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Antana stieg über einen scheinbar toten Mann, der ebenfalls versteinert war, und blieb neben Mirka stehen.

»Seht«, sagte die Priesterin. »Sie hat ein Ritual gewirkt! So viel steht jedenfalls fest!«

»Ihr meint, weil ihre Handflächen nach oben zeigen?«

»Ja! Im Augenblick der Versteinerung muß die Göttin mit ihr gewesen sein.«

»Eines verstehe ich noch nicht«, sagte Antana und ließ sich neben der Hohenpriesterin nieder. »Wenn es wirklich Ramees Zauber ist, warum hat die Göttin ihren schützenden Umhang dann auch über die Krieger gelegt, die den Garten angegriffen haben?«

»Vielleicht weil sie in ihren Herzen nicht wirklich die Göttin verrieten. Sie gehörten schließlich zu Brunhilds Eskorte. All diese Männer haben in den Feuerbergen die Ankunft der neuen Hüterin des Feuers vorbereitet, damit dienten sie der weißen Göttin. Wenn Inmee sie durch ihre magischen Lieder dazu brachte, ihre Gefühle zu verraten und statt dessen dem dunklen Weg zu folgen, dann sind sie lediglich die Opfer eines Zauberbannes. Sie haben sich nicht mit ihrem ganzen Wesen der schwarzen Göttin verschrieben.« Mirka strich sanft über das kalte, harte Gesicht der alten Priesterin am Boden.

»Bleibt also nur die Frage, wie wir den steinernen Umhang öffnen, damit alle, die darin verborgen sind, wieder hinaus können«, überlegte Antana laut.

Ein trauriger Schatten legte sich über Mirkas Gesicht. »Ja, und hier endet leider meine Weisheit. Ramee hat niemals erzählt, wie man ein solch mächtiges Ritual wieder aufhebt.«

Antana dachte eine Weile nach. Pyros war ein großer Magier gewesen, er hatte sie fast alles gelehrt, was er selbst an Macht und Wissen besaß, doch wie man diese Versteinerung aufheben könnte, wußte auch sie nicht. Ratlos knieten sie eine Weile schweigend neben der regungslosen Frau, dann hob Mirka schließlich den Kopf. »Laßt uns in den Tempel gehen und dort die Nacht verbringen. Vielleicht hilft die Göttin uns weiter.«

Antana hob abwehrend den Arm. »Geht allein in den Tempel«, sagte sie und stand auf. »Die weiße Göttin wird kaum erlauben, daß die Gefährtin eines Feuermagiers in den heiligen Hallen ausruht.«

Mirka schaute auf. »Das glaube ich nicht, Heilerin. Die Göttin wird sich daran erinnern, daß Ihr es wart, die damals den Wasserfall vor der Vernichtung bewahrt habt. Außerdem habt Ihr mich heute geheilt. Kommt jetzt!«

Antana schüttelte den Kopf. »Nein, Priesterin. Ein Teil meines Lebens war sehr dunkel, und selbst heute noch liegen gelegentlich Schatten auf meiner Seele, als daß ich der weißen Göttin gegenübertreten könnte. Verzeiht!« Sie machte eine leichte Verbeugung vor der Hohenpriesterin. »Ein andermal nehme ich Euer Angebot vielleicht gerne an. Doch einstweilen werde ich hier draußen bleiben und ein wenig Schlaf suchen. Bei Morgengrauen sehen wir uns wieder!«

»Wie Ihr wollt.« Mirka schaute an sich herab. »Ich werde außerdem hoffentlich hier irgendwo auch ein anderes Gewand auftreiben, dieses ist wohl kaum in einem Zustand, in dem es einer Hohenpriesterin zur Ehre reicht.«

Antana lächelte. »Viel Glück und eine gesegnete Nacht, Priesterin!«

Mirka deutete ihrerseits auch eine Verbeugung an. »Habt Dank, Heilerin!« sagte sie und wandte sich um. Antana schaute ihr nach, wie sie langsam den dunklen Hügel hinauf zum Mondscheintempel ging. Das graue Dämmerlicht machte alles nur noch trostloser; einzig die Hohepriesterin schien ein wenig des goldenen Glanzes in sich zu tragen, der sie vorhin für einen Augenblick eingehüllt hatte, als sie ihre Arme in den See gleiten ließ.

Antana war glücklich, daß Mirkas Heilung so gut verlief, damit hatte sie nicht gerechnet. Anscheinend war das Herz der Priesterin tatsächlich stark genug und bis zum Überfließen mit göttlicher Liebe angefüllt, um die finsteren Zauber von Inmee und der Wölfin, deren Opfer sie auf die ein oder andere Weise genauso wie Norwin geworden war, ohne Schaden zu überstehen.

Antana lächelte. »Solange die Hohepriesterin lebte, gab es Hoffnung!«

»Die Spuren des Hengstes führen geradewegs auf das Dorf zu«, sagte der Krieger und deutete mit der Hand auf ein paar kleinere Häuser, die sich in der Ferne vor dem dunkler werdenden Himmel abhoben.

