»Ihr wart nicht allein ein Opfer der schwarzen Priesterin und ihrer finsteren Mächte«, sagte Brunhild an Norwin gewandt. »Auch ich habe versagt!« Sie deutete auf das Kind in ihren Armen. »Die Kleine hätte nicht sterben dürfen!«
Norwin strich ihr mit dem Finger behutsam eine der kurzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Sagt das nicht, Hüterin. Ihr lebt, und solange es Leben gibt, haben Inmee und die Wölfin noch nicht gewonnen. Gemeinsam werden wir siegen.«
Brunhild schüttelte den Kopf. »Es ist vorbei, Norwin! Der Kampf ist aus!«
Der Krieger blickte auf die Leiche des Mädchens herab. »Laßt mich das Kind tragen, und dann sprecht zu den Menschen. Ihr seid eine Priesterin, sie werden Euch zuhören!«
»Nein!« Brunhild drückte die Kleine wieder fest an sich. »Ich habe sie getötet, es ist meine Aufgabe, sie zu tragen und sie dem Feuer zu übergeben, damit ihr Herz und ihr Leib Ruhe finden!«
»Dann redet wenigstens zu den Männern!«
»Norwin!« Sie blickte den Krieger freundlich an. »Ihr wißt, daß meine Worte vergeblich sein werden. Die Saat der schwarzen Priesterin trägt längst blutige Früchte in ihren Herzen. Schaut sie Euch an. Inmee und die Wölfin waren schneller!«
Brunhild blickte wieder zu den Fremden, die immer näher kamen, und ging ihnen langsam entgegen. Sie erinnerte sich daran, daß sie selbst als Priesterin von Inmees Haß befallen war, um wieviel weniger konnte dann das Volk diesem Zauber des Zorns entgehen.
Die Männer des Dorfes hoben die Fackeln in die Höhe. Ihre Stimmen wurden laut, sie reckten wütend ihre Waffen empor. Brunhild wußte, Norwin und sie waren entdeckt worden. Deutlich sah sie einzelne Gesichter der Fremden im Schein des Feuers. Der Haß lag in ihren Augen und die Gier zu töten.
Die Männer waren mit Steinen, Schwertern und Äxten bewaffnet.
Brunhild ging langsam weiter.
»Dort sind sie!« rief einer der Männer und schwenkte die Fackel hin und her. In dem gespenstischen Licht wirkten die Gesichter hart und unerschütterlich. Brunhild fühlte, wie ihr kalte Schauer über den Rücken liefen.
Die schwarze Priesterin hat viel Leid über das Land gebracht, sie hat Elend und Vernichtung gesät, und immer noch ist Zerstörung alles, was ihr kaltes Herz kennt, dachte sie und begann, ein Lied an die weiße Göttin zu singen. Es war jene Weise, die sie stets bei Morgengrauen im Tempel mit den anderen Priesterinnen gesungen hatte und die den Segen der heiligen Frau herbeirief.
Brunhild warf einen Blick auf Norwin, der neben ihr ging, und sah, wie der Krieger sie anlächelte, doch dann verzog sich sein Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse. Er verlor das Gleichgewicht, fiel vornüber auf den Boden. Ein weißgefiederter Pfeil bohrte sich in seinen Rücken.
Brunhild fuhr herum. In der Dunkelheit des Waldes hinter ihr war nichts zu sehen. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß auch einige der Männer hinter ihr standen. Dann schaute sie auf den weißgefiederten Pfeil.
Im gleichen Augenblick jubelten die Dorfbewohner laut los, die jetzt vielleicht nur noch fünfzig Schritt entfernt von ihr waren.
»Laßt sie nicht entkommen!« rief ein junger Bursche und begann mit dem Schwert in der Hand auf sie zuzulaufen. Die anderen folgten ihm, und ehe Brunhild sich versah, war sie umringt von einem Dutzend waffentragender Männer, die ihr grimmig die Schwerter und Messer entgegenstreckten.
»Sie ist das Dämonenweib, das unser Dorf vernichtet hat!« rief einer. »Seht, sie trägt noch das tote Kind auf dem Arm!«
»Auf den Scheiterhaufen mit ihr«, brüllte ein anderer.
Die Männer schrien und fluchten durcheinander, dabei drängten sie immer näher, und im Schein der Fackeln wirkten ihre Gesichter nun genau wie die Antlitze der gierigen Blutjäger, von denen Ramee in ihren Geschichten erzählt hatte, wenn sie die Anhänger der dunklen Göttin beschrieb.
Sie sind besessen vom Haß der schwarzen Priesterin, dachte Brunhild bitter. Die Männer waren alle Opfer des Todeswahns, der in diesem Dorf gewütet hatte, selbst wenn sie noch lebten. So waren ihr Herz und ihr Blut doch längst vergiftet und zum Sterben verurteilt.
