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Es war kein Zauber, den die Fremde über ihn legte. Sie schien ihn überhaupt nicht zu beachten. Sie sang wirklich allein für das tote Pferd. Die Melodie des Liedes klang weich und lieblich. Norwin hielt inne und lauschte. Als die Frau endete, war ihm, als wäre ein Stück Frieden um ihn herum erwacht. Der grausame Tod von Inmees Stute schien plötzlich weit fort zu sein.

»Die Göttin wird sich des Tieres annehmen«, sagte die Kriegerin und stand auf. Norwin ließ seinen Schwertgriff los.

»Habt Ihr schon Spuren gefunden, die uns weiterhelfen?« fragte sie ihn und blickte sich suchend um. Dann blieb sie stehen. Mit zwei Schritten ging sie an ihm vorbei und hockte sich auf den Boden nieder.

»Bortino«, flüsterte sie.

Norwin folgte ihr und betrachtete die riesigen Hufabdrücke, die sich tief in die weiche Erde gegraben hatten. So etwas hatte er niemals zuvor gesehen. »Gehören diese Spuren wirklich einem Pferd?« fragte er und glitt mit seinem Finger den Rand des Abdrucks entlang, um sich zu vergewissern, daß er nicht träumte.

Die Kriegerin nickte traurig. »Ja, sie gehören einem stolzen, schwarzen Hengst!«

»Ist das Euer Pferd?«

Die Fremde schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung, doch Norwin sah deutlich, daß ein düsterer Schatten über ihrem Gesicht lag.

»Seht her!« sagte sie und gab sich alle Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. Sie deutete auf die Abdrücke im Boden, die ein wenig weiter fort waren. »Von hier tritt der Hengst hinten tiefer auf als vorn; das bedeutet, eine zweite Person ist hinter dem Reiter aufgestiegen.«

»Ihr meint, jemand hat Inmee mitgenommen.«

Brunhild nickte. Nachdenklich schwang sie sich wieder auf den Rücken der Stute.

»Er hat sie mitgenommen!« sagte sie, als müsse sie es sich selbst wiederholen, um es zu glauben. »Wir müssen uns beeilen!«

Sie schien mit einem Mal tief in Gedanken zu versinken. Ihre Gesichtszüge wurden weich, dann wieder schien sie sehr besorgt zu sein. Schließlich verharrten sie in einer Art stiller Trauer. Norwin betrachtete dieses seltsame Spiel mit einigem Interesse. Man muß kein Magier sein, dachte er, um herauszufinden, daß dieser geheimnisvolle Mann ihrem Herzen sehr nahe zu stehen schien.

»Wer ist er?« Norwin begann neugierig auf diese Frau zu werden, die mit Inmee einen Kampf wagte und Männer zu kennen schien, die auf riesigen Pferden ritten.

Die Fremde hob den Kopf. Ein Hauch von Tränen schimmerte in ihren Augen. »Wir müssen Inmee finden«, sagte sie fest. »Nichts anderes zählt!«

Norwin fragte nicht weiter. Er erinnerte sich an sein Gefühl für Arma und schwieg. Elegant schwang er sich hinter ihr auf die Stute. »Suchen wir weiter!«

8. KAPITEL

Raban ließ den Hengst langsam durch den Wald gehen. Er schaute an sich hinab auf die zarten blutigen Hände, die sich von hinten um ihn schlangen und sich an ihm festhielten. Er wußte nicht recht, ob er nun glücklich sein sollte, seinem Ziel ein Stück näher gekommen zu sein, denn irgendwie hatte er sich seine Begegnung mit Inmee ganz anders vorgestellt.

Nun saß die Hohepriesterin der schwarzen Göttin hinter ihm auf dem Pferd und war in einem grauenvollen Zustand. Lediglich an ihrem Gewand hatte er sie wiedererkannt. Brandige Wunden überzogen ihr sonst so schönes Gesicht und ließen es dämonenhaft wirken. Auch ihre Brust und die Hände waren übel zugerichtet worden. Raban fragte sich insgeheim, was für eine Waffe solch entsetzliche Male hinterließ.

Als er Inmee gefunden hatte, kauerte sie über einem verendeten Pferd und schien selbst dem Tode nah zu sein. Sie hatte versucht, von dem Blut des Pferdes zu trinken, um wieder zu Kräften zu kommen, aber offenbar war es ihr nicht wirklich gelungen oder sie hatte nicht genug getrunken. Jedenfalls hatte sich ihr Leib nicht wie nach der Beschwörung wieder erholt. Für einen Augenblick hatte Raban überlegt, ob vielleicht die Wölfin mit ihren Zähnen und Klauen Inmee so verletzt hatte, daß sie sich selbst mit ihren dunklen Gaben nicht mehr heilen konnte, doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Das waren keine Verletzungen, die einem Wolfsbiß ähnlich sahen.

