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»Hier, Brunhild, fang!« Eine ihrer Gefährtinnen warf der jungen Kriegerin ihr Schwert zu. Gerade noch rechtzeitig sprang Brunhild auf die Füße, riß die glänzende Klinge hoch und konnte den Schlag des Mannes mit ein wenig Mühe abfangen.

Doch so schnell gab der Krieger nicht auf. Er wendete sein Pferd. Brunhild drehte ihr Handgelenk und hielt dem Reiter, der wieder ausholte, erneut ihre Klinge entgegen.

Der Fremde wagte noch einen Angriff. Brunhild wich geschickt zur Seite, so daß der Reiter sie durch den Schwung des galoppierenden Pferdes verfehlte. Noch ehe er wußte, wie ihm geschah, sprang Brunhild herum und griff ihn seitlich an. Kunstvoll ließ sie die Waffe durch die Luft tanzen, so daß der Krieger nun seinerseits Mühe hatte, ihren Schlägen auszuweichen. Schnell und gezielt kreuzte sie seine Klinge, ein zweites und ein drittes Mal, dabei flüsterte sie heimlich einen Vers, der sie das Wesen des Pferdes beherrschen ließ. Mit einem lauten Schrei zog sie dann nach einer weiteren Attacke das Schwert in die Höhe, auf daß die Spitze geradewegs in den Himmel ragte. Der Wallach des Kriegers stieg, bezaubert von Brunhilds Worten gleichzeitig auf die Hinterhand, und der Reiter, der sich ganz auf seine Parade konzentriert hatte, verlor das Gleichgewicht. Noch bevor er sich festhalten konnte, stürzte er mit samt seiner Waffe zu Boden. Brunhild nutzte den Augenblick. Als der Krieger sich wieder aufrichten wollte, war sie mit dem Schwert in der Hand schon über ihm. Ihre dunklen Augen funkelten den Fremden zornig an. Ihr Herz raste.

»Für deine Freveltat, mit Gewalt den heiligen Garten der Göttin zu schänden!« rief sie bebend und stieß ihm die Spitze der Klinge in die Kehle.

Dann hielt sie inne. Einen Lidschlag lang schaute sie angewidert und entsetzt auf das Blut, das ihr Schwert rot färbte. Es war der erste Mensch, den sie getötet hatte. Doch der Kampf, der sich auch auf ihre Seite des Seeufers ausgedehnt hatte, ließ ihr keine Zeit, darüber nachzudenken.

Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie in einiger Entfernung bereits einen zweiten Reiter auf sich zugaloppieren. Erneut ging sie in Kampfhaltung. Ihr Herz schlug kräftig, aber sie war bereit, jeden zum Totentor zu schicken, der den Garten der Göttin schändete. Aus den Augenwinkeln erblickte sie neben sich, wie die jungen Priesterinnen gegen zwei weitere Reiter kämpften. Bald schon fielen auch diese Männer zu Boden. Das Ufer des heiligen Sees war von Blut durchtränkt, als Brunhild den nächsten Mann, der auf sie zuhielt, mit einem gezielten Hieb aus dem Sattel hob. Röchelnd fiel er vom Pferd, und die junge Kriegerin wollte sich schon einem dritten zuwenden, als sie wieder innehielt. Von jenseits des Ufers hörte sie plötzlich eine samtartige Frauenstimme, die zu singen begann.

Der Reiter kam näher. Brunhild duckte sich geschickt, so daß der Mann sie mit seinem Schwert knapp verfehlte. Voller Kampfesmut wirbelte sie herum, versetzte dem Fremden einen Hieb in den Rücken und riskierte, als sie sah, daß sie ihn verwundet hatte, einen Blick hinüber auf die andere Seite des Sees. Inmee saß wie eine Königin mit ihrem roten Gewand auf der Stute und sang ein seltsames Lied. Brunhild überlegte fieberhaft, während sie dem verletzten Reiter mit einem zweiten Schlag in den Rücken traf, der ihn tot vom Pferd stürzen ließ, was sie tun konnte, um Inmee aufzuhalten.

Sie warf einen Blick auf Ramee. Auch die alte Priesterin hatte sich aufgerichtet und horchte.

»Was für ein Lied singt sie?« fragte Brunhild atemlos.

