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Also steckten sie die grünen Ringe an, nahmen einander bei der Hand und riefen noch einmaclass="underline" »Eins – zwei drei – los!« Diesmal funktionierte es. Es läßt sich schwer beschreiben, wie sich das Ganze für die beiden anfühlte, weil alles so schnell ging. Zuerst bewegten sich helle Lichter an einem dunklen Himmel. Digory war anschließend der Meinung, es seien Sterne gewesen, und er war sogar bereit, zu beschwören, er habe den Jupiter ganz aus der Nähe gesehen. Sogar dessen Monde habe er erkennen können. Aber gleich darauf waren sie von unzähligen Dächern mit Kaminen umgeben, und die St. Paul’s-Kathedrale sahen sie auch. Sie mußten also in London sein.

Doch sie konnten durch alle Mauern sehen und in alle Häuser hinein. Dann erblickten sie ganz verschwommen und unklar Onkel Andrew. Nach und nach wurde das Bild immer klarer, wie bei einem Fernglas, das richtig eingestellt wird. Doch bevor Digorys Onkel ganz und gar wirklich wurde, rief Polly: »Wechseln!« Also steckten sie die gelben Ringe wieder an, unsere Welt verblaßte wie ein Traum, das grüne Licht über ihnen wurde stärker und immer stärker, bis sie mit den Köpfen die Wasser­oberfläche durchstießen und wieder ans Ufer krabbelten. Um sie herum stand der Wald, so grün und so hell und so still wie zuvor. Das Ganze hatte kaum eine Minute gedauert.

»So!« sagte Digory. »Es klappt also. Und jetzt beginnt das Abenteuer. Welchen Teich wir nehmen, ist ja egal. Wir probieren den da.«

»Halt!« rief Polly. »Sollen wir denn nicht den Teich hier erst markieren?«

Die beiden starrten einander an und wurden totenblaß, als ihnen klar wurde, wie schrecklich das hätte ausgehen können, was Digory eben fast getan hätte. Es gab ja unzählige Teiche hier im Wald, und alle sahen sie gleich aus, genau wie die Bäume. Wenn sie also den Teich, der zu ihrer eigenen Welt führte, verlassen hätten, ohne ihn irgendwie zu markieren, dann würden sie ihn höchstwahr­scheinlich nie mehr gefunden haben.

Digorys Hand zitterte, als er sein Taschenmesser öffnete und einen langen Streifen der Grasnarbe am Teichufer herausschnitt. Die wohlduftende Erde war von einem tiefen Rotbraun, das sich von dem Grün drumherum gut abhob. »Wie gut, daß wenigstens einer von uns beiden was im Kopf hat«, sagte Polly.

»Jetzt hör schon auf und gib nicht so an!« sagte Digory.

»Ich will sehen, was wir im nächsten Teich vorfinden. Komm!«

Polly reagierte ziemlich ungehalten, und Digory gab eine noch ekelhaftere Antwort. Der Streit dauerte ein paar Minuten, aber es wäre langweilig, ihn in voller Länge wiederzugeben. Wir machen einfach einen Sprung bis zu dem Augenblick, wo sie mit Herzklopfen, ängstlichen Gesichtern und dem grünen Ring am Finger am Ufer des unbekannten Teiches standen, einander an der Hand faßten und noch einmal sagten: »Eins – zwei – drei – los!«

Platsch! Wieder einmal hatte es nicht funktioniert.

Auch dieser Teich war so flach wie eine Pfütze. Anstatt in eine andere Welt zu gelangen, hatten sie sich an diesem Vormittag zum zweiten Mal nasse Füße und vollgespritzte Beine geholt – falls es überhaupt noch Vormittag war: in dem Wald zwischen den Welten schien nämlich die Zeit stillzustehen.

»Zum Donnerwetter!« rief Digory. »Was ist denn bloß diesmal wieder schiefgegangen? Wir tragen doch die gelben Ringe! Er sagte, für die Reise nach draußen seien die gelben Ringe zuständig.«

In Wahrheit hatte Onkel Andrew, der nichts von dem Wald zwischen den Welten wußte, eine ganz falsche Vorstellung von den Ringen. Es traf nicht zu, daß die gelben in fremde Welten führten und die grünen nach Hause; zumindest nicht so, wie er sich das vorstellte. Das Material, aus dem beide Ringe bestanden, stammte aus dem Wald. Die Substanz in den gelben Ringen hatte die Kraft, den jeweiligen Träger in den Wald zu ziehen; diese Substanz wollte an ihren Ursprungsort zurück, in den Wald zwischen den Welten. Die Substanz in den grünen Ringen dagegen war bestrebt, ihren Ursprungsort zu verlassen: also brachten die grünen Ringe den jeweiligen Träger vom Wald weg in eine andere Welt. Ihr müßt wissen, daß Onkel Andrew hier mit Dingen umging, von denen er eigentlich gar nichts verstand. So ist das im übrigen mit den meisten Zauberern. Natürlich war sich Digory dessen auch nicht so recht bewußt, zumindest noch nicht gleich.