Brunhild dachte nach. Seit sie wußte, daß Raban wirklich mit der schwarzen Priesterin ritt, war sie traurig und beunruhigt zugleich. Sie erinnerte sich an seine letzte Umarmung und konnte nicht glauben, daß er wirklich auf Inmees Seite stand. Gewiß, die schwarze Priesterin war sehr schön. Brunhild erinnerte sich an die Faszination, die diese Frau auf sie selbst ausgeübt hatte, als sie Inmee am Wasserfall zum erstenmal wieder gesehen hatte. Daß sie einem Mann gefiel, war zu verstehen, aber das Herz der Priesterin war von Haß und Tod vergiftet.

»Kriegerin, habt Ihr mir zugehört?«

Brunhild schreckte aus ihren Gedanken auf.

»Ich habe gesagt, daß die Spuren des Hengstes zu dem kleinen Dorf dort drüben führen!« sagte der Mann hinter ihr.

»Ja!« Brunhild warf einen flüchtigen Blick auf den Boden. Bortinos Hufabdrücke waren nicht zu übersehen, immer noch trug er zwei Personen. Brunhild seufzte, hob dann den Kopf und betrachtete die kleine Ansammlung von Häusern am Rande des Horizontes. Eine Weile ließ sie ihre Blicke darauf ruhen.

»So, wie es aussieht, hat Inmee das Dorf bereits vernichtet. Wir kommen zu spät!« sagte sie und fühlte, wie sie plötzlich fröstelte. Alleine, daß der fremde Krieger hinter ihr saß, gab ihr noch einen Hauch von Wärme. Sie war froh, daß er bei ihr war.

Wieder schweiften ihre Gedanken zu Raban, doch dann schüttelte sie den Kopf. Es raubte ihr zu viele Kräfte, wenn sie immerzu an den Mann dachte. Ihr Herz mußte sich auf einen Kampf vorbereiten. Sonst würde sie die göttliche Aufgabe niemals erfüllen können.

Sie zwang sich zur Ruhe. Ihr nächste Begegnung mit der Priesterin würde bestimmt nicht einfach werden. Vielleicht war dieses Dämonenweib sogar noch in dem kleinen Dorf und wartete auf sie, um ihr nun, wieder gestärkt von dem Blut der Menschen, gegenüberzutreten. Inmee würde sich gewiß für die seltsamen, schaurigen Wunden rächen wollen, die sie ihr mit dem Gürtel geschlagen hatte. Es war besser, sie hielt beide Augen offen, beschloß Brunhild.

Langsam atmete sie ein und legte eine Hand auf das silberne Geschmeide an ihrer Taille. Warmes Licht durchflutete für einen Augenblick ihren Körper, sie fühlte eine Kraft in sich aufsteigen, die ihr Mut machte.

»Wieso glaubt Ihr, daß sie das Dorf vernichtet hat?« fragte der Mann hinter ihr.

Brunhild betrachtete noch einmal den Horizont. »Seht Ihr die Rauchsäule am Ende des Dorfes?« Sie deutete auf die schwarze Rauchfahne, die geradewegs in den Himmel stieg.

»Ja«, sagte der Krieger. »Was ist damit?«

»Das ist kein gewöhnliches Feuer«, erklärte Brunhild. »Der Rauch ist schwarz. Dort werden Menschen verbrannt, die der schwarzen Göttin geopfert wurden. Sie sind blutleer, und ihre Herzen sind mit Haß erfüllt. Das verfärbt den Rauch. Inmee brauchte offenbar noch mehr Blut, um ihre Kräfte neu zu sammeln. Die letzten Überlebenden verbrennen dort wahrscheinlich gerade die Leichen, welche die Priesterin zurückließ!«

»Ich verstehe«, sagte der Krieger. »Dennoch...« Seine Stimme klang ein wenig mißtrauisch. »Der Vorsprung, den Inmee vor uns hatte, war nicht so groß, als daß sie in der Zeit ein ganzes Dorf hätte vernichten können«, sagte er. »Seid Ihr sicher, daß es wirklich die schwarze Priesterin war?«

»Ich glaube schon«, erwiderte Brunhild und trieb die Stute an. »Bortino ist ein ungewöhnlich starker und ausdauernder Hengst, sie werden den Weg sehr viel schneller zurückgelegt haben, als wir es konnten.«

Es dämmerte bereits, als sie das Dorf erreichten. Der Wind hatte gedreht und wehte ihnen den beißenden, schwarzen Rauch entgegen. Die kleinen Häuser rechts und links des Weges schienen verlassen zu sein. Bei einigen standen die Türen weit offen. Brunhild fühlte, wie der Körper des Kriegers sich hinter ihr anspannte. Leise erklang ein Wimmern aus einer der verlassenen Hütten, doch sonst war es still, bis auf das dunkle, unheimliche Rauschen des Feuers am Ende des Dorfes.