»Nein, das kann ich nicht! Dieser Garten, der Wasserfall, die Gefährtinnen...« Sie deutete mit der ausgestreckten Hand auf die Steine ringsum. »Nein, Raban, meine Aufgabe ist es, der Göttin zu folgen!«
Raban beugte sich ein wenig herab, küßte sanft ihre Wangen und wandte sich um. Elegant schwang er sich auf den prächtigen Hengst.
»Dann lebt wohl!« Er deutete noch eine Verbeugung an und nahm die Zügel auf.
»Das ist nicht Euer Ernst, Ihr könnt doch nicht wirklich zu diesem verfluchten Schloß reiten, nach allem, was hier geschehen ist.« Wütend griff sie ihm in die Zügel. »Dieses Schloß Eurer Väter ruht wahrscheinlich seit vielen Wintern verlassen in den Bergen, da wird es wohl noch einige Zeit warten können!«
Brunhild glaubte, Raban einen Augenblick zögern zu sehen. Ein kühler Wind kam auf und zerrte an seinen nassen Kleidern. Doch er nahm die Zügel straffer.
»Waren wir nicht einst Gefährten der Nacht?« fragte sie leise, während sie die Entschlossenheit in seinem Blick las. »Habt Ihr in Worms verlernt, was ein solcher Schwur bedeutet?«
»Nein, das habe ich gewiß nicht vergessen«, sagte er. Ein trauriger Zug spielte um seine Lippen. »Ich habe auch Euch nicht vergessen, Gefährtin, doch ich war schon zu lange hier. Verzeiht mir!« Er strich noch einmal mit den Fingerspitzen über ihre Wangen. »In Worms habe ich gelernt, zu begreifen, wann ein Kampf aussichtslos ist! Ich will nicht dabei zuschauen, wenn sie Euch tötet.«
Seine Lippen näherten sich den ihren, doch Brunhild wandte den Kopf.
Raban richtete sich auf und trieb den Hengst an. »Wenn Ihr Eure Meinung ändert oder Ihr den Kampf mit Inmee vielleicht doch überstanden habt, dann wißt Ihr, wo Ihr mich findet!«
»Was hindert Euch wirklich?« rief Brunhild ihm zornig nach. »Es geht nicht bloß um einen aussichtslosen Kampf, nicht wahr?«
Der junge Ritter hielt sein Pferd noch einmal an. Eine Weile betrachtete er schweigend den breiten, zotteligen Hals des Hengstes. Dann schüttelte er langsam den Kopf und drehte sich zu Brunhild um. »Ich kann es Euch nicht sagen. Ihr müßt diesen Weg alleine gehen. Lebt wohl!«
»Dann zieht Eurer Wege!« fluchte Brunhild und wandte sich eilig um. Sie wollte nicht, daß er ihre Tränen sah.
Mit raschen Schritten erklomm sie den Geröllhaufen, der noch im Morgengrauen eine dunkelgrüne Wiese gewesen war, die zum Mondscheintempel hinaufführte.
Als sie den Kamm erreicht hatte, begann sie zu laufen. Das Haus der Göttin erschien ihr das einzig noch Beständige zu sein. Sie sehnte sich nach dem kleinen Seerosenteich, an dem sie so oft mit den Gefährtinnen gesessen hatte. Jetzt war die Göttin alles, was ihr noch geblieben war. Keuchend rannte sie durch das geöffnete silberweiße Tor des Tempels. In der Ferne hörte sie den schweren bebenden Galopp des schwarzen Pferdes.
Raban fühlte, wie sein Herz heftig schlug. Endlich erreichte er mit Bortino das Ende des versteinerten Gartens und atmete auf. Er hatte sich entschlossen, nach Norden zu reiten in der Hoffnung, daß er dort eine Spur der schwarzen Priesterin finden würde, doch beinahe hätten Brunhilds Worte am Fuße des Tempelhügels ihn umgestimmt. Er konnte sich selbst nicht mehr verstehen. Es war, als wären plötzlich zwei Seelen in seiner Brust gefangen. Eine sehnte sich nach dem Wissen und nach der Macht, sie war zweifellos die Stärkere, aber die andere war erwacht, seitdem er Brunhild gesehen hatte. Die Leidenschaft, mit der Brunhild für eine Sache einstand, den Glauben und die Hoffnung, die sie ausstrahlte, erinnerten ihn sehr an seine Zeit in Worms. Sein Ziehvater Faramund hatte ihn alles gelehrt, was ein edler Ritter wissen mußte, doch Raban fand, daß er sich wenig zum Ritter eignete. Brunhild dagegen hatte, auch wenn sie ein Weib war, viel edlere Tugenden an sich als er selbst. Raban schätzte ihr Vertrauen, daß sie in ihr Schicksal setzte. In diesem Punkt hatte sie sich seit ihrer Kinderzeit nicht geändert. Für den Hauch eines Augenblicks war er wirklich bereit gewesen, die Richtung seines Weges für Brunhild wieder zu ändern und gemeinsam mit ihr zum Schloß seiner Väter zu reiten. Irritiert fragte er sich, wie so etwas geschehen konnte. Aber mittlerweile wußte er wieder, daß er Inmee folgen wollte. Er wollte die schwarze Priesterin nicht töten wie Brunhild, sondern von ihr die Macht erlernen. Inmee war seine Zukunft. Aber die Vergangenheit mit Brunhild ließ ihn, jetzt, da er ihr begegnet war, nicht so einfach wieder los. Ihr Lächeln war ihm vertraut, fast mußte er sich eingestehen, daß er es liebte.
