Die Priesterin wandte sich zu dem Jungen um. Ihr Lächeln verwandelte das gealterte Gesicht zu einer schauderhaften Fratze.
»Ja, tretet ein«, sagte sie. »Ihr müßt mir helfen!«
Norwin schaute den blonden Burschen an, der ein wenig zögerlich das Zelt betrat, sich jedoch die Veränderung der Frau nicht anmerken ließ.
»Ich bin ganz der Eure«, sagte Herod höflich und deutete eine Verbeugung an, wobei er seine rechte Hand auf seine Brust legte, als wolle er ihr sein Herz darbieten. »Was immer Ihr wünscht, Herrin, es sei mir ein Befehl!«
Wie recht der Junge doch hat, dachte Norwin bitter. Wir alle gehorchen dieser Schlange wie kriechende, stinkende Würmer, und nicht wenige bieten der Priesterin wahrhaftig ihr Herz dar. Dabei müssen sie nur hinsehen, um zu erkennen, welcher Seite der Göttin dieses Dämonenweib unverhohlen dient.
Inmee neigte den Kopf ein wenig, als habe sie Norwins Gedanken erraten, sagte aber nichts, sondern legte dem Jungen ihre Hand auf die Wange. Norwin schauderte, als er Inmees knöcherne Hand sah, die Herods Gesicht befühlte. Sie fuhr ihm durch den blonden Wuschelkopf, von dort über den Nacken hinab zu den runden wohlgeformten Schultern, die nur notdürftig von einem ledernen Wams bedeckt wurden.
»Gut, mein Freund. Wenn jeder meiner Wünsche Euch ein Befehl ist, dann zieht Euch aus!« sagte sie und nahm ihre Hand wieder von ihm.
»Hier?« Herod schluckte. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er mit diesem Wunsch nicht gerechnet hatte. Schon ihre Berührungen hatte er kaum ertragen. Fragend schaute er zu Norwin herüber, der nur mit den Schultern zucken konnte.
Insgeheim war der Krieger erleichtert, daß die Priesterin von Herod nicht verlangte, Arma und Mirka zu köpfen.
»Hier!« sagte die Priesterin.
Herod nickte schließlich und gehorchte. Langsam zog der Junge sein ledernes Wams aus und ließ es zu Boden gleiten. Seine Brust war muskulös. Die wohlgeformten Arme schimmerten im Schein der Kerzenflammen und mochten einer Frau gefallen. Aus den Augenwinkeln riskierte Norwin einen Blick auf Inmee und sah, wie die Priesterin bei dem hübschen Anblick, den der Junge ihr bot, sich genüßlich über die Lippen leckte.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
»Weiter!« befahl sie und wandte ihren Blick auffordernd auf die Hose, die Herod noch anbehalten hatte.
»Macht schon, ich habe nicht viel Zeit!« sagte sie ungeduldig und starrte wie gebannt auf Herods Hände, die langsam das weiche Leder von seinen Hüften hinabschoben.
Norwin mußte sich eingestehen, daß dieser junge Krieger für eine Frau alleine durch seine Erscheinung eine sinnliche Freude sein konnte, aber er fand, daß ein schauriges altes Weib für einen solch holden Knaben ein Alptraum sein mußte. Er bedauerte den Jungen zutiefst.
»Geht dort hinüber.« Inmee zeigte mit ihrem verknöcherten Finger auf Norwins Lagerstätte. »Und legt Euch auf den Rücken!«
Der Junge gehorchte, während er mit großen Augen zusah, wie Inmee ihren Umhang öffnete. Norwin hatte den Eindruck, daß die Priesterin, seitdem sie sein Zelt betreten hatte, noch älter geworden war. Angewidert schaute er zu, wie der schwere, schwarze Stoff ihres Kleides von ihren ausgedörrten Schultern hinabfiel. Die faltigen, grauen Brüste hingen flach und leer auf ihren eingefallenen Bauch herunter. Der Krieger schaute Herod an, in dessen Blick nur noch reines Entsetzen zu lesen war.
Mühsam ließ das alte Weib sich auf ihre knorrigen Knie nieder und kroch mit geifernden Lippen über den Jungen herüber.
Norwin überfiel bei diesem Anblick ein ungeahnter Zorn. Ehe er genau wußte, was er tat, hatte er mit beiden Händen sein Schwert ergriffen und zum Schlag ausgeholt. Er wollte diesen Dämon von einem Weib für alle Ewigkeit auslöschen, wollte ihr gleich einer Schlange hier und jetzt den Kopf vom Halse trennen. Doch noch ehe das Schwert sie traf, drehte die Priesterin sich zu Norwin um, als habe sie jede seiner Bewegung genau gesehen. Die dunkle, stechende Macht ihres Blickes traf ihn mitten ins Herz. Die Klinge blieb wie von Geisterhand gehalten in der Luft stehen, ohne daß der Krieger etwas daran ändern konnte.