Brunhild achtete nicht länger auf diese Welle des Zorns, die ihr entgegenschlug. Sie wollte sich nicht noch einmal von der finsteren Seite der Göttin fangen lassen. Sie ließ sich mitsamt dem toten Kind langsam neben Norwin auf die Knie gleiten. Keuchend lag er da, das Gesicht ihr zugewandt.
Die Meute um sie herum hielt plötzlich den Atem an. Brunhild ließ das Kind auf ihrem Schoß einen Augenblick lang los, um dem Mann über das blonde Haar zu streicheln.
»Ihr seid ein tapferer Krieger, und ich schätze mich glücklich, Euch getroffen zu haben«, sagte sie leise. »Wenn das Totentor sich für Euch öffnet, dann schreitet erhobenen Hauptes hindurch als ein stolzer Ritter der Hüterin des Feuers!«
Sanft ergriff sie seine Hand. »Ich werde Euch nicht vergessen!«
Norwin erwiderte ihren Druck, dann schloß er die Augen und stöhnte leise auf, ohne ein Wort zu sagen.
Brunhild betrachtete den Pfeil noch einmal. Er glich jenem Geschoß, das der fremde Reiter auf Raban abgefeuert hatte. Wahrscheinlich war der Pfeil vergiftet. Sonst wäre er nicht so rasch tödlich. Doch irgendwie ergab es keinen Sinn.
»Wir haben eine der Bestien erledigt!« schrie einer der Dorfbewohner, und alle ringsum schienen aufzuatmen. Grölend reckte einer anderer sein Schwert in die Höhe.
Brunhild hob den Kopf. Der junge Bursche, der als erster gejubelt hatte, daß Norwin getroffen war, hielt ihr das Schwert an die Kehle. »Laßt das Kind liegen, Dämon!« sagte er hart, »und dann steht ganz langsam auf.«
Er mochte kaum älter sein als sie selbst. Drohend richtete er die Schwertspitze auf ihren Hals. »Los! Steht auf!« befahl er. Seine beiden Hände umschlossen nervös den Schwertgriff.
Brunhild entdeckte ein wirres Fieber in seinen Augen. Es wäre ein leichtes gewesen, einen solch unruhigen Gegner in einem Schwertduell zu besiegen. Behutsam legte sie das Kind neben Norwin, streichelte auch ihm noch einmal über das Haupt und erhob sich langsam. Sie würde nicht kämpfen!
»Wir bringen Euch ins Dorf, Dämonenweib, und dann werden wir Euch zu den Untiefen der Finsternis jagen, dorthin, woher Ihr gekommen seid«, sagte der Junge. Er wagte einen kurzen Blick auf das kleine Mädchen, dann starrte er wieder auf Brunhild. »Geht schön langsam!« sagte er.
»Gorrol hat sie«, rief ein älterer Mann mit grauem, filzigem Haar, das ihm wirr vom Kopf stand. Er hielt Brunhild eine Axt entgegen, als wäre sie ein Baumstamm, den er zu fällen gedachte. »Wir werden sie vernichten!« rief er.
Brunhild nickte dem Jungen zu, den der Alte Gorrol genannt hatte, als Zeichen, daß sie verstanden hatte. Gorrol ließ sie keinen Herzschlag lang aus den Augen. Immer noch hielt er ihr das Schwert an ihre Kehle.
»Geht einfach dem Schein des Feuers nach!« sagte er. »Dann sind wir zufrieden mit Euch.« Die anderen ringsherum grölten. »Gorrol ist ein Dämonenfänger!« rief einer aus der zweiten Reihe, und wieder lachten alle.
Brunhild betrachtete das junge Gesicht des Mannes, der angestrengt vor ihr ging. Haß und Trauer hatten die ehemals weichen Züge zu einer kalten Maske werden lassen, die dunklen Augen blickten sie finster an. Er begegnete ihrem Blick. Brunhild wollte etwas sagen, doch da stach er ihr mit der Schwertspitze in die Haut.
»Vorwärts!« sagte er und verzog die Lippen.
Langsam schritt sie auf das Dorf zu. Schwarz hoben sich die dunklen Häuser vor dem flackernden Licht des Feuers ab und warfen lange Schatten. Die Nacht war angebrochen. Der kalte Wind hatte den Kampf mit den Flammen aufgenommen. Immer wieder duckten sie sich unter seiner kalten peitschenden Macht.
Brunhild betrachtete die dunkelroten Funken, die dem schwarzen Himmel entgegenflogen; eine seltsame Ruhe stieg in ihr auf. Vielleicht war es gut, wenn sie in dem Feuer starb. Dann war endlich diese schreckliche Last von ihren Schultern genommen, eine göttliche Aufgabe erfüllen zu müssen, die ihr mehr und mehr unlösbar erschien. Sie war nicht dazu geschaffen, kaltherzig zu töten, sonst hätte sie Inmee nicht entkommen lassen. Sie hatte versagt, und deshalb hatte das kleine Mädchen und mit ihm all die anderen dieses Dorfes sterben müssen.