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Die schrägen gelben Augen schienen sich zu weiten, die schwarzen Pupillen vergrößerten sich. Plötzlich wurde Brunhild warm. Das Zittern ihrer Glieder ließ nach, alle Mühen schienen ein Ende zu haben. Ihr Atem ging merklich ruhiger, und sie hatte das Gefühl, ewig dort in diesen gelbschwarzen Augen versinken zu wollen. Es schien mit einem Mal alles so einfach zu sein!

»Wenn du dem Weg der Wölfin folgst«, sagte die Stimme, »ist die Jagd für immer vorüber. Du wirst zufrieden sein, glücklich, alles wird so sein, wie du es willst... Du mußt dich nur trauen, Kriegerin!«

Ein greller Blitz zuckte über den Himmel, gleich darauf krachte ein gewaltiger Donner nieder, daß die Erde zu beben schien.

Erschrocken fuhr Brunhild zusammen und schlug die Augen auf. Nirgends konnte sie die schwarze Wölfin sehen, der sie nur einen Herzschlag lang zuvor so nahe gewesen war. Dafür drang ein scharfer, wilder Geruch ihr in die Nase. Irritiert schaute sie sich um. Sie lag nicht in dem versteinerten Wald, durch den sie glaubte, gelaufen zu sein, sondern an dem kleinen Seerosenteich im Tempel der weißen Göttin. Der sonst hellerleuchtete Raum war finster und kalt geworden. Alle Fackeln, die gewöhnlich zu Ehren der Göttin brannten, waren erloschen. Der kleine Seerosenteich war blutig, und die Fische darin waren verendet. Alles bis auf das heilige Wasser war zu Stein erstarrt. Selbst die roten Samtkissen, auf denen jeden Morgen und Abend die Priesterinnen saßen, wenn sie beteten, sahen wie graue, kleine Felsen aus.

Brunhild lauschte. Doch alles war still. Die Stimme der Wölfin war verstummt. Sie stand auf und reckte sich ein wenig. Ihre Glieder fühlten sich klamm und steif an in den nassen Kleidern. Die Hoffnung, in der Höhle, in der sie mit Arma gelebt hatte, ein trockenes Gewand zu finden, hatte sie mittlerweile aufgegeben. Wenn diese Verwandlung, die überall im Garten geschehen war, selbst vor dem Tempel der Göttin nicht haltmachte, dann gewiß nicht vor ein paar einfachen Stoffen in einer Holztruhe.

Gedankenverloren strich sie sich das feuchte Leinenhemd unterhalb ihrer Taille wieder glatt, als ihre Hand etwas Weiches berührte. Sie hielt inne und zupfte das schwarze Fellbüschel von ihrem Gürtel. Es war kein Traum gewesen. Der fremde, durchdringende Geruch, der den Tempel erfüllte, war derselbe, der von diesen Haaren ausging, nur viel stärker. Die Wölfin mußte wirklich hier gewesen sein.

Aufmerksam drehte sie das Fellchen in ihren Händen und betrachtete es genauer. Einem Wolf war sie bisher nicht begegnet, deshalb hatte sie die Haare nicht gleich erkannt. Es gab keine Wölfe in den Wäldern ringsum. Nur die alte Ramee hatte hin und wieder Geschichten von diesen gefährlichen Tieren erzählt, aber diese Geschichten spielten in längst vergangenen Zeiten.

Raban schien gewußt zu haben, daß es der Jägerin der schwarzen Göttin gehörte. Sie fragte sich, warum er ihr nichts davon erzählt hatte.

Draußen zuckte ein heller Lichtblitz durch die Dunkelheit. Brunhild sah es durch das geöffnete Tempeltor und hielt den Atem an. Gleich darauf schlug ein gewaltiger Donner auf das Haus der Göttin ein, als wolle er es auslöschen. Zitternd drückte sie sich ein wenig näher an die Wand.

Sie würde sich nie an solche Unwetter gewöhnen. Um sich abzulenken, versuchte Brunhild, sich an Mirkas Worte zu erinnern, als sie ihr von der finsteren Seite der Göttin erzählt hatte. Die Hohepriesterin hatte damals auch eine Wölfin erwähnt, welche die schwarze Göttin begleitete. Es sei ein grausamer Dämon, der ewig hungrig nach Blut und den Herzen der Menschen sei, hatte Mirka gesagt.

