Eine ganze Weile betrachtete er sie dabei, wie sie mit dem Kamm durch ihr Haar fuhr, bis sie schließlich den Kopf schüttelte und die rotgoldene Pracht in weichen Wellen über ihre Schultern fiel.
Mit einer sanften Geschmeidigkeit erhob sich die Priesterin und trat wieder aus seinem begrenzten Blickfeld heraus. Als sie zurückkam, trug sie ein blutrotes Gewand, das an beiden Seiten einen hohen Schlitz aufwies. Ihren schmalen Hals schmückte nun wieder der Rubin, den Raban schon auf der Lichtung bemerkt hatte.
Mitten in der Bewegung hielt die Frau inne.
Rasch warf sie einen Blick zurück auf die beiden ohnmächtigen Frauen, die auf dem Boden lagen. Sie waren zugedeckt und rührten sich nicht. Die Priesterin trat zu den Frauen hin und zog mit einem Ruck die Decke fort. Mit dem Fuß rollte sie eine der beiden auf den Rücken.
Raban betrachtete das Gesicht der Fremden und war erstaunt, als er es erkannte. Es war Arma, die Kriegerin, die er als kleiner Junge am Wasserfall gesehen hatte. Sie war Brunhilds Ziehmutter. Damals, als er vor seinem Vater geflohen war und bei den Gwenyar Zuflucht gefunden hatte, war er Arma ein paarmal begegnet. Er mußte lächeln, als er jetzt daran dachte, und fragte sich, was aus der kleinen, wilden Brunhild geworden war. Dann fiel sein Blick wieder auf die Kriegerin am Boden. Sie schien schwer verwundet zu sein. Anscheinend verstand die schwarze Priesterin sich auf vielerlei Zauber, wenn auch die blonde Kriegerin ihr Opfer geworden war. Arma war eine zu mächtige Frau, als daß sie leicht zu besiegen gewesen wäre.
Raban sah, wie die Priesterin mit dem Rubin spielte, der um ihren Hals hing. Sie betrachtete die Frau zu ihren Füßen und verzog angewidert das Gesicht.
»Bald wird Euch beiden die Macht der weißen Göttin nichts mehr nützen«, sagte sie. »Euer Leben ist vorüber, und nach Sonnenaufgang, wenn die Männer mit mir zum Wasserfall reiten, wird es den Zaubergarten der Gwenyar nicht mehr geben.«
Sie bog den Kopf ein wenig in den Nacken, so daß ihr Haar in weichem Schwung um ihre Schultern fiel. »Die Wölfin ist hungrig. Und niemand wird mich und sie mehr aufhalten können!«
Dann nahm die Priesterin die Decke und warf sie wieder über die beiden Leiber.
Sie schaute sich noch einmal um. Plötzlich bückte sie sich, um einen dunklen, zusammengeballten Wollumhang aufzuheben. Langsam faltete sie ihn auf.
Raban schluckte. Das kleine aufgestickte grüne Kreuz mit den drei verschlungenen Rosen, das er deutlich am Kragen des Umhangs erkannte, gehörte zu Faramunds Wappen. Die Priesterin hielt seinen eigenen Umhang in den Händen, den er in dem dornigen Gestrüpp zurückgelassen hatte, als er aus seinem Versteck fortgeschlichen war.
Er spürte, wie ein leichtes Zittern durch seinen Körper fuhr. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Schließlich war sie vor ihm von der Lichtung fortgeritten.
Die Priesterin drehte den Stoff hin und her. Nachdenklich befühlte sie ihn, als ob sie damit herausfinden konnte, wem der Mantel gehörte. Dann entdeckte sie das kleine Wappen, zögerte ein wenig und faltete schließlich den Umhang sorgfältig wieder zusammen, um ihn auf die kostbare Truhe zu legen.
Die Wölfin, schoß es Raban durch den Sinn. Es war die einzige Möglichkeit. Das schwarze Tier war auf der Lichtung zurückgeblieben, es hatte erst nach ihm den Ort der Beschwörung verlassen. Er hatte nicht darüber nachgedacht, aber offensichtlich mußte es den Umhang aus dem Gesträuch herausgezerrt und der Priesterin gebracht haben, bevor sie die Ebene erreicht hatte.
Unerwartet und wie ein Peitschenhieb erklang die Stimme der Priesterin durch die Nacht, »Norwin!« rief sie und trat zum Zelteingang.
Der blonde Krieger schreckte aus seinen Träumereien am Lagerfeuer auf.
Der Wachmann ihm gegenüber hob bei dem Ruf ebenfalls den Blick, und für einen Moment glaubte Norwin, eine Spur von Mitleid in den Augen seines Gefährten lesen zu können. Das gleiche dumpfe Mitleid, das er dem jungen Herod gegenüber empfunden hatte. Der andere senkte rasch den Blick und starrte wieder in die Glut, als wäre nichts geschehen.