Herod begann sich, in der Annahme, die Priesterin sei abgelenkt, unter ihr herauszuwinden. Aber Inmee ließ es nicht zu, sondern packte den Jungen wie beiläufig am Handgelenk.
»Agoid Eth«, sagte die Priesterin dann leise.
Norwin fühlte, kaum daß die Frau diese Worte ausgesprochen hatte, eine dumpfe Hoffnungslosigkeit in sich. Plötzlich erschien ihm die Macht dieser Frau wieder so unendlich groß, daß er sich selbst einen Narren schalt, nach der Waffe gegriffen zu haben. Kraftlos ließ er das Schwert sinken.
Die Priesterin warf ihm einen prüfenden Blick zu, um sicherzugehen, daß ihr von ihm keine weitere Gefahr mehr drohte, dann wandte sie sich wieder dem Jungen zu. Ihre nun fast ergrauten Haare berührten wie Spinnweben seine Haut.
»Nein, Herrin«, rief Herod. »Bitte!« Aber es klang nicht mehr so verzweifelt wie zuvor. Auch dem Jungen wurde plötzlich die Ausweglosigkeit seiner Situation klar.
Inmee kroch noch ein Stück höher. Schließlich senkte sie ihr Haupt über das schlaffe Glied des Jungen und berührte es mit ihren gierigen Lippen so heftig, daß der Bursche aufschrie.
Seine Angst schien sich ihrem Zauber nicht so schnell ergeben zu wollen. Noch einmal flammte die Verzweiflung in ihm auf. Norwin beobachtete, wie Herod versuchte, ihrem gierigen Mund zu entkommen, aber er wußte, daß der Junge nicht die geringste Chance hatte. Ihre Zähne gruben sich immer tiefer in sein Fleisch. Dunkel sickerte tiefrotes Blut über Herods Lenden.
Norwin wandte sich ab. Der Gesandte des reitenden Volkes aus den südlichen Regionen der Feuerberge war so gut wie tot.
Plötzlich war die Luft im Zelt stickig und schwer. Es roch nach Blut und Angst. Norwin sehnte sich nach der frischen, kühlen Nachtluft, die ihn vielleicht aus diesem Alptraum aufwecken konnte, und verließ, ohne einen weiteren Blick auf den Burschen zu werfen, sein Zelt. Draußen war der Wind rauher geworden. Es fröstelte ihn. Doch die Kälte vermochte ihn nicht von Herods Geschrei abzulenken, das immer kläglicher nach draußen drang. Norwin ging langsam zum Lagerfeuer. Wenn er noch Zeit hatte, würde er dem Jungen ein Grab ausheben, gleich hier auf der Ebene.
Einer der Wachen, die immer noch schweigend dasaßen, hob den Kopf und warf ihm einen fragenden Blick zu.
Norwin zuckte mit den Schultern und ließ sich schweigend auf einem Stein nieder.
»Was Auffälliges?« fragte er den anderen, um sich von den düsteren Gedanken abzulenken.
»Nur ein Kater, der ums Lager herumschleicht!« sagte der andere, ohne aufzuschauen.
Norwin nickte. Ja, den Kater hatte er an diesem Abend auch schon bemerkt. Es war ein kräftiges Tier von ungewöhnlicher Schönheit mit dunklen Augen, die ihn einen Herzschlag lang angesehen hatten.
2. KAPITEL
Raban horchte angestrengt. Das Röcheln des Jungen war verstummt. Sehen konnte er ihn nicht, da das kleine Loch, das er in das weiche Leder des Zeltes geschnitten hatte, nicht groß genug war, um den ganzen Innenraum zu überschauen.
Vorsichtig war er, nachdem er Bortino am Rande der Ebene zurückgelassen hatte, zu dem Zelt gekrochen, in dem die Priesterin verschwunden war. Da es mit der Rückseite hin zur offenen Ebene stand, hatte er sich dahinter im hohen Gras verborgen.
Raban hatte Mühe gehabt, die Priesterin wiederzuerkennen, nur ihre Stimme hatte ihm die Gewißheit gegeben, daß dieses alte, welke Weib wirklich dieselbe schöne Frau war, die er auf der Lichtung gesehen hatte.
Aus dem Zelt vernahm Raban die leise Stimme der Priesterin, die eine Melodie zu summen begann. Endlich kehrte die Frau mit wenigen Schritten in sein eingegrenztes Blickfeld zurück. Sie kniete sich nackt auf den Boden nieder, der mit kostbaren Teppichen ausgelegt war, und begann, sich das rotgoldene Haar zu kämmen. Ihr weißer Leib war wieder jung und glatt, er schimmerte in dem sanften Licht einer Kerzenflamme, und Raban genoß den edlen Anblick ihrer wohlgerundeten Brüste.