»Es ist kein Lied, sondern ein dunkler Reigen aller Namen der schwarzen Göttin. Wenn es ihr gelingt, den Reigen zu beenden, dann hat sie die Macht der weißen Göttin hier so weit verdrängt, daß sie ihre schwarzen Flüche herüberschleudern kann, ohne daß einer von uns sie daran hindern könnte«, sagte die Alte und stimmte ein heiliges Lied an, das Brunhild sehr vertraut war. Es war der Lobgesang, der jeden Morgen bei Sonnenaufgang von den Priesterinnen für die weiße Göttin gesungen wurde. Ramees tiefe, kräftige Stimme schien die andere zum Duell herauszufordern. Für den Hauch eines Augenblickes hatte Brunhild das Gefühl, die andere veränderte den Rhythmus ihres Reigens. Ramee sang daraufhin lauter, so daß die Luft um sie herum von Licht erfüllt zu sein schien. Inmee nahm die Herausforderung an. Ihre Stimme wurde heller, doch Brunhild hatte den Eindruck, daß dafür die Namen, mit denen die schwarze Priesterin ihre Göttin herbeirief, immer düsterer wurden. Mehr und mehr gerieten die beiden Priesterinnen in Kampfeszorn. An Stelle von blankem Stahl setzten die mächtigen Frauen nun Ton um Ton, Vers um Vers gegeneinander, bis es wie ein schauriges Duett über den See hinüberklang. Einen Herzschlag lang stand Brunhild unbeweglich da, wie benommen von der unheimlichen Macht, welche die beiden Priesterinnen sich entgegenschlugen.

Aber dann sah sie aus den Augenwinkeln erneut einen Reiter auf sich zukommen. Erwartungsvoll hielt sie ihm ihr Schwert entgegen. Der Mann kam näher, ohne eine Waffe in der Hand zu halten. Vielleicht ist es ein Magier, dachte Brunhild, als sie versuchte, sich dieses sonderbare Verhalten zu erklären. Einen anderen Grund, warum jemand ohne Waffe in eine blutige Schlacht reiten konnte, gab es schließlich nicht. Mißtrauisch hob sie ihr Schwert noch ein wenig höher und begann rasch den Vers zu wiederholen, den sie bei dem ersten Reiter schon gemurmelt hatte, um sich das Pferd des Fremden gefügig zu machen. Sie würde ihm zuvorkommen, wenn er sie mit einem Fluch belegen wollte. Aber das schwarze, zottelige Pferd stürmte mit einer solch gewaltigen Kraft auf sie zu, daß der Boden unter ihren Füßen bebte. Brunhild gelang es nicht gleich, ihr eigenes Wesen mit dem des Pferdes zu verbinden, um die Herrschaft über das Tier zu erlangen. Auch sang die alte Ramee neben ihr immer lauter, so daß die junge Kriegerin sich sehr konzentrieren mußte, ihre Verse nicht zu verwechseln. Mühsam hatte sie die letzte Zeile der Strophe beendet, als sie plötzlich von einem schwarzen Blitz abgelenkt wurde, der zornig wie ein finsterer Fluch vom Himmel hinabstieß. Brunhild wußte nicht, was geschehen war. Sie wollte sich zu Ramee umwenden, als ein gleißend heller Blitz sie blendete. Noch bevor sie handeln konnte, spürte sie, wie der fremde Reiter sie erreichte, ihre blinde Verwirrung nutzte, um ihr die Klinge aus den Händen zu schlagen, und sie fest um die Taille faßte. Zornig schlug sie um sich, verfehlte jedoch den Fremden, der sie mit hartem Griff auf sein galoppierendes Pferd hinaufzog. Brunhild verlor den Boden unter den Füßen. Der Hengst steuerte geradewegs auf den See zu.

Vom anderen Ufer her hörte Brunhild die Stimme der schwarzen Priesterin, dann war alles still. Das mächtige Pferd setzte zu einem gewaltigen Sprung an. Dann fühlte Brunhild, wie das heilige Wasser des Sees über ihr zusammenschlug.

Zornig drehte sie sich unter Wasser, soweit sie es vermochte, hin und her, aber es gelang ihr nicht, sich zu befreien. Der Fremde lockerte einen Lidschlag lang seinen Griff, um gemeinsam mit ihr vom Rücken seines Pferdes zu gleiten und weiter hinab in die kalte Tiefe zu tauchen, aber auch er kämpfte mit aller Kraft, um sie nicht freizugeben.

Brunhild versuchte ihm mit schlängelnden Bewegungen zu entschlüpfen, doch da hatte er sie schon wieder fester gepackt und hielt sie mit aller Gewalt unter Wasser. Auch das Pferd zog er mit der Hand am Zügel tiefer herunter. Voller Zorn über diese ungewöhnliche Attacke begann Brunhild mit Händen und Füßen dagegen anzukämpfen, doch sein Arm lag wie ein eiserner Ring um ihre Brust, so daß es für sie unmöglich war, aufzutauchen. Langsam wurde der Druck in ihren Lungen stärker. Sie sah plötzlich dunkle Ringe vor sich, die in ihrem Kopf zu tanzen begannen, dann verlor sie das Bewußtsein.

4. KAPITEL

Als Brunhild wieder erwachte, lag sie auf hartem, feuchtem Steinboden. Ihre nassen Kleider klebten ihr kalt am Leib, und ihre Zähne schlugen zitternd aufeinander. Sie brauchte eine Weile, bis sich ihre Augen an das sanft schimmernde Licht gewöhnt hatten, das sie umgab. Benommen richtete sie sich auf. Das Rauschen des Wasserfalls klang anders als sonst. Schließlich erkannte Brunhild, wo sie war. Es mußte die Höhle hinter dem Wasserfall sein, in der sie lag.