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Auch hatte er sich nach seiner Verwandlung bemüht, eine Form zu finden, mit ihr in Kontakt zu treten, damit sie einander verstehen konnten. Er benutzte seine Augen, um ihr seine Empfindungen mitzuteilen, doch in den letzten Wintern war ihrer beider Leben eher ruhig geworden. Es war nicht mehr nötig gewesen, einander die inneren Bilder zu schenken. Antana hatte ihn verstanden, ohne daß es einer Anstrengung bedurft hätte. Zwar streifte Pyros gelegentlich noch alleine durch die nahen Wälder, aber es war eher der natürliche Trieb eines Katers, der ihn dahin lenkte.

Antana schaute sich um und versuchte, sich zu erinnern, in welche Richtung Pyros vor zwei Tagen davongeschlichen war. Sie schwang sich das Bündel mit ihren Sachen auf den Rücken und bestieg die graue Stute, die Mirka ihr vor langer Zeit geschenkt hatte. Vorsichtig, um das ineinander verwobene, filigrane Geflecht der Haare nicht zu zerstören, zupfte Antana das winzige Katzenfell so weit auseinander, bis es von der Fläche her so groß wie ihr Handteller war. Behutsam hielt sie es gegen das matte Licht der Sonne und flüsterte einen geheimen Vers, den Pyros ihr einst beigebracht hatte.

»Wenn du diese Worte dreimal hintereinander sprichst, dem Wind ein Zeichen von mir gibst, so wird er dich zu mir leiten, egal, wer oder wo ich bin«, hatte der Magier versprochen.

Antana hatte diesen Spruch noch niemals zuvor angewendet; sie war sich nicht sicher, ob es gelingen würde, aber es war im Augenblick das einzige, was ihr einfiel, um Pyros zu finden.

Ein leichter Wind kam auf. Die Heilerin ließ das Fellchen los und sprach die alten Worte. Dann schaute sie zu, wie der Wind die Haare gleich einer Vogelfeder durch die Luft schweben ließ. Langsam, ohne auf den Boden zu sinken, trieb das Zeichen vor ihr her und näherte sich nach einer Weile den Bäumen. Sanft lenkte Antana die Stute in den Wald hinein.

Der Wind blies beständig und leitete sie so durch das Gehölz, bis sie nach einer Weile zu der weiten Ebene kam. Immer noch schwebte das Fellstückchen vor ihr her. Durch das offene Land ging es ein wenig rascher voran, so daß Antana ihre Stute antreiben konnte. In leichtem Galopp ritt sie dahin, immer bemüht, Pyros’ Haare, welche im Wind tanzten, nicht aus den Augen zu verlieren. Es schien ihr, als hielte das Fell geradewegs auf ein einzelnes Zelt zu, das in einiger Entfernung auf der Ebene stand.

Sie zügelte ihr Pferd und ritt langsam näher. Als sie das Zelt erreichte, sah sie das kleine Haarbüschel, das sich wieder ein wenig zusammengeknäult hatte, vor dem Eingang liegen.

Die Heilerin sprang ab.

»Ist hier jemand?« Antana räusperte sich. Sie war es nicht mehr gewohnt, zu reden. Wenn Pyros bei ihr war, sprach sie zwar hin und wieder mit ihm, oder wenn eine der Priesterinnen vom Wasserfall sie besuchte, ansonsten zog sie es vor, zu schweigen.

Da ihr niemand antwortete, schlug sie die Decke vor dem Eingang zurück und trat ein.

Antana hielt einen Augenblick die Luft an. Ein säuerlicher Geruch von Blut und Schweiß schlug ihr entgegen. So etwas hatte sie seit Rabans Geburt nicht mehr gerochen. Damals in Lursas Höhle, als sie Pyros Sohn auf die Welt geholfen hatte, hatte ein ähnlicher Geruch sie umfangen. Doch es lag noch etwas anderes in der Luft. Ein strenger, fast wilder Duft, den sie nicht kannte. Angewidert rümpfte sie die Nase.

Nur allmählich gewöhnten sich Antanas Augen an das halbdunkle Licht im Zelt. Schließlich erkannte sie einige Umrisse und versuchte, sich vorzustellen, was hier geschehen war. Ihr fielen die Blutopfer ein, die sie gemeinsam mit Pyros begangen hatte, doch dies hier war weit grausamer. Antana schüttelte sich. Es war lange her, daß sie Menschen getötet hatte, um dadurch die Kraft für die Zauber der schwarzen Göttin zu erlangen. Sie hatte vergessen, was für ein Leiden es brachte.

