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Sie straffte die Schultern, zögerte und begann dann weiterzugehen. Etwas begleitete sie im Nebel — ein Schatten, düster und nicht voll ausgeformt, ein Stück Nacht. Eine Werbestie. Sie hastete vorwärts und ließ sich von ihren Füßen in die Richtung tragen, die sie von sich aus einschlugen. Sie war hoffnungslos verloren, aber sie konnte auch nicht bleiben, wo sie war. Sie mußte weitergehen. Sie dachte an jene, die sie im Stich gelassen hatten. Ob sie nach ihr suchen würden? Ob sie in der Lage wären, sie in dieser Nebelwand zu finden? Sie schüttelte voller Zweifel den Kopf. Sie konnte sich nicht darauf verlassen. Sie mußte selbst einen Ausweg finden. Irgendwo vorne müßte der Nebel sich auflösen und das Moor zu Ende sein. Sie mußte einfach so lange gehen, bis sie wieder draußen war, frei von dem betäubenden Dunst.

Was aber, wenn er sie nicht freigäbe?

Ihre Erinnerungen erwachten wieder in den Nebelschwaden, die sie verlockend und verführerisch umkreisten. Sie ging schneller und versuchte, sie zu ignorieren, wohl wissend, daß der Schatten irgendwo just außerhalb ihres Gesichtskreises Schritt hielt. Bei dem Bewußtsein dieser Gegenwart eines anderen machte sich eine eisige Kälte in ihr breit.

Sie versuchte, sich das Ding vorzustellen, das ihr da folgte. Was für ein Geschöpf war eine Werbestie? Es hatte sich ihr als Allanon genähert — oder war das nur eine Täuschung durch den Nebel und ihre Einbildung gewesen? Sie schüttelte in sprachloser Verwirrung den Kopf.

Etwas Kleines, Feuchtes huschte vor ihren Füßen davon und flitzte in die Dunkelheit. Sie wendete sich davon ab und schritt einen breiten Hang in eine weite, sumpfige Senke hinab. Schlamm und Morast saugten an ihren Stiefeln, winterdürre Gräser peitschten an ihre Beine und blieben kleben. Sie verlangsamte ihren Schritt, als sie spürte, wie unangenehm der Boden nachgab, und wich dann wieder an den Rand zurück. Am Grund jener Senke lag Treibsand, der sie hinabziehen und verschlingen würde. Sie mußte sich davon fernhalten und auf härterer, trockenerer Erde ihren Weg fortsetzen. Nebel zog überall in dicken Schwaden dahin und verdunkelte ihr Blickfeld, als sie ihren Weg zu erkennen suchte. Noch immer ging ihr jegliches Orientierungsgefühl ab. Nach allem, was sie erkannte, war sie im Kreis gelaufen.

Sie stapfte weiter. Die Nebel des Altmoors kreisten und verdichteten sich in der tiefen Nacht um sie her, und Schatten huschten durch ihre feuchten Schleier — Werbestien. Inzwischen waren ihr mehr als eine auf der Spur. Brin beobachtete sie und verfolgte ihre quecksilberhaften Bewegungen, wenn sie wie Fische durch schummrige Gewässer schwammen. Grimmig beschleunigte sie ihren Schritt, schlitterte durch die Sumpfgräser und hielt sich auf dem höher gelegenen Gelände. Sie verfolgten sie unablässig. Doch sie schwor sich insgeheim, sie sollten sie nicht bekommen. Ihr war ein anderes Schicksal bestimmt.

Sie hastete weiter, rannte nun, und Herzschlag und Blut dröhnten ihr dumpf in den Ohren. Wut, Angst und Entschlossenheit mischten sich zu einem einzigen Gefühl und trieben sie weiter. Vor ihr dehnte sich das Moor, und sie erklomm eine kleine Anhöhe, die mit langen Gräsern und Sträuchern bewachsen war. Sie ging langsamer und schaute sich ungläubig um.

Die Schatten waren überall.

Dann tauchte aus dem Nebel vor ihr eine hohe, schlanke Gestalt im Umhang des Hochländers mit einem gigantischen Breitschwert auf dem Rücken auf. Brin blieb vor Überraschung stocksteif stehen. Es war Rone! Aus den Gewändern reckten sich ihr Arme entgegen, griffen nach ihr, winkten sie zu sich. Bereitwillig begann sie auf den Hochländer zuzulaufen und streckte ihre Hand aus, um die seine zu ergreifen.

Und dann ließ etwas sie innehalten.

Sie blinzelte. Rone? Nein!

Ein roter Schleier fiel über ihren Blick, und Zorn durchflutete sie, als sie die Täuschung erkannte. Was sie da sah, war nicht Rone Leah. Es war wieder die Werbestie, die sie verfolgte.