Offensichtlich hatte Inmee für ihren zerstörerischen Zauber dieses Tier mit in den heiligen Garten gebracht. Dies wäre eine Erklärung dafür, daß sie die alte Ramee in dem magischen Duell besiegen konnte und daß sie die gewaltige Kraft aufgebracht hatte, alles in Stein zu verwandeln. Brunhild dachte darüber nach. Aber das bedeutete auch, daß sie selbst nicht nur alleine mit der schwarzen Priesterin den Kampf aufnehmen mußte, sondern auch mit dem Dämon.

Behutsam strich sie mit den Fingerspitzen über die weichen Haare. Seltsam, wie konnte etwas derart Finsteres wie diese Wölfin ein solch zartes Fell haben. Es schmeichelte ihrer Haut und fühlte sich angenehm warm an. Brunhild erinnerte sich an die wohltuende Wärme, die sie empfunden hatte, als sie der Wölfin in die Augen geschaut hatte.

»Wirf es in den Seerosenteich!« sagte plötzlich eine Stimme in ihr und riß sie aus ihren Träumereien. Die junge Kriegerin hielt einen Augenblick inne.

Vielleicht ist es das beste, dachte sie. Wenn ich es in den Teich werfe. Noch einmal drehte sie den warmen Haarflaum zwischen ihren Fingern. Sie war sich nicht sicher, wieviel Macht ihre Göttin überhaupt noch in diesem versteinerten Hain hatte, um sich diesem finsteren Zeichen anzunehmen, wenn die Jägerin der schwarzen Göttin ungestraft den Mondscheintempel betreten konnte.

»Wirf es in das Wasser! Dann kann die Wölfin dich nicht finden. Solange du dieses Fell bei dir trägst, bist du in Gefahr! Laß es fallen!« Die Stimme in ihr wurde drängender.

Brunhild spürte, wie ihr Herz plötzlich ein wenig schneller schlug, als sie sich dem kleinen Seerosenteich näherte. Nur langsam streckte sie den Arm aus, bis ihre Hand über dem Wasser schwebte. Sie fragte sich, was geschehen mochte, wenn die weiße Göttin nicht mehr genug Kraft besaß, dieses Zeichen der dunklen Macht zu besiegen.

Doch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, erfüllte gleißend helles Licht wieder den heiligen Raum. Der Blitz schien geradewegs in den Tempel hineinzujagen und sich in seinem Inneren zu verfangen. Krachend schlug der Donner auf die Wände. Erschrocken ließ Brunhild den Wolfspelz los. Doch zu ihrem Erstaunen fiel er nicht herab, sondern blieb wie von Zauberhand gehalten einen Lidschlag lang in der Luft über dem Wasser stehen. Dann fegte ein zorniger, wilder Windhauch durch das silberweiße Tor des versteinerten Tempels hinein, erfaßte das schwarze Büschel und wirbelte es aus der Halle nach draußen.

Brunhild wollte dem sonderbaren Zeichen folgen, als noch ein Blitz, der wie ein bebender Peitschenschlag aus purem Licht durch den Tempel jagte, sie niederwarf. Zitternd krümmte sie sich unter dem Schlag des darauffolgenden Donners; wie eine mächtige, göttliche Faust schien er auf sie herabzustürzen.

Erst nach einer Weile kroch sie mühsam vom Seerosenteich fort, bis sie wieder die nahe Wand erreicht hatte. Dort setzte sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stein. Sie versuchte, ein Lied zu Ehren der weißen Göttin zu singen, doch ihre Stimme versagte. Draußen begann es zu regnen.

Brunhild wußte nicht, wie lange sie so eng an die Wand gelehnt mit angezogenen Knien dagesessen hatte, als eine seltsam weiche Melodie plötzlich durch den Raum zog. Sie wirkte zwischen dem prasselnden Regen und den harten Donnerschlägen, die immer noch vom Himmel herabschlugen, wie ein unwirklich filigranes Gespinst. Brunhild horchte auf. Die leisen, hellen Töne, die sich in klingendem Spiel aneinanderreihten, kamen näher. Raban, dachte sie hoffnungsvoll, er spielt auf seiner Flöte.

Aber dann verklang die Musik so unerwartet, wie sie gekommen war. Enttäuscht ließ Brunhild den Kopf auf die Knie sinken. Es war unsinnig zu hoffen, daß Raban zurückkehrte.

»Fürchtet Ihr Euch noch immer vor Gewitter, Gefährtin?«

Brunhild hob den Kopf. Sie sah Raban vor sich stehen, der mit einer eleganten Bewegung seine Flöte wieder in die Tasche gleiten ließ. Sein Haar tropfte vom Regen wie zuvor, als er aus dem See gestiegen war, doch es schien ihm nichts auszumachen, denn er lächelte.