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Vermutlich war die Frau eine Priesterin, doch es konnte keine von den heiligen, weißen Frauen sein, obwohl der Wasserfall, an dem die Gwenyar lebten, nicht allzuweit von diesem Wald entfernt lag. Aber die Priesterinnen des heiligen Gartens trugen bei ihren Ritualen, soweit Raban sich entsinnen konnte, keine schwarzen Gewänder, und sie hätten wohl kaum diesen unheilkündenden Mond gepriesen.

Neugierig tastete Raban sich noch ein wenig weiter vor, bis er unter einem wild wuchernden Strauch ausreichend Deckung fand. Behutsam bog er die dornigen Zweige ein wenig auseinander, um besser sehen zu können. Zu den Füßen der Priesterin lag ein dunkler Haufen von Hölzern. Als ihr Gesang verstummte, ließ die Priesterin sich auf dem Boden nieder und legte die Holzstückchen mit geschickten Fingern nach einem bestimmten Muster zusammen, als habe sie dies schon unzählige Male getan. Hin und wieder warf sie dabei rasch einen Blick zum Himmel hinauf, während sie die ganze Zeit über fremde Worte flüsterte. Raban beobachtete die geheimnisvolle Frau und versuchte herauszufinden, was sie damit bewirken wollte. Schließlich zog sie mit einem der kleineren Holzstückchen einen Kreis um das Bild auf dem Boden herum und schaute wieder zum Mond. Ein kalter Wind kam auf.

Als die Priesterin das letzte Holzteilchen noch einmal in den Himmel hob, um es dann an einer bestimmten Stelle des Musters wieder niederzulegen, durchfuhr Raban eine grausige Gewißheit. Das, was die Fremde dort zusammenlegte, waren keine Hölzer, sondern Knochen! Einen Augenblick lang hielt er den Atem an.

Die Frau war wieder aufgestanden und umkreiste mit langsamen Schritten das unheimliche Gebilde auf dem Boden. Ihre Augen waren dabei geschlossen; nur ihre Hände schwebten immerzu über den Knochen. Schließlich schlug sie die Augen auf und zog aus den Tiefen ihres schwarzen Umhangs einen Dolch hervor, der in dem gespenstischen Licht drohend aufblitzte. Ohne einen Laut von sich zu geben, öffnete sie sich mit zwei Schnitten beide Unterarme der Länge nach und ließ das Blut auf die Knochen tropfen. Dann nahm sie einen Rubin, der an einem ledernen Band um ihren Hals hing, ließ ihr Blut auch über ihn fließen und hielt den tropfenden Stein zum Himmel empor.

Peitschend erklang die Frauenstimme durch die Finsternis. »Loba, Loba erwache! Kehre zurück aus den finsteren Hallen«, rief sie laut, und dann folgte wieder irgend etwas, das Raban nicht verstand.

Ein leises Zucken fuhr schließlich durch die Knochen, als atmeten sie. Sofort kniete die Priesterin sich flüsternd daneben nieder.

Wie gebannt schaute Raban auf die blutigen Fleischfetzen, die mehr und mehr auf dem Skelett zu wachsen begannen, bis das ganze Tier vollständig war. Dann legte sich ein schwarzes, zotteliges Fell wie eine weiche Decke darüber. Für den Hauch eines Augenblicks hatte Raban den Eindruck, daß es überhaupt kein Tier war, was die Fremde beschwor, sondern eine wilde, ungezähmte Frauengestalt, die blutig und mit langem schwarzen Haar wie ein finsterer Blitz vom Himmel hinabgefahren war.

Schließlich brach die Priesterin vor ihm erschöpft zusammen und blieb wie tot auf der Lichtung liegen. Eine Weile betrachtete Raban sie, doch als nichts mehr geschah und sie sich nicht rührte, beschloß er, zu seinem Pferd zurückzukehren. Sein Umhang hatte sich jedoch im Gestrüpp verfangen, und so sah er noch aus den Augenwinkeln, wie eine dunkle Wolfsgestalt sich langsam neben der Frau erhob.

Das Tier war größer als ein gewöhnlicher Wolf. Es streckte seine Glieder wie nach einem langen Schlaf, fuhr sich mit der roten Zunge über das schwarze zottelige Fell und hob die Nase witternd in den Wind.

Raban dachte an die Winter in Worms zurück, wo er gelegentlich schon Wölfe gesehen hatte, doch dieses Tier war anders.

Zwei schmale gelbe Augen blickten plötzlich in seine Richtung und sahen ihn geradewegs an. Unwillkürlich wollte Raban nach seinem Dolch greifen, doch er wagte es nicht, sich zu bewegen. Irgend etwas an diesem Blick war finster und dennoch wundervoll zugleich.

Raban rührte sich nicht. Auch das Tier blieb stehen, es harrte neben der Priesterin aus, ohne seinen Blick von ihm abzuwenden, der immer tiefer in ihn eindrang.

