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Noch einmal wiederholte Brunhild das Lied des heiligen Feuers, um sicherzugehen, daß es während des Orakels nicht vorzeitig niederbrannte. Dann schaute sie gebannt zu, wie die Flammen zu tanzen begannen. Schillernd rote Figuren schienen inmitten der Glut ihre Schatten zu werfen. Es war, als wären es lebendige Bilder, die zu wachsen begannen und sich zu einem Ganzen zusammenfügten. In ihrem Inneren konnte sie es deutlich wahrnehmen und verstehen. Plötzlich sah sie Raban, der in gestrecktem Galopp auf den See des Wasserfalls zuritt. Sie sah, wie er einer kämpfenden Frau entgegenritt und ihr nach einem Blitz, der vom Himmel herabfuhr, das Schwert aus der Hand schlug.

Genau so ist es geschehen, dachte Brunhild und überließ sich weiter den schimmernden Bildern, die das Feuer in ihrem Kopf erzeugte. Es wurde dunkler. Die Szenen wurden vorübergehend ungenauer, sie sah Feuer und schwarzes Gestein, dann einen glühenden Lavaring, in deren Mitte eine stolze Burg emporragte. Für einen Augenblick glaubte sie flüchtig, die Gestalt einer Frau zu erkennen, die sie nie zuvor gesehen hatte und die sie doch sehr berührte. Dann verdunkelte sich das Bild der Burg, als würde eine endlos lange Nacht dort anbrechen, und vor den Toren lag mit schillernden gelben Augen die Wölfin. Lauernd, als warte sie auf ihre Beute, lag die schwarzpelzige Jägerin da, hob den Kopf und schien sie durch die Flammen hindurch anzuschauen. Brunhild fühlte, wie sich eine eisige Kette um ihren Hals legte.

»Hüterin des Feuers, ich warte auf Euch!« flüsterte eine Stimme in ihr. Erschrocken schloß sie die Augen, doch die Wölfin verschwand nicht aus ihrem Kopf. Die gelben Augen des Tieres schienen weiter in sie einzudringen. »Ich warte im Ring des Feuers auf Euch! Dorthin wird Euer Weg Euch führen.« Ein lautes Lachen erklang. Brunhild riß die Augen auf und starrte auf die Flammen, die sich langsam veränderten. Die Farbe wurde dunkler, blutiger. Ein Opferfeuer, dachte sie und sah im gleichen Augenblick ein Dorf vor sich, in dem der Tod grausam gewütet hatte. Überall lagen Frauen und Kinder blutverschmiert auf dem staubigen Boden. In der Mitte des Dorfes zündeten einige Männer mit langen Fackeln einen riesigen Scheiterhaufen an. Brunhild wußte, auch ohne daß sie es deutlich sah, was die Männer dort mit ernsten Gesichtern verbrannten. Es waren die Leichen ihrer Freunde und Nachbarn, die sie aus den umliegenden Hütten geholt hatten. Blutleere Leichen mit durchgebissenen Kehlen.

»Die Wölfin ist hungrig!« hörte sie in ihrem Kopf. »Sehr hungrig!«

Brunhild sah außerhalb des Dorfes ein kleines Mädchen, das schreiend in den Wald lief. Ein zotteliges, großes Tier folgte ihr mit geschmeidigen Sprüngen. Immer wieder drehte das Mädchen sich um. Verzweifelt rief sie nach ihrer Mutter.

Brunhild fühlte, wie Tränen ihr über die Wangen rannen. »Nein«, flüsterte sie verzweifelt. »Nicht auch noch das Kind!« Sie hielt sich die Ohren zu, um das Mädchen nicht mehr schreien zu hören, doch die Stimme der Kleinen bebte in ihrem Kopf.

»Genug der Toten!« rief Brunhild, doch sie wußte, daß es vergeblich war. Die Bilder, die sie sah, waren einzig in ihrem Kopf, sie konnte jetzt nicht handeln. Die Flammen zeigten ihr nicht, ob es Dinge waren, die bereits geschehen oder solche, die in der Zukunft erst noch geschehen würden.

Brunhild beobachtete, wie die Wölfin schneller lief. Sie hörte den röchelnden Atem, das pochende Herz des Tieres.

»Hört auf!« sagte sie und löste mit den beiden magischen Worten das göttliche Band des Orakels. Sie wollte nichts mehr sehen. Sie hatte genug!

Zornig flackerte das blutrote Feuer vor ihr auf, als wolle es ihren Worten nicht gehorchen.

Die Bilder in ihrem Kopf verschwammen allmählich und wurden schließlich undeutlicher. Brunhild rutschte ein Stück vom Feuer fort. Noch einmal rief sie die Worte, mit denen sie das Orakel beenden konnte, laut hinaus. Schemenhaft erkannte sie, wie ein kleiner dunkler Schatten niederfiel, sie hörte den schaurigen Schrei eines Kindes, das nach seiner Mutter verlangte, doch da beugte sich das zottelige Tier schon gierig darüber. Brunhild sah die weißen Reißzähne aufblitzen; lang und spitz ragten sie aus der schwarzen Schnauze heraus.

