Brunhild fühlte, wie eine siegreiche Kraft durch ihre Adern zu kreisen begann; es war wie goldenes Licht, das sich mehr und mehr in ihr ausbreitete. Sie atmete tief ein. Das Gefühl entsprang Ramees Gürtel. Die Kräfte der alten, weißen Priesterin werden mir helfen, dachte Brunhild erleichtert.
Ehe sich Inmee wieder gefangen hatte, krallte Brunhild ihre Hände ein zweites Mal in den Boden. »Du mußt sie am Gesang hindern!« Die Worte der alten Ramee hämmerten in ihrem Kopf. Brunhild packte zu. Die Erde in ihrer Linken fühlte sich hart an. Ein Stein, dachte sie glücklich. Heimlich dankte sie Arma, daß sie das Steinwerfen seit ihrer Kindheit zu einer der wichtigsten, täglichen Übungen gemacht hatte. Ohne zu zögern, nahm sie den Stein, flüsterte das alte Wort, das Mirka ihr beigebracht hatte, und warf ihn mit einem gezielten Schlag gegen Inmee. Im gleichen Augenblick sprang ein schwerer, rotbrauner Kater aus dem Nebel heraus auf die Stute der Priesterin zu. Das Pferd stieg nervös auf die Hinterhand, der Stein traf Inmee an den Schläfen, die schwarze Priesterin verlor den Halt und stürzte rücklings vom Pferd.
Brunhild sprang über die Glut hinweg auf Pferd und Reiterin zu, packte mit festem Griff den Rubin, den Inmee an dem Lederband um den Hals trug, und riß ihn ab. Benommen holte die schwarze Priesterin aus, da sprang ihr fauchend der Kater ins Gesicht. Brunhild duckte sich geschickt unter dem Schlag hindurch.
Die Wunde an Inmees Schläfen blutete stark. Brunhild wunderte sich, daß ein solch kleiner Stein eine solche Verletzung geschlagen hatte, doch sie konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn Inmee bekam den Kater zu fassen und schleuderte ihn fluchend von sich. Ihr schönes Gesicht war nun auch noch von den langen Krallen gezeichnet. Zornig stimmte sie ein altes Zauberlied an. Brunhild warf sich mit aller Kraft erneut gegen die schwarze Priesterin, riß sie um und stopfte der Feindin eine Handvoll Erde in den Mund.
»Nun könnt Ihr Eure finsteren Mächte anrufen!« zischte die junge Kriegerin und sprang auf.
Zornbebend versuchte die Priesterin, die feuchte Erde auszuspucken. Sie rang einen Herzschlag lang nach Luft und würgte an der düsteren Erde. Brunhild ergriff die Zügel und schwang sich auf den Rücken der Stute. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Inmee hustend aufstand. Haßerfüllt funkelte sie Brunhild an. »Ich werde Euch vernichten, Schwertmaid!« keuchte sie.
Brunhild gab dem Tier die Sporen, doch Inmee hob den Arm, die Stute scheute, und Brunhild hatte Mühe, nicht herabzufallen. Inmee griff mit der Linken in die Zügel, und mit der Rechten riß sie den Rubin wieder an sich, den Brunhild noch in den Händen gehalten hatte.
»Kleine Närrin, glaubt Ihr wirklich, mit ein wenig Erde könntet Ihr mich besiegen?« Die Priesterin wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Brunhild spürte deutlich die dunklen Wellen der Vernichtung, die von der anderen ausgingen. Inmee war voller Haß gegen sie. Brunhild legte eine Hand auf den Gürtel. Die goldenen Kraft des Sieges war noch in ihr.
»Ihr seid nichts weiter als ein erbärmliches, kleines Geschöpf, nur Asche unter meinen Füßen!« fluchte die Priesterin und ließ den Rubin in eine Tasche ihres Gewandes gleiten.
Brunhild hob den Kopf. »Vielleicht bin ich eines Tages tatsächlich Asche unter Euren Füßen, aber bis dahin werde ich kämpfen, Priesterin!«
Inmee lachte. »Welche Waffen gedenkt Ihr für Euren Kampf zu wählen, Kriegerin? Ich sehe keine.« Sie blickte abfällig auf Brunhild. »Jetzt, da ihr auf dem Pferd sitzt, werdet Ihr kaum an den Waldboden kommen.« Sie lächelte böse, dann begannen Ihre Lippen lautlos Worte zu formen.
»Macht Euch darüber keine Sorgen!« sagte die Kriegerin, während ihre Hände immer noch mit ihrem Gürtel spielten. »Wenn man den Geist nicht einschränkt, ergeben sich immer wieder Möglichkeiten, um zu kämpfen.« Mit einem Fingerdruck öffnete sie heimlich die Schnalle, packte den Gürtel, riß ihn sich von der Taille und schlug damit der Priesterin wie mit einer Peitsche ins Gesicht. Für den Hauch eines Augenblicks lag ein singender Ton in der Luft.
