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Norwin nickte und setzte sich aufrecht hin.

»Wartet, nicht so schnell!« Antana legte ihm stützend eine Hand in den Nacken. »Jemand muß Euch ziemlich lange unter einem schweren Zauberbann gefangengehalten haben. Als ich kam, sah es aus, als ob Ihr schlafen würdet, doch Ihr müßt unzählige Tage nicht mehr wirklich richtig geschlafen haben, so wie Eure Augen ausschauen. Ihr wart in einer Art Zwischenzustand, man verwendet ihn bei Zaubern, mit denen man sich das Gemüt eines anderen gefügig macht. Es hat ziemliche Mühe und weit mehr als die Hälfte der Nacht gekostet, Euch von diesem Bann zu lösen, sonst wäret Ihr wahrscheinlich nicht mehr aufgewacht.« Sie reichte ihm eine kleine Kristallflasche mit einer übelriechenden Flüssigkeit. »Hier, trinkt dies, es wird Euch stärken!«

Norwin hielt einen Augenblick lang inne, dann nahm er das Fläschchen entgegen und trank es aus.

»Mit diesem vorgetäuschten Schlaf wollte Euch gewiß niemand etwas Gutes, Herr«, sagte Antana. »Euer Herz hätte einfach irgendwann aufgehört zu schlagen!«

»Ich weiß«, erwiderte Norwin und schüttelte sich. Das Zeug, das sie ihm zu trinken gegeben hatte, schmeckte scheußlich. »Vielleicht wäre es besser gewesen, mein Herz hätte aufgehört zu schlagen!«

»Was redet Ihr da für einen Unsinn! Die Göttin bestimmt, wann wir gehen müssen, nicht uns ist es in die Hände gelegt.«

»Ihr wißt doch überhaupt nicht, was geschehen ist.« Norwin rieb sich über die Augen. Sie brannten nicht mehr.

»Es wird der Tag kommen, an dem alles seinen Sinn ergibt«, entgegnete die Heilerin und berührte seinen Arm.

»Gar nichts wird einen Sinn ergeben! Denn ich bin ein Mörder, ich habe eine Frau getötet, die ich liebte! An mir klebt mehr Blut, als Ihr Euch vorstellen könnt, ich habe zugelassen, daß viele Unschuldige starben! Ich...« Irritiert hielt er inne und blickte auf Antanas lächelndes Gesicht. »Was freut Euch daran?«

»Versteht mich nicht falsch, Herr, es ist möglich, daß Ihr Euch dessen schuldig fühlt, aber was heißt das schon? Es war der Wille der Göttin, daß es geschah. Könnt Ihr mir ansehen, was ich in meinem Leben getan habe?« fragte sie.

»Nein, aber...« Norwin zögerte. »Aber es ist doch ein Unterschied, welcher Göttin man dient, ob der weißen oder der...«

»Vielleicht gibt es nur eine einzige Göttin, eine mit zwei Gesichtern.«

»Glaubt Ihr das wirklich?«

Die Heilerin lächelte. »Manchmal. Aber wenn es Euch hilft, dann laßt Euch sagen, daß Ihr wohl die meisten Eurer Schandtaten unter dem Einfluß dieses Zauberbannes getan habt!«

»Glaubt Ihr, der Tod einer Geliebten ließe sich damit so einfach entschuldigen?« fuhr der Krieger sie an und stand auf.

»Nein, entschuldigen läßt sich so etwas gewiß nicht, aber ertragen.« Auch Antana stand auf. »Ihr spracht eben von Arma. Wo ist sie?«

Norwin ging drei Schritte bis zu der alten Frau, über die irgend jemand eine Decke geworfen hatte. »Hier!«

»Nein, ich spreche von der Kriegerin Arma, nicht von einem alten Weib!«

»Seht sie Euch genauer an!« sagte Norwin leise und wandte den Kopf.

Die Heilerin hob die Decke, unter der die alte Frau lag.

Nach einer Weile trat sie neben den Krieger. »Wenn Ihr sie getötet habt, dann habt Ihr recht daran getan. Dies dort ist nicht Arma, sondern ein Dämon. Sie war lange vorher schon durch das Totentor gegangen.«

»Dennoch!« Norwin griff nach seinem Umhang. Er hob sein Schwert auf, steckte seinen Dolch in seine Stiefel und band sich den Köcher samt Pfeilen und Bogen auf den Rücken. »Ich habe es nicht verhindert, daß sie zum Dämon wurde, weil ich schwach und selbstsüchtig war.«

»Und Ihr werdet nicht verhindern, daß dieses Wesen, das eine solch gewaltige Macht besitzt, Euch wieder mit dem Bannfluch belegt. Es nützt nichts, wenn Ihr jetzt aufbrecht, um Arma zu rächen.«

Norwin drehte sich zu Antana um und funkelte sie an. »Soll ich vielleicht hier sitzen und warten, bis dieses Ungeheuer alles zerstört? Sie wollten zum Wasserfall, vielleicht komme ich noch rechtzeitig, um irgend etwas zu tun.«

»Zum Wasserfall?« Antana hob die Brauen. »Wartet einen Augenblick.«

Norwin sah, wie die Frau sich niederkniete und ebenfalls ihre Sachen zusammenpackte. »Vielleicht habt Ihr recht, und es ist an der Zeit, daß wir dorthin gehen!« sagte die Heilerin.