»Die Wölfin ist hungrig«, flüsterte die Stimme in ihrem Kopf, doch es klang nur noch wie ein fernes Echo, das sich immer wiederholte. »... hungrig... hungrig...«

Brunhild hielt sich beide Hände vors Gesicht, sie wandte sich ab und weinte hemmungslos. Nach einer Weile breitete sich eine seltsame, traurige Stille in ihr aus. Das Orakel war vorüber.

Plötzlich zerriß ein lautes, böses Lachen die Stille. Brunhild hob den Kopf. »Seht an, die Hüterin des Feuers hat Angst vor dem, was die Flammen ihr sagen. Die Gwenyar sind wirklich Meisterinnen darin, immer die unfähigsten zu einer Flammenfrau zu weihen!« Wieder ertönte das kalte Lachen. »Doch die Weihe allein macht, der Göttin sei Dank, noch keine gute Priesterin!«

Die Flammen vor Brunhild waren wieder zu einem kleinen Haufen rotschimmernder Glut zusammengefallen. Dafür schien sich die Erde geöffnet zu haben. Weißer Nebel stieg aus dem Waldboden ringsumher auf, so daß Brunhild durch den dichten Schleier hindurch kaum mehr als drei Schritte sehen konnte.

»Offensichtlich habe ich nicht verhindern können, daß die alte Ramee Euch doch noch weiht.« Hohn lag in der Stimme.

Brunhild stand auf und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung die Worte drangen, doch durch die vorbeiziehenden Schwaden konnte sie nichts erkennen. Die Luft war eisig. Zweimal drehte die junge Hüterin sich langsam um sich selbst, dann endlich sah sie die schattenhaften Umrisse der Reiterin, die langsam näher kam. Sie sah das rote Kleid der Frau, das weithin schimmerte, die rotgoldenen Locken, die offen darüberfielen, sah ihr weißes Gesicht und die roten schmalen Lippen. Unwirklich schwebte die Gestalt auf der weißen Stute durch den Nebel.

»Ich hätte es wissen müssen, daß die Alte töricht genug dazu ist, Euch die Macht zu geben«, sagte die schwarze Priesterin und zügelte das Pferd.

Unwillkürlich griff Brunhild mit der Linken nach ihrem Schwert und hielt inne, als sie ins Leere griff. Sie trug keine Waffe mehr! Es war sinnlos.

»Euer Schwert? Habt Ihr es etwa verloren, Kriegerin?« höhnte Inmee. »Wie schade! Ich hätte Euch gerne kämpfen sehen.« Sie lachte wieder. »Arma muß Euch ja viel beigebracht haben!« Verächtlich blickte sie an Brunhild herunter.

Für einen Augenblick glaubte die junge Kriegerin, daß der kalte Haß, der in Inmees Augen glomm, ihr in die Glieder fuhr.

»Die große Kriegerin Arma!« Die Priesterin betonte jedes Wort. »Eine Schande, daß sie so elendig sterben mußte. Einer der Krieger konnte sich nicht beherrschen und hat sie einfach geköpft.« Ihre weißen Finger spielten unschuldig mit einer der rotgoldenen Locken.

Brunhild ließ ihre Hand, die vergeblich nach dem Schwert gegriffen hatte, langsam sinken. Sie rührte sich nicht. Sie wußte, sie durfte sich von der Gegnerin nicht durch ihre Gefühle beeinflussen lassen. Es war eine Stärke der dunklen Macht, durch Wut und Haß Menschen in ihren Bann zu ziehen. Wenn sie jetzt in Zorn oder Trauer verfiel, hatte sie bei einem Kampf, gleich welcher Art, gegen die schwarze Priesterin schon verloren. Ebenso sinnlos war es, sich auf ein magisches Duell einzulassen, so wie Ramee es getan hatte. Dazu waren ihre Fähigkeiten nicht stark genug. Unauffällig ließ sie ihre Blicke durch den Nebel gleiten und suchte nach der Wölfin. Sie fragte sich, ob das Tier irgendwo im Hinterhalt lauerte.

»Oh, Kind!« Inmee hob die Brauen und tat erstaunt, als sie Brunhilds Blicke bemerkte. »Glaubt Ihr wirklich, um eine kleine Schwertmaid wie Euch zu besiegen, bräuchte ich die Hilfe eines göttlichen Dämonen?«

Brunhild ließ sich betont langsam wieder am Feuer nieder. »Ich bin nicht sicher, ob Eure Fähigkeiten für eine kleine Schwertmaid ausreichen«, sagte sie gedehnt, während sie die Hohepriesterin der schwarzen Göttin nicht aus den Augen ließ. Einen Lidschlag lang hielt sie inne. »Aber ich will es auch gar nicht wissen!« rief sie und griff blitzschnell in den Waldboden. Mit aller Kraft riß sie eine Handvoll weicher Erde, Tannennadeln und Moos heraus und schleuderte es Inmee ins Gesicht. Überrascht von dem unerwarteten Angriff taumelte die Priesterin einen Herzschlag lang und fuhr sich mit der Hand über die Augen.