Brunhild schaute ihn an, während seine Hände sanft an ihr hinunterglitten. Der Kuß im Tempel fiel ihr wieder ein, und sie wünschte sich einen Herzschlag lang, seine Lippen würden sie noch einmal so zart berühren.
»Das Fell, Ihr habt es nicht mehr?«
Brunhild schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Es flog mit dem Wind davon!« Einen Augenblick lang wollte sie ihn fragen, warum er ihr nichts von der Wölfin gesagt hatte, aber dann ließ sie es bleiben.
»Gut, daß Ihr es nicht mehr bei Euch tragt.« Raban öffnete die silberne Schnalle und ließ den Gürtel auf den Waldboden fallen.
Brunhild schaute auf. »Das Schwert!« sagte sie und fluchte leise. »Ich muß zurück.« Schon wollte sie aufstehen, doch Raban hielt sie fest. »Ich habe das Schwert, das der fremde Reiter mir geschenkt hat, im Tempel vergessen«, fuhr Brunhild fort. »Ich hatte es abgelegt, weil das Tragen von Waffen im Haus der Göttin nicht erlaubt ist.« Sie sprang auf.
»Wartet!« Raban blickte sie ernst an. »Ihr könnt jetzt nicht zurück. Ich verspreche Euch, wir werden es morgen bei Sonnenaufgang holen. Heute nacht wäre es nicht klug, zurück zum Tempel zu gehen!«
Brunhild zögerte. Sie war nicht sicher, ob es vielleicht doch besser war, sofort zurückzukehren, doch da spürte sie Rabans zarte Hände auf ihrem Leib. Er hatte den unteren Rand ihres Hemdes ergriffen und zog es ihr über den Kopf, dabei berührten seine Fingerspitzen wie zufällig ihre Haut. Ein warmes Kribbeln glitt durch ihre Adern. Einen Lidschlag lang trafen sich ihre Blicke.
»Ich will Euch!« sagte Raban ernst. »Auch wenn uns ein Fluch verbindet und es meinen Tod bedeutet. Ihr alleine, Brunhild, seid mein Weib!« Er neigte seinen Kopf ein wenig und küßte ihren Hals. Sein weiches Haar fiel über ihre nackten Brüste, und seine Finger zogen kreiselnden Linien über ihren Leib. Brunhild fühlte, wie ihr Atem schneller ging. Ein loderndes Feuer brannte in ihren Lenden, und so schob sie ihre Hüften ein wenig vor, um seinen Händen dabei behilflich zu sein, auch den Rest ihrer Kleidung abzustreifen. Willig befreite er sie von den feuchten Stoffen und berührte mit seinen Händen die Innenseiten ihrer Schenkel. Heiß flog sein Atem immer rascher über ihre Haut, bis sie glaubte zu verbrennen. Seine Lippen hinterließen eine glühende Spur auf ihrem Mund, ihrem Hals und ihren Brüsten, als leise zischend ein weißgefiederter Pfeil neben ihr einschlug. Erschrocken fuhr Brunhild zusammen.
Raban sprang auf. »Verflucht! Geht in Deckung!« rief er ihr zu und lief, so rasch er konnte, zu seinem Pferd hinüber, das ein wenig abseits des Feuers stand. Brunhild sah, daß ein zweiter Pfeil nur knapp seine Schulter verfehlte, und rollte sich hinter einen nahen Baum. Sie versuchte, in die Dunkelheit des Waldes zu spähen. Doch die Finsternis schien undurchdringlich zu sein. Sie schaute wieder zu Raban. Er griff nach seinem Schwert, das an Bortinos Sattel hing, und blickte sich ebenfalls suchend um.
Ein leises Lachen erklang aus dem Wald.
»Keine Angst, junger Freund, ich werde Euch nicht töten!«
Brunhild horchte auf. Es war die Stimme des maskierten Reiters, der ihr das Schwert geschenkt hatte.
»Was wollt Ihr dann?« rief Raban zurück. Er fixierte mit den Augen die Richtung, aus der der Fremde gesprochen hatte.
Wieder erscholl das leise Lachen. »Das werdet Ihr noch spüren, Ritter!«
Dann hörte Brunhild, wie ein Pferd davongaloppierte.
Langsam stand sie auf und ging zu der Stelle zurück, wo der weißgefiederte Pfeil niedergegangen war. Vorsichtig zog sie ihn aus dem Boden und betrachtete ihn genau. Er glich den Pfeilen der Priesterinnen vom Wasserfall, nur daß er eine silberne Spitze hatte.
»Es ist ein Pfeil des alte Volkes. Nur sie verwendeten solche Spitzen, weil sie mit ihren Zaubern die Kraft hineinlegen können, ein Ziel niemals zu verfehlen«, erklärte Brunhild und schaute Raban an.
