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Raban schaute zurück. In einiger Entfernung sah er die glühenden Reste des Lagerfeuers. Fünf der sieben Zelte waren bereits abgebrochen. Die Männer sattelten ihre Pferde. Niemand schien ihn bemerkt zu haben.

Der junge Ritter streichelte dem Pferd das warme Fell. Sein wollener Umhang fiel ihm ein. Die Priesterin hatte einen der Männer fortgeschickt, um die Fundstelle des kostbaren Tuches bei Tagesanbruch genauer zu durchsuchen und den Spuren zu folgen.

Raban schwang sich auf Bortinos Rücken. Bis dieses Heer gegen den Wasserfall zog, hatte er Zeit genug, sich von dem Krieger seinen Umhang zurückzuholen. Dann wollte er der schwarzen Priesterin zum Wasserfall folgen. Es interessierte ihn, herauszufinden, ob es ihr tatsächlich gelang, den heiligen Garten zu vernichten.

Der morgendliche Wind wehte rauh über den Wasserfall hinweg und trieb einzelne Tropfen ans Ufer, die Brunhild wie Tränen auf ihren Wangen fühlte. Das war ungewöhnlich! Seit sie denken konnte, lebte sie hier im Zaubergarten der heiligen Priesterinnen, doch nie hatte sie ein solch düsteres Wetter erlebt. Die Frauen flochten täglich mit ihren Liedern zu Ehren der Göttin ein magisches Band, welches den Frühling immerwährend in dem kleinen Reich rund um den Wasserfall hielt. Doch jetzt stiegen Nebelschwaden wie Rauchsäulen eines Feuers aus dem See und den umliegenden grünen Wiesen auf und färbten den sonst stets blauen Himmel weißgrau.

Brunhild schaute sich um. Von dem grünen Tempelhügel hinab sah sie die alte Ramee auf einen Stab gestützt durch das feuchte Gras zu ihr an den See herunterkommen. Das sonst sorgfältig zusammengesteckte weiße Haar der Alten lag ihr jetzt offen über den leicht gebeugten Schultern; es schien sie wie ein heller Lichtkranz zu umgeben.

Ramee trug ein kostbares weißes Gewand, das an seinem unteren Rand mit goldenen Fäden bestickt war. Brunhild hatte dieses Kleid bisher erst zweimal bei hohen Feierlichkeiten an der alten Priesterin gesehen. Um die Taille trug die alte Frau einen Gürtel aus kleinen silbernen Ringen, nur die Schnalle war ein wenig aufwendiger gearbeitet.

Die weise Frau schien es sehr eilig zu haben. Mit ernstem Gesicht kam sie auf Brunhild zu, ohne das sonderbare Naturschauspiel des kühlen Nebels um sie herum länger zu beachten.

»Da bist du ja, mein Kind, ich habe dich gesucht!« Die Alte atmete schwer, als sie neben Brunhild trat, und schob mit ihrer faltigen Hand eine Strähne ihres weißen Haares wieder zurück, die ihr über die Augen gefallen war. »Die Feierlichkeiten zu Ehren deiner Weihe werden anders verlaufen, als wir dachten. Nicht nur das Wetter hat sich geändert!«

Brunhild nickte und schaute einen Augenblick wie verzaubert auf die grauweißen Schwaden, die über den See hinwegglitten.

»So etwas habe ich hier noch nie gesehen.«

»Ich weiß«, sagte Ramee, die Brunhilds Blick gefolgt war. Eine Weile schwiegen sie, dann ließ sich die Alte auf einem großen, grauen Uferstein nieder, der nahe bei der Stelle lag, an der Brunhild stand. Die junge Frau schaute die Priesterin fragend an.

»Ich kann mir denken, was du wissen möchtest, aber so genau kann ich es dir auch nicht sagen. Ich weiß nur, daß irgend etwas Seltsames geschehen sein muß. Es war die Nacht des brennenden Mondes, vielleicht waren wir nicht wachsam genug. Außerdem sind Mirka und Arma von ihrem Ausritt gestern nicht zurückgekehrt.«

»Sie sind nicht zurückgekehrt? Ich dachte, als ich Arma heute morgen nicht fand, sie hätte die Nacht bei Mirka im Tempel zugebracht!« sagte Brunhild.

»Nein, sie waren nicht im Tempel. Arma und Mirka wollten die Eskorte aus den Feuerbergen, die auf der Ebene lagert, begrüßen und sie zu den heutigen Feierlichkeiten einladen«, sagte Ramee. Ihre Stimme klang besorgt.

»Vielleicht ist es besser, wenn wir sie suchen. Ich werde sofort losreiten.« Brunhild wandte sich um und wollte schon den Hügel zum Tempel hinaufgehen, als die Alte sie mit festem Griff am Arm zurückhielt.

