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»Zu welchem Zweck?«

»Ich wollte sie aus meiner eigenen Welt schaffen, dorthin, wo sie herkam. Ich dachte, ich brächte sie zurück in ihre eigene Welt.«

»Wie kam sie denn in deine Welt, Sohn Adams?«

»Durch – durch Zauberei.«

Der Löwe sagte nichts, und Digory mußte noch mehr erklären.

»Mein Onkel war es, Aslan«, sagte er. »Der hat uns mit Zauberringen aus unserer Welt fortgeschickt. Das heißt, ich mußte mich auf die Reise machen, weil er zuerst Polly weggezaubert hatte. Und dann trafen wir die Hexe in einem Land namens Charn, und sie hat sich einfach an uns festgehalten, als wir…«

»Du hast die Hexe getroffen?« fragte Aslan mit einer leisen Stimme, in der man gleichwohl ein drohendes Knurren zu entdecken vermeinte.

»Sie ist aufgewacht«, sagte Digory unglücklich. Dann wurde er ganz blaß und fuhr fort: »Ich wollte sagen, ich habe sie aufgeweckt. Weil ich wissen wollte, was passiert, wenn ich die Glocke läute. Polly war dagegen. Sie trägt keine Schuld. Ich – ich habe mit ihr gerauft. Ich weiß, das hätte ich nicht tun sollen. Ich glaube, ich war von dem Spruch unter der Glocke ein bißchen verzaubert.«

»So?« fragte Aslan, immer noch mit ganz leiser und tiefer Stimme.

»Nein«, sagte Digory. »Eigentlich nicht. Das ist mir jetzt klar. Ich hab’ nur so getan.«

Lange herrschte Schweigen. Digory dachte unentwegt: Jetzt hab ich alles verdorben. Jetzt gibt er mir sicher nichts mehr für meine Mutter. Als der Löwe wieder sprach, wandte er sich nicht an Digory, sondern an die Tiere.

»Meine Freunde«, sagte er. »Ihr seht, daß eine böse Macht in diese neue, saubere Welt eingedrungen ist, noch bevor sieben Stunden verstrichen sind. Und diese böse Macht wurde von diesem Sohn Adams erweckt und hierhergebracht.« Alle Tiere einschließlich Goldapfel, starrten zu Digory herüber, und am allerliebsten wäre er im Erdboden versunken. »Aber seid nicht betrübt«, sagte Aslan, immer noch zu den Tieren gewandt. »Böses wird kommen aus dieser bösen Macht, aber noch liegt es in weiter Ferne, und ich werde mich bemühen, daß dieses Böse vor allem mich trifft. Bis dahin wollen wir Vorsorge treffen, daß dies für Hunderte von Jahren ein fröhliches Land in einer fröhlichen Welt bleibt. Und weil das Geschlecht Adams für dieses Unheil verantwortlich ist, soll es auch dabei helfen, das Unheil zu mildern. Kommt näher, ihr zwei!«

Die letzten Worte waren an Polly und den Kutscher gerichtet, die inzwischen ebenfalls eingetroffen waren.

Mit riesigen Augen und offenem Mund starrte Polly den Löwen an. Dabei klammerte sie sich ganz fest an die Hand des Kutschers. Dieser warf dem Löwen einen einzigen Blick zu und nahm den Hut ab. Barhäuptig hatte ihn bisher noch keiner von ihnen gesehen. Jünger sah er jetzt aus und netter, weniger wie ein Kutscher aus London, sondern eher wie ein Mann vom Land.

»Sohn«, sagte Aslan zu ihm. »Ich kenne dich seit langem. Kennst du mich auch?«

»Nein, Herr«, sagte der Kutscher. »Wenigstens nicht im wahrsten Sinn des Wortes. Und doch hab’ ich irgendwie das Gefühl, wenn ich das sagen darf, als wären wir uns schon mal begegnet.«

»Gut so«, sagte der Löwe. »Du weißt es besser, als du es zu wissen meinst. Mit der Zeit wirst du mich sogar noch näher kennenlernen. Wie gefällt dir dieses Land?«

Gar nicht so schlecht, Herr«, antwortete der Kutscher.

»Möchtest du für immer hierbleiben?«

»Nun, Herr, es ist so«, sagte der Kutscher. »Ich bin ein verheirateter Mann. Wär’ meine Frau hier, also ich bin fast sicher, dann wollte weder sie noch ich jemals wieder nach London zurück. Eigentlich sind wir alle beide vom Land.«

