»Einer Eurer Gefolgsleute verriet mir, daß Ihr diese große Kriegerin gekannt habt. Ist es eine wahre Geschichte?«
Norwin nickte zögerlich. Er fragte sich, welcher seiner Männer der Priesterin dieses Geheimnis verraten hatte. Außer Mon wußte jedoch niemand davon, daß er Arma kannte. Mon war, seit die Priesterin bei ihnen war, ihr größter Anhänger.
»Erzählt mir davon!« befahl die Priesterin lächelnd. »Ich liebe Geschichten. Mir ist jetzt nach einer Liebesromanze mit tragischem Ende!«
Der Krieger schaute auf Arma und schüttelte langsam den Kopf. Er dachte an die zärtlichen Stunden, die er mit der blonden Frau verbracht hatte. Viele Winter waren seither vergangen. Er hatte sie getroffen, als er ein junger Mann, fast noch ein Knabe gewesen war, und er erinnerte sich, daß er sie vom ersten Augenblick an bewundert hatte. Sie hatte ihm ein Schwert gegeben und ihn das Kämpfen gelehrt. Niemals wieder war ihm eine Kriegerin begegnet, die so geschickt mit einem Schwert umgehen konnte und die mit einem Pfeil ein Ziel auch noch dann traf, wenn man es fast schon aus den Augen verloren hatte. Arma hatte ihn alles gelehrt, was sie selbst gewußt hatte. Ihre schillernd grünen Augen hatten einen warmen Glanz gehabt, der den damals eben erwachenden Mann in ihm immer wieder dazu brachte, sie anzuschauen. Der Augenblick ihrer Hingabe an ihn hatte ein solch gewaltiges Feuer entfacht, daß es selbst jetzt noch in ihm brannte, sobald er nur an sie dachte.
Es kam Norwin wie ein Verrat vor, daß Inmee mit ihren finsteren Gedanken an seiner Liebe zerrte, um sie zu zerstören. Die schwarze Priesterin wußte nichts von Liebe, wie konnte er ihr da von der Zartheit eines Augenblicks erzählen, in dem zwei Menschen zu einem einzigen Wesen verschmolzen. So etwas konnte eine Priesterin der schwarzen Göttin niemals verstehen.
Ungeduldig wippte die Frau von einem Fuß auf den anderen.
»Nun, wißt Ihr nicht, wo Ihr beginnen sollt mit dieser ans Herz gehenden Geschichte?« Ihre Mundwinkel zuckten verächtlich. »Ihr seid mir ein wahrer Held. Da kämpft Ihr gegen mich, widersetzt Euch meinen Befehlen, damit Eure Geliebte nicht stirbt, doch die einzige Chance, sie zu retten, schlagt Ihr aus! Ihr wollt doch, daß sie lebt, nicht wahr? Dann redet endlich!«
Norwin blickte die Priesterin an. Arma würde sterben, gleichgültig, was er tat, das wußte er. Doch vielleicht war sich Inmee nicht sicher, wie weit seine Liebe zu Arma ihn vor ihren dunklen Zaubern retten konnte. Warum sonst machte sie eine solch wichtige Angelegenheit daraus? Sein Blick glitt über Armas bewegungslose Gestalt. Von ihr hatte er vor vielen Wintern gelernt, daß wahre Liebe eine Macht ist, der die dunkle Seite nur mit aller Anstrengung etwas entgegenzusetzen hatte.
Norwin schalt sich dafür, daß ihm dies nicht schon früher wieder eingefallen war. Offensichtlich waren auch Inmees Fähigkeiten der Beherrschung nicht grenzenlos, wenn sie die Geschichte seiner Liebe wissen wollte, um sie zu zerstören.
Mit eisiger Miene biß der Krieger die Zähne aufeinander und schaute die Frau ihm gegenüber an. Von ihm sollte Inmee nichts erfahren. Lieber ließ er sich den Kopf abschlagen, als daß er seine Liebe verriet.
Sie warf einen verächtlichen Blick auf Arma.
»Wie Ihr wollt, Krieger. Ich wußte, Ihr seid ein Narr! Wenn Ihr nicht reden wollt, nehme ich an, die Geschichte mit dieser Frau ist Euch nicht mehr wichtig. So werde ich tun, was mir beliebt, und sie nicht schonen.«
Sie wandte sich um, streckte den Kopf in den Nacken und stieß einen kurzen heulenden Schrei aus. Gleich darauf wurde es totenstill im Lager. Kein Laut war mehr zu hören. Die Männer draußen schienen sich nicht mehr zu bewegen, kein Pferd wieherte mehr, selbst die Grille, die irgendwo in den Gräsern gezirpt hatte, verstummte.
Ein strenger Wolfsgeruch breitete sich aus und erfüllte mehr und mehr die Luft.
Norwin schauderte. Dies konnte nur einer von Inmees dunklen Zaubern sein, denn in diesen Wäldern nahe des Wasserfalls hatte es schon seit ewigen Zeiten keinen Wolf mehr gegeben.