Erst als die Priesterin nach einiger Zeit wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, wandte die Wölfin sich von Raban ab.

Er sah, wie die Fremde dem Tier ihre blutigen Arme hinhielt, wie eine Mutter ihrem Neugeborenen die Brust. Die Wölfin beugte sich darüber und leckte gierig den dunklen Saft. Raban fühlte, wie eine seltsame Benommenheit in ihm aufstieg, je länger er dabei zuschaute. Auf seinen Lippen spürte er den metallischen Geschmack des Blutes, als habe er selbst unzählige Male davon gekostet; er roch den bittersüßen Saft, vermischt mit dem eigenwillig betörenden Duft von Frauen.

Dann, als nähme jemand einen dichten Schleier aus seinem Gehirn fort, erinnerte er sich. Er sah im Geiste seinen Vater, den Magier Pyros, an der blutenden Brust eines Weibes trinken. Es waren viele Frauen, die Pyros auf diese Weise getötet hatte. Blonde und braunhaarige, alte und junge, schöne Frauen, die um ihr Leben liefen, und andere, die sich dem großen Magier voller Hingabe geschenkt hatten. Raban entsann sich wieder an die leblosen Augen eines jungen Mädchens bei Sonnenaufgang; sie war seinem Vater aus dem nahen Dorf gefolgt, um sich ihm voller Leidenschaft hinzugeben.

Immer verwirrender wurden die Bilder in seinem Kopf. Er sah Antana vor sich, die Gefährtin seines Vaters, wie sie sich Pyros darbot; er sah, wie sie sich schlangenhaft unter seinen Händen wand, die immer neue kleine Wunden in ihre Haut rissen, um daran zu saugen, dann trank auch Antana das Blut seines Vaters.

Raban blickte wieder auf die Wölfin. Sie schien ihren Durst gestillt zu haben. Mit einem leisen Knurren ließ sie von der Priesterin ab und legte sich neben die Frau, während der Mond langsam hinter den Bäumen verschwand.

Raban wußte plötzlich sehr genau, daß er selbst Blut getrunken hatte. Unzählige Frauen hatte Pyros getötet, um sie ihm, seinem Sohn, zu bringen, damit er das Blut trank, das er für die Gunst der dunklen Göttin brauchen würde. All dies hatte Raban während der Zeit in Worms vergessen. Es war lange her.

Mühsam richtete sich die Priesterin auf der Lichtung auf. Raban sah, daß die Beschwörung sie viel Kraft gekostet hatte. Ihre Haut war weiß geworden wie bei einer Toten; kaum vermochte sie den Kopf zu heben, und ihre Arme hingen blutig und leblos an ihr herab. Langsam stand sie auf. Ihr Rücken schien zu schmerzen. Gebückt taumelte sie an das gegenüberliegende Ende der Lichtung. Zwischen den Bäumen erkannte Raban eine weiße Stute, die er zuvor nicht bemerkt hatte. Kraftlos hielt die Priesterin sich eine Weile an dem Pferd fest, schöpfte Atem so gut es ging, bevor sie sich schwerfällig auf den Rücken des Tieres hinaufzog. Sie nahm die Zügel auf und verschwand, ohne sich umzudrehen, in der Dunkelheit zwischen den Bäumen.

Die Wölfin lag derweil auf der Lichtung und schien zu warten. Raban überlegte. Die Feuerberge und das geheime unterirdische Schloß seiner Ahnen, das er dort insgeheim zu finden hoffte, konnten noch eine Weile warten. Dieses finstere Weib reizte ihn. Sie war anders als die Frauen in Worms, und sie verfügte offenbar über eine gewaltige Macht, wenn sie einen solchen Zauber wirken konnte. Er beschloß, mehr über sie herauszufinden.

So lautlos, wie es ihm möglich war, kroch Raban aus seinem Versteck. Er ließ dabei seinen Umhang zurück, der sich mittlerweile hoffnungslos in den Ästen und Zweigen des Strauches verheddert hatte, und eilte auf den Pfad zu, den er gekommen war. Endlich entdeckte er nach einer Weile seinen Hengst zwischen den dunklen Bäumen und trat leise zu dem mächtigen Pferd. Sanft strich er über den breiten Hals unter der gewellten Mähne.

Der Hengst schnaubte. Raban hob, von einer inneren Ahnung getrieben, den Kopf und blickte auf den dunklen Weg zurück. Einen Herzschlag lang glaubte er, die gelben Augen der Wölfin auf sich zu fühlen, doch da war nur wieder der Schatten eines Katers, der am Wegrand saß und ihn anschaute. Hastiger als gewöhnlich schwang Raban sich auf den breiten Rücken seines Pferdes und trieb es den unwegsamen Pfad durch den Wald. Er wollte die Spur der geheimnisvollen Priesterin nicht verlieren.