Aslan warf den Kopf zurück, riß das Maul auf und stieß einen langgezogenen, nicht sehr lauten, doch kraftvollen Ton aus. Pollys Herz machte einen Sprung. Sie war sicher, daß dies ein Ruf gewesen war und daß jeder, der ihn hörte, diesem Ruf freiwillig folgte, ja mehr noch – daß er ihm folgen konnte, wieviel Welten und wieviel Jahrhunderte auch dazwischen liegen mochten. Deshalb war Polly zwar von Staunen erfüllt, aber nicht sonderlich überrascht oder erschreckt, als eine junge Frau mit einem freundlichen und ehrlichen Gesicht aus dem Nichts auftauchte und ganz plötzlich neben ihr stand. Polly war sofort klar, daß dies die Frau des Kutschers sein mußte, herbeigezaubert aus unserer Welt, doch nicht mit so umständlichen Zauberringen, sondern rasch, einfach und beschwingt, so wie ein Vogel, der zu seinem Nest geflogen kommt. Die junge Frau hatte wohl eben gewaschen, denn sie trug eine Schürze, ihre Ärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, und ihre Hände waren voll mit Seifenschaum. Hätte sie noch Zeit gefunden, ihre Sonntagskleider anzuziehen, dann hätte sie bestimmt gräßlich ausgeschaut (ihr guter Hut war mit falschen Kirschen verziert), aber so war sie recht hübsch.

Natürlich dachte sie, dies alles müsse ein Traum sein.

Deshalb rannte sie auch nicht gleich zu ihrem Mann über, um zu fragen, was in aller Welt da mit ihnen passiert sei. Doch als sie den Löwen anblickte, kamen ihr Zweifel, daß das Ganze nur ein Traum war. Doch aus irgendeinem Grund hatte sie gar keine große Angst vor ihm. Sie machte einen kleinen Knicks, so wie das manche Mädchen vom Land in jenen Tagen noch machten, ging zum Kutscher hinüber, nahm seine Hand und schaute sich ein wenig scheu um.

»Meine Kinder«, sagte Aslan und blickte die beiden fest an. »Ihr werdet das erste Königspaar von Narnia sein.«

Der Kutscher riß erstaunt den Mund auf, und seine Frau wurde rot.

»Ihr werdet all diesen Kreaturen Namen geben und über sie regieren. Ihr werdet für Recht und Ordnung unter ihnen sorgen, und ihr werdet sie vor ihren Feinden schützen, wann immer es nötig sein wird. Und es wird nötig werden, denn in dieser Welt treibt sich eine böse Hexe herum.«

Der Kutscher mußte zwei- oder dreimal kräftig schlucken. Dann räusperte er sich.

»Mit Ihrer Erlaubnis, Herr«, sagte er, »und mit gütigstem Dank auch von meiner Frau – aber ich bin nicht der richtige Mann für so ‘ne Arbeit. Ich bin nicht lang zur Schule gegangen.«

»Nun«, entgegnete Aslan. »Kannst du mit dem Spaten und mit dem Pflug umgehen und Felder bestellen?«

»Ja, Herr, das kann ich schon eher. Mit solchen Arbeiten bin ich ja aufgewachsen.«

»Kannst du freundlich und gerecht über diese Kreaturen regieren, ohne zu vergessen, daß sie nicht Sklaven sind wie die geistlosen Tiere der Welt, aus der du kommst, sondern sprechende, freie Wesen?«

»Das sehe ich, Herr«, entgegnete der Kutscher. »Ich werd’ versuchen, es allen recht zu machen.«

»Wirst du auch deine Kinder und Kindeskinder in diesem Sinn erziehen?«

»Zumindest würd’ ich’s versuchen, Herr. Ich würd’ mein Bestes tun. Das würden wir doch, Nellie, oder nicht?«

»Und wirst du weder unter deinen Kindern noch unter den anderen Kreaturen jemanden bevorzugen? Und wirst du auch nicht dulden, daß sie sich gegenseitig unterdrücken oder schlecht behandeln?«

»So was würd’ ich nie dulden, Herr, und das ist die Wahrheit. Ich werd’s ihnen schon besorgen, wenn ich sie bei so was erwische«, sagte der Kutscher, dessen Stimme im Verlauf dieser Unterhaltung immer bedächtiger und kraftvoller wurde und immer mehr der Stimme ähnelte, die er damals auf dem Land gehabt hatte.

»Und wenn sich ein Feind gegen das Land erhebt – was sicherlich geschehen wird – und es gibt Krieg, wirst du dann der erste beim Angriff und der letzte beim Rückzug sein?«

»Nun ja, Herr«, sagte der Kutscher zögernd. »So was weiß man nie so recht, bevor man’s ausprobiert hat. Vielleicht stellt sich raus, daß ich ein wahrhaftiger Feigling bin. Gekämpft hab’ ich noch nie, höchstens mal mit den Fäusten. Aber ich will versuchen, meine Pflicht zu erfüllen – zumindest hoffe ich, daß ich’s versuchen werd’.«

»Mehr wird von einem König nicht verlangt«, sagte Aslan. »Die Krönung wird in Bälde stattfinden. Gesegnet seist du, deine Kinder und Kindeskinder. Einige von ihnen werden Könige über Narnia sein, andere werden Archenland regieren, das jenseits der südlichen Berge liegt. Und du, kleine Tochter«, fuhr er zu Polly gewandt fort, »sei mir willkommen. Hast du dem Jungen sein schlimmes Betragen in der Halle der Standbilder im trostlosen Palast von Charn, dem verfluchten Land, verziehen?«