Die Priesterin schrie auf, ließ die Zügel los und hielt sich bebend die Hände vor das Gesicht. Die Stute unter Brunhild wieherte wild und stellte sich auf die Hinterbeine. Die junge Kriegerin spürte, wie sie den Halt verlor und stürzte. Geschickt rollte sie sich über die eigene Schulter ab und kam wieder auf die Füße. Bevor die Priesterin noch die Hände von ihrem Gesicht nahm, holte Brunhild wieder mit ihrem Gürtel aus und schlug noch einmal zu. Der singende Ton wurde lauter, während Inmee, am ganzen Leibe zitternd, in die Knie ging. Die Peitschenschläge mit dem silbernen Riemen hatten ihr breite Wunden ins Fleisch gerissen, als wäre sie mit einer glühenden Fackel gepeinigt worden.
Brunhild schaute auf den Gürtel. Makellos lag der silberne Schmuck in ihren Händen. Der silberhelle Ton war verklungen.
Unter größter Anstrengung nahm die Priesterin die Hände vom Gesicht und hob den Kopf hoch. Brunhild sah ihr an, welche Schmerzen sie haben mußte, doch Inmee gab nicht auf. Fest preßte sie die Kiefer aufeinander. Ihr blutverschmiertes, entstelltes Gesicht erstarrte zu einer schaurigen Maske. Mühsam stand sie wieder auf.
»Ihr habt nicht die geringste Chance, jemals die wirkliche Hüterin des Feuers zu sein, was immer Ihr auch tut, Brunhild, es wird nicht reichen, mich zu besiegen, denn Euer Herz ist nicht finster genug, um mich zu töten.« Sie hielt inne und berührte vorsichtig ihre Wange, dann ließ sie die verletzte Hand wieder fallen. »Und Ihr müßt mich töten!« Sie lachte bitter. »Das ist Euer Schicksal, wenn Ihr leben wollt!«
Brunhild schaute noch einmal auf den Gürtel in ihrer Hand. Sie wußte plötzlich, daß sie nur noch zwei- oder dreimal würde ausholen müssen, um Inmee vor das Totentor zu schicken. Doch irgend etwas in ihr hielt sie plötzlich davon ab.
Inmee betrachtete sie und lachte. »Ihr habt Mitleid, das hat schon manch einen das Leben gekostet. Hat Mirka Euch das nicht beigebracht?« Mit der aufgerissenen Hand wischte sie vorsichtig das Blut ab, das ihr über die Wangen lief, dann funkelte sie Brunhild an. »Aber ich kenne kein Mitleid! Ich will Euren Tod, Kriegerin, denn mein Herz ist finster genug, Euch sterben zu sehen!« Sie griff nach den Zügeln des Pferdes, das hinter sie getreten war, und zerrte an den ledernen Zügelriemen so, daß die Stute nervös zu tänzeln begann. Mit einem bösartigen Lächeln begann Inmee zu singen.
»Nein!« Brunhild schrie auf, packte die Priesterin mit ihrer freien Hand bei den Haaren, um sie von dem Lied abzulenken. Sie zerrte an den rotgoldenen Locken, so daß sich Inmees Kopf weit nach hinten bog. Für einen Augenblick spürte Brunhild das haltlose Verlangen in sich, dieser Frau mit samt den Haaren auch den Kopf vom Rumpf zu reißen, doch dann fing sie sich wieder, denn Inmee hielt das Pferd fest an den Zügeln und sang immer noch weiter, als ob Brunhild überhaupt nicht vorhanden wäre.
Brunhild ließ die Haare der Priesterin los, zögerte einen Lidschlag lang, dann holte sie noch einmal mit dem Gürtel aus. Der silberhelle Ton pfiff durch die Luft, daß Brunhild schon glaubte, er würde niemals wieder enden.
Die Ringe trafen die weiche Haut über Inmees Brüsten, die in dem rotleuchtenden Gewand kaum bedeckt waren. Brunhild sah, wie die brandigen Wunden aufrissen. Inmee rang nach Atem. Keuchend kauerte sie sich zusammen, klammerte sich fest an die Zügel, doch die Stute stieg wieder auf die Hinterbeine und riß die Priesterin ein Stück mit sich. Wiehernd warf sich das nervöse Tier herum; und ohne auf die Last an den Zügeln zu achten, jagte es, die ohnmächtige Priesterin mit sich ziehend, in gestrecktem Galopp davon.