Aber als die beiden Kinder beratschlagt hatten, entschlossen sie sich, es noch einmal mit den grünen Ringen zu ver suchen, um zu sehen, was dann passierte.

»Ich bin dabei, wenn du dabei bist«, erklärte Polly wieder. Aber das sagte sie nur, weil sie tief im Innern ihres Herzens zu wissen glaubte, daß in dem neuen Teich keiner der beiden Ringe funktionierte. Also gab es außer einem Platscher ins Wasser ja eigentlich nichts zu befürchten. Digory ging es vermutlich genauso. Als die beiden ihre grünen Ringe übergestreift hatten und wieder Hand in Hand am Wasser standen, waren sie jedenfalls wesentlich wohlgemuter als beim ersten Mal. Und zudem hatten sie viel weniger Herzklopfen.

»Eins – zwei – drei – los!« rief Digory. Und dann sprangen sie.

DIE GLOCKE UND DAS HÄMMERCHEN

Diesmal gab es keinen Zweifeclass="underline" Die Zauberei funktionierte. Sie sausten tiefer und immer tiefer, zuerst durch dunkle Schwärze, dann zwischen ganz verschwommenen, wirbelnden Gebilden hindurch, die man nicht richtig erkennen konnte. Dann wurde es heller, und sie spürten plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen. Einen Augenblick später wurde das Bild um sie herum klar, und sie sahen sich um.

»Ein ziemlich eigenartiger Ort«, stellte Digory fest.

»Hier gefällt es mir gar nicht«, meinte Polly und schauderte.

Als erstes fiel ihnen das Licht auf. Es war nicht wie Sonnenlicht, nicht wie elektrisches Licht, nicht wie das Licht einer Lampe oder einer Kerze. So ein Licht hatten sie noch nie gesehen. Rötlich trüb, ganz und gar nicht freundlich, leuchtete es stetig, ohne zu flackern. Polly und Digory standen auf einer gepflasterten Fläche, umgeben von Gebäuden. Es schien eine Art Hof zu sein, auf dem sie da standen. Der Himmel über ihren Köpfen war von einem so dunklen Blau, daß er schon fast schwarz wirkte. Wenn man sich diesen Himmel anschaute, dann nahm einen wunder, daß es hier in dieser Welt nicht stockfinster war.

»Das Wetter hier ist ausgesprochen eigenartig«, sagte Digory. »Vielleicht kommen wir gerade zurecht für ein Gewitter oder eine Sonnenfinsternis.«

»Hier gefällt es mir gar nicht«, sagte Polly.

Alle beide flüsterten, ohne zu wissen weshalb. Und keiner ließ die Hand des anderen los, obwohl das jetzt, nach dem Sprung, eigentlich gar nicht mehr nötig war.

Hoch aufragende Mauern umgaben den Hof, auf dem sie standen. Das Mauerwerk war durchbrochen von vielen riesigen, glaslosen Fenstern, durch die nur schwarze Finsternis zu sehen war. Weiter unten klafften riesige Säulengänge wie die schwarzen Mäuler von Eisenbahn­tunnels. Es war auch ziemlich kalt.

Der Stein, aus dem alles gebaut war, schien rot zu sein, aber das lag vielleicht nur an dem eigenartigen Licht. Alles war offensichtlich uralt. Viele von den flachen Pflastersteinen hatten Sprünge, sie fügten sich nicht mehr richtig aneinander, und die scharfen Plattenkanten waren alle abgetreten. Einer der gewölbten Torbogen lag voller Geröll. Die beiden Kinder drehten und wendeten sich, um alles zu betrachten. Vor allem drehten und wendeten sie sich deshalb, weil ja vielleicht irgendeiner oder irgend etwas aus diesen Fenstern starrte, wenn sie sich gerade in eine andere Richtung drehten.

»Glaubst du, hier wohnt einer?« fragte Digory schließlich. Er flüsterte noch immer.

»Nein«, meinte Polly. »Das ist doch alles am Zusammen­brechen. Wir haben keinen einzigen Laut gehört, seit wir da sind.«

»Wir bleiben jetzt still stehen und horchen«, schlug Digory vor.

Also blieben sie still stehen und horchten, aber außer ihrem eigenen Herzklopfen war nichts zu hören. Hier war es mindestens genauso still wie in dem Wald zwischen den Welten. Nur war hier die Stille ganz anders. Im Wald war sie üppig gewesen, warm und voller Leben – um ein Haar hätte man dort die Bäume wachsen hören. Hier war sie tot, kalt und leer. Man konnte sich nicht vorstellen, daß in dieser Stille etwas wachsen sollte.