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»Herrje, Flügelpfeil!« Digory beugte sich aufgeregt nach vorn und tätschelte den schimmernden Pferdehals.

»Das ist wirklich phantastisch. Halt dich gut an mir fest, Polly!«

Im nächsten Augenblick versank unter ihnen die Erde.

Wie eine riesige Taube drehte Flügelpfeil noch ein oder zwei Runden, bevor er sich auf seinen langen Flug nach Westen machte. Polly schaute hinunter, doch der König und die Königin waren kaum mehr zu sehen. Selbst von Aslan war nur noch ein strahlend gelber Fleck auf dem grünen Gras übriggeblieben. Kurz darauf traf der Fahrtwind die beiden Kinder, und der Flügelschlag des Pferdes wurde gleichmäßig und stetig.

Ganz Narnia lag jetzt unter ihnen ausgebreitet, vielfarbig getupft mit Wiesen, Felsen, Heidekraut und den verschiedenartigsten Bäumen. Dazwischen schlängelte sich wie ein Quecksilberband der Fluß. Schon jetzt konnte man über die Gipfel der niedrigen Berge sehen, die rechts von ihnen im Norden lagen. Ein weites Moorgebiet wellte sich dort sanft nach oben und dem Horizont entgegen.

Die Berge zur Linken waren viel höher, doch hie und da konnte man zwischen den steilen, baumbewachsenen Hängen einen Blick auf die südlichen Gegenden dahinter werfen. Ganz blau schimmerte es dort weit in der Ferne.

»Dort muß Archenland sein«, sagte Polly.

»Ja. Aber schau mal geradeaus!« rief Digory.

Vor ihnen erhoben sich mächtige Klippen, und die Kinder waren fast geblendet von dem Sonnenlicht, daß auf dem riesigen Wasserfall tanzte, der tosend und funkelnd von der Hochebene nach Narnia hinabstürzte, auf der er seinen Ursprung hatte. Sie flogen nun schon so hoch oben, daß sie vom Donnerbrausen des Wassers nur noch ein leises Murmeln hörten, aber noch nicht so hoch, daß sie über die Klippen hätten hinwegfliegen können.

»Jetzt müssen wir einen Zickzackkurs einschlagen!« warnte Flügelpfeil. »Haltet euch schön fest!«

Hin- und herfliegend wand er sich höher hinauf in die Lüfte. Dort wurde die Luft kühler, und weit unter ihnen schallte der Ruf der Adler.

»Sieh dich mal um!« rief Polly.

Jetzt lag das ganze Tal von Narnia unter ihnen ausgebreitet, bis dorthin, wo kurz vor dem östlichen Horizont noch ein Streifen vom Meer zu sehen war, und gleich darauf flogen sie schon so hoch, daß sie hinter dem Moorgebiet im Norden zerklüftete Berge auftauchen sahen.

Ganz winzig wirkten sie so aus der Ferne. Und dort, ganz weit im Süden, schienen sandige Ebenen zu liegen.

»Wenn uns nur einer erklären könnte, was das für Gegenden sind, die wir da sehen«, beklagte sich Digory.

»Vermutlich ist das alles überhaupt noch nichts, sozusagen«, meinte Polly. »Hier gibt es ja niemanden, und passieren tut auch nichts. Diese Welt hier ist doch erst seit heute am Leben.«

»Ja, aber irgendwann wird alles besiedelt«, erklärte Digory. »Und dann wird es auch in diesen Gegenden eine Geschichte geben.«

»Also, ich finde es gut, daß es so etwas bis jetzt hier noch nicht gibt. Dann muß wenigstens keiner Geschichte lernen. Jahreszahlen und Kriege und all diesen Mist.«

Jetzt lagen die Klippen hinter ihnen, und ein paar Minuten später war auch Narnia nicht mehr zu sehen. Unter ihnen breitete sich ein wilder Landstrich mit steilen Hängen und dunklen Wäldern aus. Noch immer folgten sie dem Lauf des Flusses. Vor ihnen ragte die mächtige Bergkette auf, doch da sie direkt in die Sonne schauen mußten, konnten sie in dieser Richtung nicht viel erkennen. Die Sonne sank tiefer und tiefer, bis im Westen der Himmel aussah wie ein Riesenkessel voll von geschmolzenem Gold.

Schließlich verschwand sie hinter einer Zackenspitze, die sich vor dem glühenden Himmel so scharf und so flach abzeichnete, als hätte man sie aus Pappe geschnitten.

»Es ist nicht besonders warm hier oben«, sagte Polly, weil sie allmählich fror.

»Und mir tun langsam die Flügel weh«, klagte das Pferd. »Ich sehe kein Tal mit einem See, so wie von Aslan beschrieben. Was meint ihr? Sollen wir landen und uns ein schönes Plätzchen suchen, wo wir die Nacht verbringen können? Heute abend schaffen wir es sowieso nicht mehr bis zu diesem Garten.«

»Ja. Und Essenszeit müßte doch auch langsam sein«, meinte Digory.