»Wir?« Norwin, der bereits auf dem Weg nach draußen war, wandte sich noch einmal um.

»Ja, wir!« sagte Antana und beugte sich über Mirka. »Helft mir.« Sie befühlte die Stirn der Hohenpriesterin. »Wenn dieser Jemand, der die Macht hat, solche Dämonen zu schaffen, wie Arma einer war, auf dem Weg zum Wasserfall ist, dann wird es Zeit, daß wir die Hohepriesterin zurück in den heiligen Garten bringen!«

Norwin betrachtete erstaunt die Frau am Boden, die er für tot gehalten hatte. »Wollt Ihr damit sagen, Mirka lebt noch?«

»Ja.« Antana hob wieder die Brauen. »Wußtet Ihr das nicht?«

»Nein, ich habe Inmee und die Wölfin nicht fortgehen sehen. Ich wurde vorher ohnmächtig, nachdem ich Arma getötet hatte. Als ich Euch vorhin bei Mirka knien sah, dachte ich, Ihr trauert um sie.«

»Inmee und die Wölfin?« fragte Antana und spielte dabei nachdenklich mit einem der Schleifenbänder ihres Gewandes.

Norwin schnaufte. »Es ist nicht wirklich ein Tier, glaube ich. Es ist ein Dämon, schwarz und zottelig, und es gehorcht Inmee.«

Antana nickte. Sie ließ ihre Schleifenbänder los und kniete sich zu der Hohenpriesterin. »Kommt, alleine kann ich Mirka nicht auf mein Pferd heben, aber Ihr müßt vorsichtig sein. Ihre Wunden sind noch sehr tief, ich hatte kein Wasser aus dem Heiligtum der Göttin bei mir, so daß ich sie nur verbinden, nicht aber wirklich heilen konnte.«

Norwin nickte. Um ihr nicht zu schaden, hob der Krieger Mirka behutsam auf seine Arme. Ihr Kopf sank wie leblos herab. Fragend blickt der Krieger auf die Heilerin.

»Kümmert Euch nicht darum, sie spürt nichts. Ich habe sie in einen tiefen Traumzustand versetzt, sie ist der Göttin sehr nahe«, sagte Antana und strich der Hohenpriesterin noch einmal über die Stirn. »Tragt sie nach draußen, setzt sie auf mein Pferd und legt ihren Kopf auf den Nacken der Stute, dann führt es ein Stück weit von hier fort.«

»Und was ist mit Euch?«

»Geht«, sagte Antana, »und wartet auf mich. Es wird nicht lange dauern.«

»Was habt Ihr vor?«

Die Frau blickte sich langsam in dem Zelt um. »Ich werde dafür sorgen, daß die beiden«, sie deutete auf Arma und den blonden Burschen, »ihren Frieden finden. Wir können sie nicht so liegen lassen, es würde die Macht der Wölfin nur vergrößern.«

»Aber sie sind tot! Ihr könnt nichts mehr für sie tun!«

»Laßt mir ein wenig Zeit«, sagte Antana. »Dann werde ich Euch zum Wasserfall begleiten.«

»Wie Ihr wollt, doch beeilt Euch!«

Die Heilerin nickte, und ihre hellen Augen hatte einen fernen Glanz. Einen Lidschlag lang schaute sie ihn ernst an. »Wenn Euch gleich übel wird und Ihr Euch übergeben müßt, dann geratet nicht in Angst. Es sind nur die letzten Reste des dämonischen Zaubers, der auf Euch lag, die dann aus Eurem Körper weichen.«

Norwin nickte und verließ mit Mirka auf dem Arm das Zelt, wie Antana es ihm gesagt hatte. Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren, dachte er, wenn die Hohepriesterin der weißen Göttin noch lebt.

Allerdings kannte er Inmee sehr genau. Er fragte sich, ob sie Mirka absichtlich am Leben gelassen hatte.

Antana horchte. Sie hörte die weichen Tritte ihrer Stute, die sich allmählich von dem Zelt entfernte. Als der Krieger weit genug fort war und die Heilerin wußte, daß er sie nicht mehr hören konnte, rief sie leise nach Pyros. Verschlafen kroch der Kater nach einer Weile unter einer Decke hervor und blinzelte sie an. Antana ließ sich auf die Knie nieder und streckte den Arm aus. Auf leisen Pfoten kam der Kater näher und ließ sich bereitwillig streicheln.