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Als Flügelpfeil sein köstliches Mahl beendet hatte, legte er sich nieder. Die Kinder setzten sich neben ihn, eines auf jeder Seite, und lehnten sich gegen den warmen Körper. Flügelpfeil breitete seine Flügel über die Kinder, und so saßen sie wirklich gemütlich. Während die strahlenden Sterne dieser jungen Welt hervortraten, unterhielten sich die Kinder über alles mögliche: wie Digory gehofft hatte, der Löwe könne ihm etwas für seine Mutter geben, und wie er statt dessen mit diesem Auftrag ausgesandt worden war. Und dann wiederholten sie gemeinsam die Merkmale, an denen sie den Platz erkennen würden, nach dem sie suchten – den blauen See und den Hügel mit dem Garten an der Spitze. Nach einem Weilchen wurden sie schläfrig, und ihre Unterhaltung wurde immer schleppender, doch ganz plötzlich setzte sich Polly hellwach auf und machte »pst!«.

Alle lauschten.

»Vielleicht war es nur der Wind in den Bäumen?« meinte Digory nach einem Weilchen.

»Da bin ich nicht so sicher«, sagte Flügelpfeil. »Na ja halt, da ist es wieder. Beim Löwen – da ist einer!«

Das Pferd rappelte sich geräuschvoll auf, und auch die Kinder erhoben sich. Schnuppernd und wiehernd trottete das Pferd hin und her. Die Kinder schlichen auf Zehenspitzen hierhin und dorthin, lugten hinter jeden Baum und jeden Strauch. Immer wieder kam es ihnen vor, als sei da irgend etwas, und einmal war Polly ganz sicher, daß sie eine hochgewachsene dunkle Gestalt gesehen hatte, die rasch in Richtung Westen davongeglitten war. Aber sie fanden keinen, und schließlich legte sich Flügelpfeil wieder hin, die Kinder kuschelten sich unter seine Flügel und schliefen sofort ein. Doch Flügelpfeil blieb noch lange wach, stellte lauschend seine Ohren in der Dunkelheit auf, und manchmal zuckte er mit der Haut, als habe sich eine Fliege auf ihn gesetzt. Doch schließlich und endlich schlief auch er. 

EINE UNERWARTETE BEGEGNUNG

 »Wach auf, Digory! Wach auf, Flügelpfeil!« klang Pollys Stimme. »Da ist tatsächlich ein Karamelbonbon-Baum gewachsen. Und es ist ein wunderschöner Morgen.«

Die tiefstehende frühmorgendliche Sonne überstrahlte den Wald, das Gras war taunaß, die Spinnweben schimmerten silbern. Genau neben den Kindern stand ein Baum mit sehr dunklem Holz, etwa so groß wie ein Apfelbaum.

Seine Blätter waren weißlich und papierartig, so wie die Blätter vom Silberblattkraut, und er war beladen mit kleinen braunen Früchten, die fast wie Datteln aussahen.

»Hurra!« rief Digory. »Aber erst will ich baden!« Er rannte zwischen blühenden Hecken hindurch hinunter zum Fluß. Habt ihr schon einmal in einem Gebirgsfluß gebadet, der in winzigen Wasserfällen über rote und blaue und gelbe Steine heruntersprudelt, die in der Sonne funkeln? Das ist ebenso schön, wie wenn man im Meer badet – in mancher Hinsicht sogar noch schöner. Natürlich hatte Digory nichts zum Abtrocknen, und so mußte er, naß wie er war, wieder in seine Kleider steigen, aber das war ihm das Vergnügen wert. Als er zurückkam, ging Polly hinunter und badete ebenfalls; zumindest behauptete sie das anschließend. Aber wir wissen ja, daß sie nicht besonders gut schwimmen konnte, und vielleicht ist es besser, wenn man der Sache nicht so genau nachgeht.

Auch Flügelpfeil ging zum Wasser, aber er stellte sich nur in die Mitte des Flusses, beugte sich hinunter, um ausgiebig zu trinken, schüttelte die Mähne und wieherte.

Polly und Digory machten sich an ihrem Bonbonbaum an die Arbeit. Die Früchte waren köstlich: Sie waren zwar weicher und saftiger als Karamelbonbons, aber vom Geschmack her hatten sie doch ein bißchen Ähnlichkeit. Flügelpfeil nahm ebenfalls ein ausgezeichnetes Mahl zu sich.