Raban schüttelte den Kopf. Nein, der Sohn eines Feuermagiers war nicht für die Liebe geboren, sondern für das Wissen und die Macht. Heftiger als sonst trieb er seinen Hengst an. Er mußte Brunhild vergessen.
Der rauhe Wind zerrte an seinen feuchten Kleidern, schnitt ihm scharf ins Gesicht und trieb ihm die Tränen in die Augen, doch er zwang sich, weiterzureiten. Leise fluchend wischte er sich mit der Hand über die Augen. Er wollte Inmee finden, er würde dieser schwarzen Meisterin und ihrem Dämon ein gelehriger Schüler sein, und irgendwann, wenn er im Besitz der Macht war, dann...
5. KAPITEL
Antana zupfte die Katzenhaare von der wollenen Decke. Ein wenig mehr als eine Handvoll Fell mußte reichen. Die langen rotbraunen Haare mischten sich mit dem weichen grauen Flaum des Winterfelles, das Pyros in den vergangenen Monaten verloren hatte. Antana stopfte alles bis auf ein winziges Knäuel, das sie sofort gebrauchen würde, in einen kleinen ledernen Beutel und befestigte ihn an dem Gürtel ihres Gewandes. Flüchtig warf sie noch einen Blick auf die Sachen, die sie gepackt hatte. Ein zweites Gewand, Kräuter zur Stärkung und zur Säuberung von Wunden, ein Fläschchen mit einer dunklen Flüssigkeit gegen Schmerzen und weiße Leinentücher lagen bereit. Mit ledernen Riemen und einem großen Tuch verschnürte sie alles sorgfältig. Zufrieden betrachtete sie ihre Arbeit, dann legte sie sich ihren Umhang über die Schultern, nahm das Bündel und das winzige Knäuel von Pyros’ Katzenhaaren und verließ die kleine Hütte. Sie warf einen Blick zum Himmel. Es ist bereits nach Mittag, Zeit, daß sie verschwand. Bei Dunkelheit wirkte der Zauber, mit dem sie Pyros finden konnte, vielleicht nicht mehr.
Seit mehr als zwei Tagen war der rotbraune Kater fort, der mit ihr in der kleinen Hütte gelebt hatte. Das war nicht seine Art. Die Heilerin befürchtete, daß er vielleicht verletzt worden war und hilflos irgendwo in den Wäldern lag. Meist kam Pyros, wenn er fortgegangen war, in den frühen Morgenstunden in ihre kleine Hütte zurück und sprang sanft auf ihr Strohlager. Es war seine Weise, ihr mitzuteilen, daß er wieder da war. Mit leisem Schnurren pflegte er sich auf ihre Füße zu legen. Oft schlief er bis zur Abenddämmerung auf seiner Decke und mauzte dabei gelegentlich, als habe er schöne Träume.
Die Heilerin horchte in sich hinein. Es war wie ein seltsames Drängen in ihr, daß sie endlich aufbrechen sollte.
In der vergangenen Nacht hatte sie deutlich den roten Mond am Himmel gesehen. Unheil kündend hatte er am Firmament gestanden. Zu lange hatte sich ihr Leben um die Zauber und Magie der weißen und der schwarzen Göttin gedreht, als daß sie dieses Zeichen hätte ungedeutet lassen können.
Pyros hatte in seiner Zeit als Feuermagier auch der dunklen Göttin gedient, daher wußte Antana nur zu gut, daß der rote Mond für ihn und für andere Anhänger der finsteren Macht das Zeichen war, in den Kampf zu treten, um das Gleichgewicht zu stören und gegen die weißen Mächte zu siegen. Doch Antana konnte sich nicht recht vorstellen, daß Pyros in der Gestalt eines Katers wieder zur Macht strebte. Seit die alte Ramee Pyros vor vielen Wintern in einen Kater verwandelt hatte, war er immer seltener zu den geheimen Orten der schwarzen Göttin gegangen. Antana war ihm anfangs dorthin immer gefolgt. Gemeinsam hatten sie noch einige Rituale abgehalten und das Blut von Opfern getrunken, doch je länger der Magier als Kater lebte, desto weniger schien ihn die Magie und die Göttin zu beschäftigen.