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Sollte das ihre Prüfung sein? Tote Freunde in einem versteinerten Garten der Göttin?

Während sie wieder auf das heilige Wasser des Sees schaute und sah, wie Raban langsam vom Seeufer fortging, erinnerte sie sich an den Tag, als Arma damit begonnen hatte, ihr das Schwertkämpfen beizubringen. Sie war damals fast noch ein Kind gewesen, da hatte die Kriegerin eines Tages ein Schwert vor sie hin in das Gras gelegt und sie aufgefordert, es aufzuheben und damit das Kämpfen zu erlernen.

Brunhild entsann sich, daß sie die große, schwere Waffe kaum hatte heben können. Schmollend hatte sie sich nach einigen vergeblichen Versuchen neben die Klinge ins Gras gesetzt und geschworen, niemals auch nur einen einzigen Schwertstreich auszuführen. In jenem Augenblick hatte sie beschlossen, Gärtnerin zu werden und ihr Leben damit zu verbringen, Blumen für die Göttin zu pflanzen. Dann war Arma zu ihr gekommen. »Steh auf, Brunhild, der Weg zu deinem Ziel ist weit, also beginne jetzt! Jeder Tag ist kostbar, verschwende ihn nicht mit dunklen Gefühlen.« Anschließend hatte sie ihr das Schwert in die Hand gegeben und sie gelehrt, es zu führen.

Brunhild seufzte. Vielleicht hatte Raban unrecht, und dieser finstere Fluch der Versteinerung ließ sich wieder aufheben. Sie schaute zum Wasserfall. Die Sonne war hinter den dichten Wolken am Himmel immer noch nicht richtig zu sehen, dennoch mußte es auf Mittag zugehen. Mit festen Schritten lief Brunhild am See entlang zum jenseitigen Ufer, wo der Überfall begonnen hatte. Vielleicht gab es dort Hinweise und Spuren, die ihr weiterhalfen.

Während sie den schmalen Pfad entlangging, passierte sie immer wieder versteinerte Gestalten. Priesterinnen und Krieger, die regungslos im Schwertkampf verharrten, standen nahe des Wassers und schienen darauf zu warten, den nächsten Schlag ausführen zu können. Mit einem großen Schritt stieg die junge Kriegerin über einen am Boden liegenden Mann hinweg und ging weiter bis zu der Stelle, an der sie Inmee mit ihrer weißen Stute zuletzt stehen gesehen hatte. Brunhild schaute sich um. Von hier aus hatte man einen genauen Blick auf den Mondscheintempel, der auf dem Hügel zwischen den Bäumen am anderen Seeufer lag. Sonst gab es nichts an diesem Ort. Enttäuscht wandte die junge Kriegerin den Blick wieder ab. Der felsig graue Tempelhügel mit den erstarrten Bäumen stimmte sie nur noch trauriger. Dieser Garten war zu einer Wüste geworden.

Insgeheim hatte sie gehofft, ein Zeichen zu entdecken, das ihr einen Weg weisen würde. Eine Spur, die sie zu Inmee führen konnte, aber so lange sie auch suchte, sie konnte nichts finden!

»Dieses Weib versteht sich aufs Kämpfen«, flüsterte sie und wischte ein wenig mit den Fingerspitzen über den Boden. Die Pferdeabdrücke auf dem staubigen Geröllboden waren nicht mehr auszumachen.

Ein Stück weiter fort vom Ufer begann der Wald, durch den Inmee heruntergaloppiert war. Brunhild folgte dem schmalen Pfad, der durch die toten Wiesen leicht bergauf führte, bis felsige Baumriesen vor ihr aufragten. Wie oft war sie mit Arma durch diesen Wald geritten! Traurig fuhr Brunhild mit ihrer Hand über den kalten Stamm einer alten Buche. Sie kannte jeden einzelnen Baum in diesem Garten, und es schmerzte sie, nichts gegen diese Versteinerung tun zu können.

Wenn sie gemeinsam mit Arma zur Jagd gegangen war, hatten sie oft auf diesem Weg den heiligen Ort verlassen. Arma hatte sie gelehrt, die Spuren der Tiere zu erkennen, die in dem Wald und jenseits der magischen Grenze lebten.

»Wenn du auf die Jagd gehst, Brunhild«, hatte die Kriegerin gesagt, »und dabei Spuren suchst, dann halte nicht fest an dem, was du glaubst, suchen zu müssen, sonst wirst du das, was du finden sollst, niemals sehen.«

Eine Weile stand Brunhild da. Schließlich drehte sie sich entschlossen um und ging zurück. Wenn dies alles, was seit dem Morgengrauen geschah, eine Prüfung der Göttin für die neue Hüterin des Feuers darstellte, dann würde die Göttin auch ihre Schritte lenken. Sie mußte ihr nur vertrauen!