Er versuchte auch noch eine Bonbon-Frucht, und sie schmeckte ihm sogar, aber er sagte, so früh am Morgen sei ihm Gras doch lieber. Dann kletterten die Kinder ziemlich mühsam wieder auf seinen Rücken, und sie machten sich zum zweitenmal auf die Reise.

Diesmal war der Flug sogar noch schöner als am Tag zuvor. Zum einen fühlten sich alle drei herrlich ausgeruht, zum anderen hatten sie die eben erst aufgegangene Sonne im Rücken, und wenn die Sonne von hinten kommt, sieht natürlich alles viel hübscher aus. Es war wirklich ein herrlicher Flug. Ringsumher ragten hohe, schneebedeckte Berge auf. Die weit unter ihnen liegenden Täler waren so grün, die Bäche, die von den Gletschern zum Fluß herabstürzten, waren so blau, daß es aussah, als flögen sie über gigantische Schmuckstücke hinweg. Wäre es nach ihnen gegangen, so hätte dieser Teil des Abenteuers viel länger dauern dürfen. Doch schon bald begannen sie alle gemeinsam zu schnuppern. »Was ist denn das?« und »Riecht ihr das auch?« und »Wo mag das wohl herkommen?« fragten sie. Denn ein himmlischer Duft, warm und golden, wie von den köstlichsten Früchten und Blumen der Welt, strömte ihnen entgegen.

»Der stammt aus diesem Tal dort mit dem See«, verkündete Flügelpfeil.

»Wahrhaftig, so ist es«, sagte Digory. »Seht nur! Am anderen Ende des Sees erhebt sich ein grüner Hügel! Und schaut nur, wie blau das Wasser ist!«

»Das muß der Ort sein, den Aslan beschrieben hat«, riefen alle drei. In großen Kreisen ließ sich Flügelpfeil tiefer und tiefer sinken. Über ihnen ragten die eisigen Gipfel höher und immer höher. Die Luft wurde wärmer und süßer, so süß, daß einem fast die Tränen in die Augen stiegen. Jetzt glitt Flügelpfeil mit weit ausgebreiteten, reglosen Schwingen dahin, während er mit den Hufen nach dem Boden tastete. Der steile grüne Hügel kam auf sie zugejagt, und gleich darauf landete Flügelpfeil ein bißchen unbeholfen am Hang. Die Kinder rollten von seinem Rücken und plumpsten in das warme, zarte Gras.

Doch es tat nicht weh, und ein klein wenig atemlos rappelten sie sich auf.

Drei Viertel des Hügels lagen unter ihnen. Die Kinder und Flügelpfeil machten sich sofort auf den Weg, um noch das restliche Viertel zu besteigen. Ohne die Flügel, die er ab und zu zum Balancieren und zum Flattern benutzte, hätte Flügelpfeil es wohl kaum geschafft. Rund um die Spitze des Hügels erhob sich eine hohe Mauer aus grünem Gras. Dahinter wuchsen Bäume, deren Zweige über die Mauer hingen, mit Blättern bewachsen, die nicht nur grün, sondern auch blau und silbern schimmerten, wenn der Wind sie bewegte. Als die drei oben ankamen, mußten sie fast um die ganze Mauer herumlaufen, bis sie den Eingang fanden: ein hohes, goldenes, fest verschlossenes Tor, das genau nach Osten zeigte.

Ich glaube, bis zu diesem Augenblick hatten Polly und das Pferd vorgehabt, mit Digory zusammen hineinzugehen. Jetzt wollten sie das nicht mehr. Ihr habt noch nie einen Ort gesehen, der so offensichtlich privat war. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, daß er jemand anderem gehörte. Nur ein Narr wäre auf die Idee gekommen, hineinzugehen, wenn er nicht zu einem ganz besonderen Zweck hierhergeschickt worden war. Auch Digory begriff sofort, daß die anderen nicht mitkommen wollten und durften. Also ging er allein auf das Tor zu.

Aus der Nähe sah er, daß auf dem Gold silberne Lettern eingeprägt waren. Die Worte lauteten etwa so:

Tritt durch die goldenen Tore ein oder laß es sein.

Für andere nimm meine Früchte, doch nicht für dich allein.

Denn jenen, die stehlen oder die Mauer übersteigen,

Wird sich ein Herzenswunsch erfüllen und Verzweiflung zeigen.

Für andere nimm meine Früchte, sagte sich Digory. Na ja, das hab’ ich ja auch vor. Das bedeutet wohl, daß ich selbst keine essen darf. Was wohl die letzte Zeile bedeuten soll? Und dann: Tritt durch die goldenen Tore ein.