Vielleicht sollte er sich über Inmees Zustand auch gar nicht so viele Gedanken machen. Möglicherweise war es für ihn nur von Vorteil, daß er der schwarzen Priesterin erst wirklich von Angesicht zu Angesicht begegnet war, als sie Hilfe brauchte. Sonst hätte sie ihn womöglich sofort getötet, ohne daß er eine Chance gehabt hätte, durch sie und die Wölfin zu seiner wahren Bestimmung zu finden. So aber war Inmee zu schwach, um ihn zu töten, ja, sie hatte sich sogar freiwillig und ohne Gegenwehr von ihm auf sein Pferd heben lassen.

Raban war nicht sicher, wie lange ihr die Kraft fehlen würde, doch er hoffte, sie bis dahin von seinen Absichten überzeugt zu haben.

Er fühlte, wie ihr Kopf sich schwer an seine Schulter lehnte. Plötzlich überfiel ihn wieder, wie schon einmal auf den Klippen, das Gefühl, daß diese Frau eigentlich ein zartes, filigranes Geschöpf war, daß keinem Menschen ein Leid zufügen konnte. Jetzt, geschunden und geschlagen, wirkte sie eher wie ein unschuldiges Opfer, das einem Ungeheuer begegnet war, als eine tyrannische Zerstörerin.

Der Hengst trottete vor sich hin, und Raban fragte sich, wohin er nun mit Inmee reiten sollte. Die Frau war zu verletzt, als daß er sie hätte fragen können.

Ein leises Knurren im Unterholz ließ ihn aufhorchen. Bortino tänzelte nervös auf der Stelle. Raban schaute sich suchend um, dann blickte er in die gelben Augen der Wölfin.

»Ich hatte Inmee gewarnt«, sagte eine Stimme in Rabans Kopf. »Ich hatte sie davor gewarnt, mit Brunhild zu kämpfen. Der Zeitpunkt war nicht der rechte. Sie ist ebenso eine unfähige Priesterin wie die anderen auch. Wenn es um ihr Herz geht, egal, ob es Liebe oder Haß ist, ist auf Menschenfrauen kein Verlaß!«

Raban fühlte, wie sein Atem ein wenig rascher ging. Er sah die feuchtschimmernden Lefzen des Tieres unruhig zucken.

»Ihr meint, Brunhild hat Inmee so verletzt?« fragte Raban vorsichtig.

»Wundert Euch das?«

»Ja!«

»Dann habt Ihr noch niemals Frauen miteinander kämpfen sehen?«

Raban dachte nach. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nicht so!« Er erinnerte sich an die Frauen, die gelegentlich ins Haus seines Vaters gekommen waren. Sie hatten gewiß nicht auf diese Weise mit Antana gekämpft, um Pyros für sich zu gewinnen. Es hatte vielleicht einige magische Duelle gegeben, aber die waren nicht blutig verlaufen. Und in Worms waren die Damen nicht einmal gewillt, etwas anderes als ein Spitzentüchlein in die Hand zu nehmen.

»Brunhild ist eine Kriegerin! Sie hat das Kämpfen gelernt«, sagte die Stimme in seinem Kopf.

»Das sind keine Schwertwunden, Brunhild war, als ich sie verließ, nicht bewaffnet!«

»Wie Ihr seht, Raban, ist das belanglos. Mit einem gewöhnlichen Schwert hätte sie auch kaum etwas gegen Inmee ausrichten können!« Die gelben Augen der Wölfin weiteten sich. »Ihr habt sie unterschätzt!«

»Vielleicht«, erwiderte Raban nachdenklich.

»Ihr habt lange gezögert, zu mir zu kommen, Magier, obwohl Ihr wußtet, daß ich alleine Eure Wünsche erfüllen und Euch den Weg zu dem unterirdischen Schloß Eurer Väter weisen kann.«

Raban fühlte eine seltsame Kälte, die in ihm hochstieg, die Wölfin leckte sich kurz über das Fell.

»Ja«, sagte er. »Ich hatte meine Gründe!«

Ein seltsam anmutiges Lachen erklang in seinem Kopf. »Ihr seid also auch nicht frei von Euren Gefühlen? Ihr seid genauso schwach wie Inmee! Euch reizt zwar das Wissen und die Macht genau wie sie, doch im Herzen tragt Ihr immer noch diese kleine Schwertmaid mit Euch herum! Aber diese kleine Kriegerin wird Euch ebenso besiegen können, wie sie es mit Inmee gekonnt hätte. Wenn sie erst wirklich dem Tod begegnet sein wird, dann wird sie eine reizvolle Gegnerin sein! Sie ist mutig, klug und sehr tapfer!« Die Stimme in seinem Kopf hielt einen Augenblick lang inne. »Und dafür liebt Ihr sie, nicht wahr?!«