So verließ sie den Pfad, um eine Abkürzung durch den Wald zu suchen. Es gab einen Weg, der auf halber Höhe geradewegs zum Tempelhügel führte, ohne daß sie erst zurück und hinunter an das Seeufer mußte. In nassen Kleidern ohne Waffen und Pferd konnte sie Inmee ohnehin nicht folgen. Zuerst mußte sie nachschauen, ob sie in der Höhle, in der sie mit Arma gelebt hatte, noch etwas Brauchbares fand oder ob auch dort alles versteinert war.

Leichtfüßig sprang sie über einen niedrigen Ast, der ihr den Weg versperrte, und blieb mit den Enden des feuchten Leinenhemdes, das unter Ramees Gürtel hervorlugte, an einem der anderen Äste hängen.

Ärgerlich wandte sie sich um und versuchte, den Stoff von den steinernen Dornen zu lösen, als ihr Blick auf ein kleines Haarbüschel fiel, das ein wenig unterhalb ihres Hemdes ebenfalls in dem Strauch hing. Vorsichtig nahm sie das Büschel von dem Ast. Die Haare waren schwarz, lang und zottelig. Brunhild roch daran. Ein strenger Geruch stieg ihr in die Nase, den sie nicht einzuordnen wußte. Vielleicht stammten die Haare von Rabans Hengst, doch dann verwarf Brunhild den Gedanken wieder. Das Fell war zu weich und viel zu lang, als daß es Pferdehaar hätte sein können. Die junge Kriegerin schaute es sich genauer an, aber ihr fiel kein Tier ein, zu dem dieses Haar gepaßt hätte.

Rund um den wild wuchernden Busch ließen sich auf dem Boden keinerlei Spuren erkennen, die zu einem fremden Tier gehören konnten. Nachdenklich steckte Brunhild das schwarze Fellchen an ihren Gürtel. Die Göttin gab oft seltsame und sehr rätselhafte Zeichen.

Als sie aufschaute, um dem Pfad weiter zu folgen, der zum Tempelhügel führte, sah sie einen schwarz gekleideten Reiter auf einem Fuchshengst in scharfem Galopp auf sich zustürmen. Brunhild zuckte zusammen. Sie hatte den Reiter nicht kommen gehört, und auch jetzt hatte sie Mühe, irgend etwas zu vernehmen, so als berührte das Pferd nicht wirklich den Steinboden.

Einen Moment lang glaubte sie, daß der Reiter zu Inmees Kriegsschar gehörte, doch er griff sie nicht an, sondern zügelte den Fuchshengst vor ihr so heftig, daß dieser sich wiehernd aufbäumte. Der Fremde trug eine Maske aus schwarzem Samt, die sein Gesicht bis auf seine Augen vollständig verbarg. Schweigend schaute er sie einen Herzschlag lang an.

In den Händen hielt er ein reichverziertes Schwert, das er zwar nicht gegen sie gerichtet hielt; Brunhild wagte dennoch nicht, sich zu rühren.

»Ihr tragt keine Waffe bei Euch, Kriegerin«, rief er schließlich, während er spielerisch den tänzelnden Hengst im Zaum hielt. Seine Stimme klang weich und fast ein wenig spöttisch. »Das ist nicht sehr klug von Euch!«

Brunhild nickte.

Der Fremde drehte die kostbare Klinge in seinen Händen, betrachtete die Waffe eine Weile, dann warf er sie ihr vor die Füße.

»Nehmt mein Schwert! Mehr kann ich nicht für Euch tun!«

»Aber...« Weiter kam Brunhild nicht. Ehe sie noch etwas sagen konnte, gab der Maskierte seinem Pferd die Zügel und preschte grußlos an ihr vorbei.

Brunhild hielt inne. Es kam nicht oft vor, daß jemand eine solch kostbare Klinge verschenkte. Vielleicht war es eine Falle. Als sie sich umwandte, war der Fremde genauso lautlos, wie er gekommen war, zwischen den versteinerten Bäumen verschwunden. Langsam bückte sie sich und hob die Waffe auf. Sie war erstaunlich leicht und lag ihr angenehm in der Hand. Brunhild betrachtete die sorgfältige Schmiedekunst des Stahls. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Nachdenklich berührte sie mit den Fingern die Spitze und zuckte zurück. Ihr Finger blutete.

Vorsichtig steckte sie das Schwert in ihren Gürtel und ging weiter.