»Ihr meint, der Fremde hat die Wahrheit gesagt und wollte mich wirklich nicht töten?«
»Ja, wenn er Euch hätte töten wollen, hättet Ihr nichts dagegen tun können.«
»Aber warum sagtet Ihr, das alte Volk hätte solche Spitzen verwendet. Offensichtlich tun sie es heute noch immer!«
Brunhild schüttelte den Kopf. »Das alte Volk besteht nur noch aus einigen, wenigen kleinen Gemeinschaften. Sie haben kaum noch Raum zum Leben, denn die Menschen führen immer wieder Krieg gegen sie. Die Priesterinnen vom Wasserfall sind bis heute lange Zeit eine Ausnahme gewesen, und das auch nur, weil sie ihren Garten beständig mit dem heiligen Zauberband geschützt haben. Die wenigen anderen leben verstreut auf fernen Inseln, während die Männer mit großen Schiffen rastlos über die Meere kreuzen und nirgends mehr zu Hause sind.«
»Aber was hat das mit dem Pfeil zu tun?«
»In einer alten Legende, die Ramee mir erzählt hat, heißt es, daß, als die Gwenyar noch über eigene Länder verfügten, nur die edelsten Ritter die silbernen Pfeilspitzen tragen durften. Sie waren ausgewählte Diener der weißen Göttin und nannten sich die Gendor. Sie trugen stets leuchtende Gewänder, und ihre Rüstungen waren jede für sich ein eigenes Kunstwerk.«
»Was wurde aus ihnen?«
»Die meisten der edlen Ritter starben vor langer Zeit in finsteren Schlachten gegen den Eisgott Lohman, der von Norden kam und das Land des alten Volkes für sich beanspruchte. Einige, die nicht kämpften, segelten mit den anderen Männern des alten Volkes über die weiten Meere, doch nie habe ich gehört, daß auch nur einer von ihnen heute noch lebt.«
»Wenn ich Euch richtig verstehe, ist dies also ein alter Pfeil, den vielleicht irgendein Abenteurer gefunden hat und...«
»Nein!« Brunhild hob den Kopf. »Ich bin sicher, er gehört einem treuen und edlen Ritter der weißen Göttin!«
»Und was macht Euch so sicher?« Brunhild sah, daß Raban die Vorstellung von einem Ritter der weißen Göttin nicht sonderlich gefiel.
Sie reichte ihm den Pfeil. »Nehmt Euren Bogen, Raban, und schießt. Dann werdet Ihr es wissen!«
»Eure Kleider werden bald trocken sein«, sagte Raban leise und strich über die Gewänder, die er unweit des Feuers ausgebreitet hatte. Dann schaute er zum Himmel hinauf. Es mußte bereits auf Mitternacht zugehen. »Bei Sonnenaufgang können wir weiterreiten.«
Brunhild saß neben ihm und starrte in die Dunkelheit. Seitdem er den silbernen Pfeil nicht mehr als zwei Schritt weit hatte schießen können, war sie in tiefes Schweigen verfallen. Sie schien immer noch über den Fremden nachzudenken. Raban fragte sich, was der Ritter von ihm gewollt haben konnte.
Er dachte an den Fluch, den seine Mutter über ihn und Brunhild gelegt hatte, und nahm sich vor, die Kriegerin nicht noch einmal mit seiner Leidenschaft in Gefahr zu bringen. Auch wenn es ihm schwerfiel.
Zärtlich betrachtete er sie. Nie zuvor hatte er geglaubt, daß ein Weib sein Herz auf solch tiefe Art berühren konnte. Er hatte schon viele Frauen getroffen, und manch eine war ihm erlegen, doch mehr als sein Vergnügen hatte er niemals darin gesehen.
Brunhild richtete sich ein wenig auf. Der Umhang, den er ihr über die Schultern gelegt hatte, rutschte dabei hinab und gab den Blick auf ihre wohlgerundeten Brüste frei. Raban zögerte einen Augenblick, dann hob er den weichen Stoff wieder auf ihre Schultern zurück.
»Danke«, sagte sie.
Eine warme Welle der Zuneigung stieg in ihm auf. Gerne hätte er sie berührt, sie wieder in den Arm genommen, doch er wußte, daß seine Bemühungen nun vergeblich sein würden. Irgend etwas war, seit der Ritter auf ihn geschossen hatte, zwischen sie getreten. Brunhild schaute ihn nicht einmal mehr an.
»Woher wußtet Ihr eigentlich, daß die Höhle hinter dem Wasserfall sicher vor Inmees finsteren Zaubern war?« fragte Brunhild plötzlich.
Raban zuckte mit den Schultern, griff nach einem langen Ast und stocherte damit in der Glut. »Ich wußte es nicht!« sagte er. »Ich sah Euch unten am See gegen eine Übermacht kämpfen und hörte die schwarze Priesterin singen. Da fiel mir jene Nacht ein, in der wir beide damals dem Kampf zwischen Pyros und den Priesterinnen zusahen, erinnert Ihr Euch?«