Lächelnd ging die Priesterin zum Eingang des Zeltes, als erwarte sie einen Geliebten. Ihr Schritt war leicht, und ihre runden, schlanken Hüften wiegten sich sanft unter dem roten Gewand, so daß bei jedem Schritt ihre nackten Schenkel zu sehen waren. Als sie den Stoff am Eingang zur Seite schob, schloß Norwin für einen Moment die Augen. Dann sah er draußen in der ersten grauen Morgendämmerung die Umrisse einer mächtigen, schwarze Wölfin, die langsam in sein Zelt schritt.
»Loba ist hungrig«, sagte Inmee an Norwin gewandt, der plötzlich fühlte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Er sah die weißen Finger der Priesterin, die zärtlich über das zottelige Fell der Wölfin streichelten, als begrüße sie eine alte Vertraute.
Norwin spürte wieder die wachsende Mutlosigkeit in sich, die alleine die Anwesenheit des schwarzen Tieres in ihm auslöste. Es ist noch schlimmer als sonst, dachte er, wenn Inmee ihre Lieder singt. Er focht gegen die dumpfen, tristen Gefühle an, die wie eine Welle über ihm zusammenbrachen, während er auf Arma schaute. Doch sie erschien ihm plötzlich so weit fort zu sein, als wäre sie bereits tot. Er fühlte, wie das zarte Licht, das er vorhin mit der Erkenntnis über die Liebe in sich selbst gewonnen hatte, bedrohlich flackerte und mehr und mehr in Gefahr geriet, in seiner Brust für immer zu erlöschen.
Das knurrende Zähnefletschen der Wölfin berührte ihn kaum, sein Leben war nicht wichtig, nur seine Sorge um Arma hielt ihn noch aufrecht. Er mußte sie vor dem Dämon schützen; das alleine konnte seinen Verstand dazu bringen, jetzt nicht aufzugeben.
Von draußen her waren Rufe zu hören. Die Männer brachen ihre Zelte ab. Offenbar hatten sie die Wölfin schon wieder vergessen oder kümmerten sich nicht mehr um sie. Hier und da klirrten Waffen aneinander, aber nur aus dem Grund, daß sie zusammengebunden und auf die Packpferde gehoben wurden. Norwin wußte, daß niemand ihm helfen würde. Er blickte Inmee an.
»Was habt Ihr vor?«
Inmee hob die Brauen. »Wozu wollt Ihr es wissen? Ihr werdet es doch nicht verhindern können«, sagte sie spöttisch. »Ich werde den Wasserfall vernichten und mit diesen beiden Frauen«, sie deutete mit der Hand auf Arma und Mirka, »mit diesen beiden werde ich jetzt beginnen.«
»Das könnt Ihr nicht tun!« Norwin strich sich mit den Händen über die müden Augen.
»Den Wasserfall vernichten!« hörte er. Es klang wie ein Echo. Er wußte nicht, ob Inmee es noch einmal gesagt hatte oder ob es nur in seinem Kopf widerhallte.
»Das ist doch Wahnsinn!« sagte er.
Inmee hörte auf, die Wölfin zu kraulen.
»Das ist Wahnsinn!« wiederholte er und preßte seine Hände an die Schläfen. Die dumpfe Gleichgültigkeit, die dieser Dämon in ihm beschwor, floß immer mehr wie ein langsam wirkendes Gift in seine Adern.
»Ihr kämpft gut, Norwin. Das gefällt mir an Euch. Niemals zuvor ist mir jemand begegnet, der sich derart gegen meine Lieder und Verse zur Wehr setzte.«
Norwin fühlte, wie ihm kalter Schweiß den Rücken hinunterrann. Der Wolfsgeruch wurde stärker, er brannte ihm unangenehm in der Nase und erschwerte ihm den Kampf, seinen wachen Verstand nicht zu verlieren.
»Die heiligen Frauen werden ihre Freveltaten endlich büßen müssen«, sagte Inmee, während ihr Blick auf Mirka ruhte.
»Freveltaten? Was meint Ihr?« Der blonde Krieger rang mit sich.
Inmee funkelte ihn an. »Dieses alte Volk will eine kleine Närrin zur neuen Hüterin des Feuers machen, obwohl jeder weiß, daß diese Brunhild nichts weiter als eine Kriegerin ist. Sie versteht sich kaum auf die alten Lieder. Sie weiß nichts von Macht und Herrschaft. Aber auf mir«, Inmee legte sich die Hand auf die Brust, »auf mir haben die segnenden Hände Luovanas gelegen. Sie wollte, daß ich ihr Erbe antrete. Ich alleine kann Luovanas Werk fortsetzen. Ich bin die wahre Hüterin des Feuers. Es wird heute am Wasserfall keine Priesterinnenweihe geben, weil ich die neue Hüterin bin!«