch. Wenn nur das Pferd einen Augenblick stillstehen wollte, damit er die Hexe an der Ferse packen konnte!

In diesem Moment war ein ekelhafter Schlag zu hören, dann folgte ein dumpfer Aufschlag. Die Hexe hatte ihre Stange auf den Helm des Polizisten niedersausen lassen, und der Mann war umgefallen wie vom Blitz getroffen.

»Schnell, Digory! Wir müssen dem Ganzen ein Ende machen!« hörte er neben sich eine Stimme. Es war Polly, die sofort heruntergerannt war, als sie ihr Bett hatte verlassen dürfen.

»Phantastisch, daß du da bist!« rief Digory. »Halte dich gut an mir fest! Um den Ring mußt du dich kümmern. Den gelben mußt du nehmen, denk dran. Aber steck ihn erst an, wenn ich es sage!«

Eben erklang wieder ein Schlag, und der nächste Polizist sank zu Boden. Ein wütender Aufschrei kam aus der Menge. »Holt sie runter vom Pferd! Besorgt ein paar Pflastersteine! Alarmiert die Armee!« Aber die meisten waren darauf bedacht, daß sie der Hexe nicht in die Quere kamen. Nur der Kutscher, offensichtlich der Mutigste und gleichzeitig der Freundlichste von allen, wich nicht zurück. Vorsichtig der Eisenstange ausweichend, rannte er hin und her und versuchte, die Zügel seines Pferdes zu packen.

Wieder erklang ein empörter Aufschrei. Ein Stein sauste über Digorys Kopf hinweg. Dann erschallte glockenklar die Stimme der Hexe, und zum erstenmal klang sie fast glücklich: »Ihr Elenden! Dafür werdet ihr teuer bezahlen, sobald ich eure Welt erobert habe! Kein Stein soll auf dem anderen bleiben in eurer Stadt! Ich werde mit ihr machen, was ich mit Charn, Felinda, Sorlois und Bramandin gemacht habe.«

Jetzt gelang es Digory endlich, sie am Knöchel zu packen. Doch sie trat mit der Ferse nach ihm und traf ihn auf den Mund. Es tat so weh, daß er loslassen mußte. Seine Lippe war aufgeplatzt, und er hatte den Mund voller Blut.

Ganz aus der Nähe rief Onkel Andrew mit bebender Stimme: »Werte Dame – meine liebe junge Frau – ich flehe Sie an – beherrschen Sie sich!« Digory packte noch einmal nach ihrem Fuß, doch auch diesmal mußte er wieder loslassen. Weitere Männer stürzten von der Stange getroffen zu Boden. Beim dritten Versuch klammerte er sich an der Ferse der Hexe fest, als hinge sein Leben davon ab. Er schrie: »Los, Polly!«