Also ließ sich das Pferd tief und tiefer sinken. Hier, in der Nähe des Bodens und zwischen den Hängen, wurde die Luft immer wärmer; und nach der langen Flugzeit, wo sie nur das Schlagen der Flügel wahrgenommen hatten, war es schön, die vertrauten Geräusche wieder zu hören das Murmeln des Flusses in seinem steinigen Bett, das Rauschen der Bäume im sanften Wind. Ein köstlicher warmer Geruch von sonnendurchglühter Erde, von Gras und Blumen zog ihnen in die Nase. Schließlich landete Flügelpfeil, und Digory und Polly kletterten von seinem Rücken. Beide waren froh, daß sie ihre steifen Glieder strecken konnten.

Sie standen in einem Tal, umgeben von Bergen mit schneebedeckten Kuppen. Eine davon ragte in der untergehenden Sonne blutrot auf.

»Hab’ ich einen Hunger!« rief Digory.

»Greif nur zu!« sagte Flügelpfeil und rupfte ein großes Maul voll Gras ab. Dann hob er den Kopf, kaute, und während ihm das Gras wie ein Schnurrbart zu beiden Seiten aus dem Maul hing, sagte er: »Na los, ihr beiden! Scheut euch nicht! Es reicht für alle!«

»Wir essen kein Gras«, erklärte Digory.

»Ach herrje! Ach herrje!« meinte Flügelpfeil mit vollem Maul. »Tja – hm – keine Ahnung, was wir da machen sollen. Dabei schmeckt es wirklich gut.«

Polly und Digory sahen einander bedrückt an.

»Also ich finde, irgend jemand hätte sich doch wirklich darum kümmern müssen, was wir essen sollen«, sagte Digory.

»Aslan hätte sich bestimmt darum gekümmert, wenn du ihn gebeten hättest«, sagte Flügelpfeil.

»Meint ihr nicht, er weiß solche Dinge auch so, ohne daß man ihm Bescheid sagt?« fragte Polly.

»Ganz bestimmt«, erwiderte das Pferd, das immer noch kaute. »Aber ich habe so das Gefühl, daß er gefragt werden will.«

»Was machen wir jetzt bloß?« fragte Digory.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, entgegnete das Pferd. »Außer ihr versucht das Gras. Vielleicht schmeckt es euch besser, als ihr denkt.«

»Sei nicht so albern«, rief Polly und stampfte mit dem Fuß auf. »Menschen können doch kein Gras essen. Genausowenig wie du ein Hammelkotelett essen könntest!«

»Heiliger Strohsack! Jetzt hör bloß auf, über Koteletts und derartiges Zeug zu reden«, sagte Digory. »Davon wird es nur noch schlimmer.«

Digory schlug vor, Polly solle mit ihrem Ring nach Hause reisen und dort etwas essen. Er selbst könne nicht mit, er habe ja versprochen, sich genau nach Aslans Anweisungen zu richten. Und zu Hause konnte ja alles mögliche passieren und ihn daran hindern, wieder hierher zurückzukehren. Aber Polly wollte ihn nicht im Stich lassen, was Digory sehr anständig von ihr fand.

»Ach, da fällt mir was ein!« sagte Polly plötzlich. »Ich hab’ noch die Reste von einer Tüte Karamelbonbons in der Tasche. Besser als gar nichts.«

»Viel besser«, stimmte Digory zu. »Aber sei bloß vorsichtig, wenn du die Hand in die Tasche steckst, daß du nicht aus Versehen den Ring berührst!«

Das war einfacher gesagt als getan, aber schließlich glückte es doch. Der Beutel war ganz zerquetscht und klebrig, als sie ihn schließlich herausgefischt hatten, und das Problem war nicht so sehr, die Bonbons aus der Tüte zu holen, sondern vielmehr, die Tüte von den Bonbons abzureißen. Die meisten Erwachsenen hätten unter diesen Umständen lieber ganz auf ihr Abendessen verzichtet.

Ihr wißt ja, wie pingelig die bei solchen Angelegen­heiten sein können.

Insgesamt waren es neun Stück. Digory hatte den phantastischen Einfall, jeder bekäme vier zu essen, und das neunte solle man einpflanzen. »Denn wenn die Eisenstange von der Laterne zu einem kleinen Lichterbaum heran­gewachsen ist, dann spricht ja eigentlich nichts dagegen, daß aus dem Bonbon ein Karamelbonbon-Baum wird.« Also buddelten sie ein kleines Loch und pflanzten das neunte Bonbon ein. Die anderen aßen sie ganz langsam auf, damit sie auch schön lange anhielten. Es war ein ärmliches Mahl, obwohl sie notgedrungen ein gut Teil des Papiers mitverspeisten.