Vorsichtig schaute sie sich um. Ein junger, blonder Mann lag geschändet und mit aufgerissenen Augen auf einem Lager aus Fellen und Decken. Antana beugte sich über ihn. Deutlich erkannte sie die Zeichen des Opferrituals, sein Körper war blutverschmiert und mit Bißwunden rund um seine Männlichkeit übersät.

Wer immer ihn geopfert hatte, hatte das Ritual des zeremoniellen Trankes nicht zum ersten Mal vollzogen.

Der blonde Bursche mußte schon seit geraumer Zeit tot sein, sein Körper war kalt und starr. Er hatte augenscheinlich keinen leichten Tod gehabt. Wann immer Antana selbst einem Opfer den Tod gebracht hatte, war sie darauf bedacht gewesen, es so rasch wie möglich zu tun, um das Leiden zu verkürzen. Solch eine Grausamkeit wäre ihr nicht in den Sinn gekommen.

Antana wandte sich den anderen zu. Eine alte Frau war ebenfalls geopfert worden. Sie bot einen schaurigen Anblick, ihr greisenhafter Leib war grau und eingefallen, so daß die Knochen aus dem Gewand hervorragten. Doch offenbar hatte es nicht ausgereicht, sie zu töten, jemand mußte sie nach der Zeremonie auch noch geköpft haben. Antana verstand es nicht. Angewidert wandte sich die Heilerin ab und sah nach den anderen beiden. Unter einer Decke erkannte sie die Gestalt einer weiteren Frau, gleich daneben lag ein Krieger. Mit einem raschen Griff zog Antana die Decke von der Frau. In Erwartung, eine weitere grausam zugerichtete Leiche zu entblößen, war sie einen Schritt zurückgewichen. Doch was sie sah, erstaunte sie. Die Frau lag auf dem Bauch. Drei Pfeilwunden zerfurchten ihren Rücken, doch sie schien nicht blutleer zu sein. Erstaunt ging Antana wieder einen Schritt näher und kniete sich nieder. Vorsichtig schob sie der Fremden das schwere dunkle Haar, das ihr Gesicht bedeckte, in den Nacken. Antana erschrak. Die Frau war Mirka. Einen Augenblick lang fragte Antana sich, was die Hohepriesterin der weißen Göttin an einem solch blutigen Ort gesucht hatte. Doch dann erkannte sie, daß Mirka noch atmete. Mit geschickten Händen untersuchte Antana sie. Die Frau war schwer verwundet, wenn sie nicht bald behandelt würde, würde sie die Nacht nicht überleben.

Antana warf einen raschen Blick auf den Krieger. Auch er lebte noch, er schien lediglich in eine tiefe Ohnmacht gesunken zu sein. Die Heilerin beugte sich wieder über Mirka. Bei einem rituellen Blutopfer war es ungewöhnlich, Anwesende am Leben zu lassen. Irgend etwas Seltsames mußte hier geschehen sein.

Die Heilerin schnallte sich ihr Bündel vom Rücken. Vielleicht kann ich Mirka wenigstens soweit helfen, überlegte sie, daß ich sie auf dem Rücken des Pferdes bis zum Mondscheintempel im Garten der weißen Göttin bringen kann. Das heilige Wasser des Tempels würde Mirka gewiß helfen.

Außerdem vermochte die alte Ramee schwere Wunden zu heilen. Die Frauen sagten, Ramee beherrsche alte, mächtige Rituale, mit denen sie die Blutungen stillen und die Schmerzen lindern konnte. Antana glaubte fest an diese Erzählungen der Priesterinnen, denn die alte Ramee hatte sie selbst damals geheilt, als sie nach einem magischen Duell mit Pyros, der den Wasserfall in Flammen aufgehen ließ, dem Tode nahe war.

Ein leises Mauzen schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Im Eingang des Zeltes, den sie nicht wieder mit der Decke verschlossen hatte, stand ein kräftiger, rotbrauner Kater und schaute sie aus tiefbraunen Augen an.

Antana schaute auf und lächelte. »Wenigstens hat der Zauber gewirkt, mit dem ich dich finden kann«, sagte sie und nahm die blutigen Tücher von Mirkas Rücken.

Raban war immer weiter dem nördlichen Pfad gefolgt, der zu den steilen Klippen führte, ohne ein Zeichen von Inmee und der Wölfin zu finden, doch sein Herz sagte ihm, daß es dennoch der rechte Weg sei. Hinter den Klippen lag der gewaltige, dunkle Ozean. Eine plötzliche Sehnsucht nach der unendlichen Weite war in ihm erwacht, und so trieb er den Hengst an. Schon konnte er das Salz, das der kalte Wind vom Meer herüberwehte, auf seinen Lippen schmecken.