»Norwin!« Ungeduldig schob die Priesterin die Decke vom Zelteingang fort. Im Schein des Feuers schimmerte ihr blutrotes Gewand wie aus unzähligen Flammen gewebt.
»Schick mir die Wache!« befahl sie kalt.
Der blonde Krieger schaute erstaunt zu seinem Gegenüber, der, ebenfalls irritiert, über die ungeahnte Wendung seines Schicksals zwischen Norwin und der Priesterin hin und herblickte. Zögernd stand er auf. Norwin versuchte das Mitleid in seinen Augen zu verbergen. Er wird auch noch ihr Blutopfer, dachte er. Denn es kaum eine andere Erklärung, warum die Priesterin nach einem weiteren Mann verlangte.
»Ihr habt es gehört«, sagte er leise. Der andere nickte ergeben.
Inmee, die immer noch am Eingang stand, begann zu singen, dann wandte sie sich ab und verschwand wieder im Inneren des Zeltes. Norwin streckte die Füße näher zum Feuer hin. Wider Erwarten blieb alles ruhig. Der blonde Krieger schaute in die zuckenden Flammen und wartete auf einen Schrei oder ein Flehen, irgend etwas in der Art, das den Beginn des Blutrituals bedeutete, doch nichts geschah.
Zu seiner großen Überraschung sah er den Wachmann wenig später mit einem fremden, wollenen Umhang über dem Arm wohlbehalten wieder aus dem Zelt herauskommen. Mit eiligen Schritten ging der Mann geradewegs auf sein Pferd zu. Ohne nach rechts oder links zu schauen, schwang er sich in den Sattel, und noch ehe Norwin ihn fragen konnte, was geschehen war, sah er, wie der Krieger Richtung Wald davonpreschte.
Inmee trat leise neben ihn ans Lagerfeuer und schaute ebenfalls eine Weile schweigend in die Glut. Norwin hob den Kopf. Der Himmel über ihnen war fahl geworden, die Stunde des Sonnenaufgangs nahte. Ausgiebig betrachtete er die Priesterin. Inmee war wieder so, wie er sie kannte. Ihr rotblondes Haar schimmerte, ihre Haut war straff und geschmeidig, und unter ihrem Gewand zeichneten sich deutlich wieder sanfte Rundungen ab.
»Wir sollten zu Arma und Mirka hineingehen«, sagte Inmee bestimmt und schritt ihm voran zum Zelt zurück. Doch dann drehte sie sich noch einmal um.
»Mon!« rief sie laut durch das Lager. »Wecke die Soldaten, brecht das Lager ab und laß sie aufsitzen! Bei Sonnenaufgang reiten wir zum Wasserfall!«
»Ja, Herrin.« Mons Stimme klang nicht verschlafen. Aber es wunderte Norwin nicht. Herods Schreie waren nicht zu überhören gewesen.
Mons Horn erschallte durch die sterbende Nacht. Die Ruhe war vorüber. Norwin schaute Inmee an, sie lächelte zufrieden.
Die Luft im Zelt war immer noch von Blut und Schweiß getränkt. Angewidert betrachtete der blonde Krieger seine Lagerstätte. Herods Leiche war arg zerschunden, seine Glieder zerkratzt, sein Gesicht von Blut und Tränen verschmiert. Seine gebrochenen Augen, die starr nach oben blickten, zeugten deutlich von der Pein und dem Schmerz, den es ihn gekostet hatte, Inmee zu begegnen.
Norwin wandte sich ab und schaute traurig auf die beiden Frauen. Leise trat Inmee hinter ihn.
»Ihr habt Euch zweimal an mir vergangen, Krieger«, sagte sie. »Erst habt Ihr meine Befehle nicht ausgeführt, und dann habt Ihr auch noch das Schwert gegen mich erhoben. Was würdet Ihr mit einem Eurer Gefolgsleute tun, der dies gewagt hätte?«
»Wahrscheinlich hätte ich ihn köpfen lassen«, bemerkte Norwin.
»Wie grausam Ihr seid!« Inmee trat in gespieltem Entsetzen einen Schritt zurück. »Ein solch elendes Schicksal wünsche ich Euch nicht!« Ihre Stimme klang immer noch gespielt vorwurfsvoll. Mit den Füßen tippte sie an Armas leblose Gestalt und schob mit den Zehen die Decke ein wenig herunter.
Norwin sah, daß die Kriegerin auf dem Rücken lag, und unterdrückte den Wunsch, sie wegen ihrer Wunden wieder auf den Bauch zu drehen. Er wußte nicht, was Inmee vorhatte. Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit, Armas Leben doch noch zu retten.