»Halt! Überlaß das den Priesterinnen, deren Aufgabe es ist, die Hohepriesterin zu schützen. Einige von ihnen sind dabei, sich zu rüsten. Sie werden Arma und Mirka finden! So oder so!«

»Aber ich kann doch hier nicht ruhig sitzen und warten, daß sie zurückkehren, während Arma vielleicht meine Hilfe braucht«, Brunhild starrte die Alte an.

»Zum Sitzen und Warten wirst du kaum Zeit haben, du vergißt, daß heute der Tag deiner Weihe ist Du kannst nicht einfach fortlaufen und irgend etwas anderes tun!«

»Wenn Arma meine Hilfe braucht, werden wir die Feierlichkeiten eben verschieben!« Brunhild warf mit Schwung ihren langen, geflochtenen Zopf zurück. Sie war) ohnehin nicht sehr glücklich, eine Priesterin werden zu müssen. Ihretwegen mußten die ganzen Zeremonien heute nicht stattfinden. Das Kämpfen mit dem Schwert lag ihr weit mehr als das Singen von endlosen Versen, deren Worte so kompliziert waren, daß sie selbst jetzt noch ihre Schwierigkeit damit hatte. Lieber wäre sie eine gute Kriegerin geworden, genau wie Arma. Doch Mirka hatte ihr erklärt, daß sie als Tochter einer Hüterin des Feuers sich in das Schicksal fügen mußte, welches die Göttin ihr bestimmt hatte.

Die Alte schaute auf den Wasserfall, dessen Tropfen durch den Nebel hindurch immer noch zu ihnen hinüberwehten. »Das geht leider nicht so einfach! Du kannst die Weihe zur Hüterin des Feuers nur einen Tag nach dem brennenden Mond annehmen. Morgen schon wäre die Göttin nicht mehr mit dir! Wir können die Zeremonie nicht verschieben. Andererseits muß die Hohepriesterin der Gwenyar dich zur Hüterin weihen, doch Mirka ist nicht da!«

»Vielleicht will die Göttin, daß ich keine Priesterin, sondern Kriegerin werde«, bemerkte Brunhild.

Die alte Frau schüttelte den Kopf. Für einen Augenblick huschte ein warmes Lächeln über die faltigen Wangen. Brunhild wußte, daß Ramee ihre Leidenschaft für den Schwertkampf kannte.

»Nein, mein Kind, ich fürchte, die Geschichte ist nicht so einfach, wie du es dir erhoffst. Einer alten Tradition zufolge, schickt die Göttin jeder neuen Hüterin eine ganz persönliche Aufgabe, die sie bestehen muß. Die göttliche Prüfung ist hart, und manch eine Frau ist bereits daran gescheitert.« Ramee schaute die junge Frau ernst an. »Deine Tante Lursa war auch einst ausersehen, in der alten Flammenburg über das Feuer zu wachen, doch sie hat ihre Prüfung nicht bestanden, und so diente deine Mutter der Göttin als Hüterin, bis sie starb.«

»Hat meine Mutter ihre göttliche Aufgabe gelöst, die ihr als Hüterin gesandt war?« fragte Brunhild und fand es plötzlich sonderbar, daß es ihr nie zuvor in den Sinn gekommen war, nach ihrer Mutter zu fragen. Die Priesterinnen hatten ihr vor langer Zeit erzählt, daß Luovana bei ihrer Geburt gestorben war. Mehr wußte sie nicht! Es hatte sie nicht interessiert, bis zu diesem Augenblick.

Ramee schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat ihre Aufgabe auch nicht ganz erfüllt. Luovana hätte Ritter Bruno, deinen Vater, niemals aufhalten dürfen, doch er stand unter Lursas dunklem Zauber und...« Die Alte schaute plötzlich auf. »Das sind alte Geschichten, mein Kind, die uns heute nicht weiterbringen. Doch nun schau«, die Alte hob den knochigen Finger zum Himmel, »die Sonne müßte längst dort oben zu sehen sein, statt dessen ist hier nichts als Nebel.« Sie wischte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht und fuhr sich mit der Hand durch das weiße Haar. Langsam schaute sie in alle Himmelsrichtungen, als suche sie etwas. Dann blickte sie Brunhild an. »Wir müssen uns beeilen, mein Kind, sonst kommt uns die schwarze Göttin vielleicht noch zuvor.« Sie griff nach Brunhilds Hand. »Sag, kannst du das Lied des erwachenden Feuers singen?«

»Jetzt, vor der Zeremonie? Wozu?« Brunhild hob erstaunt die Brauen. Sie verstand nicht ganz, was die Alte damit bezweckte, in diesem Nebelwetter nun ein Feuer anzuzünden.

»Ich will sehen, ob du es kannst«, sagte Ramee nachdrücklich. »Zeig mir das entfachende Feuer!«