Sie kam als schillernde, geschmeidige Erscheinung auf sie zu. Gewänder und Breitschwert fielen als Nebelfetzen herab, die sie einfach durchschritt. Nun hatte sie nichts mehr von dem Hochländer an sich, sondern war nur noch ein Schatten, ein riesenhafter Schatten, der auf sie zustürzte. Schnell zog er sich zusammen und formte sich zu einem kräftigen Körper auf dicken, krallenbewehrten Hinterläufen und mächtigen, angewinkelten Vorderbeinen; die Bestie war dicht bedeckt mit zottigem Fell, und ein runzliger Kopf umrahmte die aufgerissenen Kiefer, die verwitterte Zähne entblößten.

Das Ungeheuer richtete sich eingehüllt in den Dunst des Moors durch den Nebel zur doppelten Körpergröße von ihr auf. Lautlos beugte es den Kopf herab und schnappte nach ihr; es war nur eine Masse von Fell und Schuppen, Muskeln, spitzen Knochen, Zähnen und Schlitzaugen. Es war eine Ausgeburt entsetzlichster Alpträume, wie Brin in der Qual ihrer Verzweiflung sie selbst hätte ersinnen können.

War es Wirklichkeit? Oder entstammte es nur dem Nebel und ihrer ausschweifenden Phantasie?

Es spielte keine Rolle. Sie verwarf das Gelübde, das sie erst vor wenigen Minuten abgelegt hatte, und wendete das Wünschlied an. In ihrer Entschlossenheit bestärkt und fast wahnsinnig durch das Bild, das sich ihr bot, ließ sie es erklingen. Es war ihr nicht bestimmt, — hier im Altmoor unter den Händen dieses Monsters zu sterben. Dieses eine Mal noch würde sie den Zauber anwenden — gegen ein Wesen, dessen Vernichtung von keinerlei Bedeutung war.

Sie sang, und das Lied gefror ihr in der Kehle.

Es war ihr Vater, der nun vor ihr stand.

Die Werbestie schlurfte auf sie zu, während seine Gestalt sich in dem Nebelschleier ständig wandelte, und Geifer lief ihr vor Vorfreude darauf aus dem Maul, wie das Leben des Talmädchens seine Bedürfnisse befriedigen würde. Brin taumelte zurück und sah nun das dunkle, sanfte Gesicht ihrer Mutter. Verzweifelt stieß sie einen wilden, qualvollen Schrei aus, der in der Stille ihres Denkens zu erstarren schien.

Und da erscholl ein Antwortschrei, der ihren Namen rief. »Brin!« Verwirrung bemächtigte sich ihrer, der Schrei klang wirklich, aber wer... ?

»Brin!«.

Das Monster zeichnete sich über ihr ab, und sie konnte das Böse in ihm riechen. Doch das Wünschlied blieb ihr weiterhin in der Kehle stecken, gefangen durch das Bild, das sie von seiner Macht im Gedächtnis behalten hatte, wie sie in die zarte Gestalt ihrer Mutter raste und sie zerbrochen und leblos zurückließ.

»Brin!«

Dann zerriß ein furchterregendes Brüllen die Stille der Nacht, ein geschmeidiger Schatten flog aus dem Nebel, und fünfhundert Pfund Moorkatze prallten fauchend gegen die Werbestie und schleuderten sie zurück von Brin. Mit wilden Hieben von Zähnen und Klauen schlug die Katze sich in die monströse Erscheinung, und beide wälzten sich kopfüber durchs hohe Gras.

»Brin! Wo bist du?«

Brin stolperte zurück und konnte über dem Getöse des Kampfes kaum die Stimmen hören. Verzweifelt erwiderte sie ihre Rufe. Einen Augenblick später tauchte Kimber auf und schoß durch den Dunstschleier auf sie zu, wobei ihr langes Haar hinter ihr herflatterte. Cogline folgte mit wildem Geschrei und versuchte mühsam mit dem Mädchen Schritt zu halten.

Wisper und die Werbestie kamen wieder in Sicht, wie sie mit Bissen und Scheinangriffen ihren Kampf weiter austrugen. Die Moorkatze war das kräftigere von beiden Tieren; obgleich das Nebelwesen ständig auszubrechen versuchte, wurde ihm jedesmal der Weg versperrt. Doch nun sammelten andere Schatten sich in der Dunkelheit auf der anderen Seite und schoben sich riesenhaft und gestaltlos rund um sie her näher. Zu viele Schatten!

»Leah! Leah!«

Dann tauchte Rone auf; seine schlanke Gestalt stürmte mit erhobenem Schwert durch die Masse von Schatten. Gespenstische, grüne Glut zischte um die ebenholzschwarze Klinge. Die von Wisper in die Enge getriebene Werbestie wirbelte sogleich herum, als sie die größere Gefahr spürte, die von der Magie des Schwertes ausging. Das Ungeheuer entfernte sich mit einem Satz von der Moorkatze und sprang Rone an. Doch der Prinz von Leah war darauf gefaßt. Sein Schwert sauste im Bogen herab und schnitt durch den Nebel in die Werbestie ein. Grünes Feuer flackerte grell durch die Nacht, und das Nebelwesen zerbarst in einem Flammenmeer.