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»Was hat es damit auf sich, Gnom?« fragte Garet Jax, während sich seine Hand um Spinksers Arm schloß. »Wißt Ihr von diesen Höhlen?«

Spinkser wand sich aus dem Griff des Waffenmeisters, nur Helt ließ nicht los. »Todesfallen für die Berggnomen seit der Zeit, da sie unter die Herrschaft der Echsen fielen. Tausende von meinem Volk wurden in die Höhlen geworfen und nie mehr gesehen! Und nun will es dieses... Ungeheuer mit uns ebenso machen!«

Garet Jax drehte sich rasch wieder zu Stythys um. Das lange Messer lag wie durch Zauberei plötzlich in seiner Hand. »Sei vorsichtig, wenn du diesmal antwortest, Mwellret«, riet er ihm leise.

Der Mwellret schien unbeeindruckt. »Lügen dess kleinen Gnomen. Höhlen ssind Geheimgänge in Graumark. Führen unter die Berge, vorbei an den Wandlern. Ohne dass einer ssieht.«

»Führt wirklich ein Weg hinein?« wollte Foraker von Spinkser wissen.

Der Gnom erstarrte plötzlich und verharrte stocksteif in Helts festem Griff. »Das spielt keine Rolle. Die Höhlen sind kein Ort für die Lebenden. Meilen von Tunnels durchs Rabenhorn, schwarz wie die Nacht und voller Procks! Habt Ihr von den Procks gehört? Es sind Lebewesen, die einer Magie entstammen, die weiter zurückreicht als die Vier Länder — Magie aus der alten Welt, so heißt es. Lebende Felsschlünde, überall in den Höhlen. Wohin man auch geht, lauern die Procks im Höhlenboden. Ein Fehltritt, und sie tun sich auf, verschlingen dich, schließen sich über dir und zermalmen dich zu...« Er bebte vor Zorn. »So haben die Echsen sich die Berggnomen vom Hals geschafft — indem sie sie in die Höhlen stießen!«

»Aber die Höhlen bieten einen Zugang zur Festung.« Garet Jax machte aus Forakers Frage eine Feststellung.

»Einen Zugang, der uns nichts nützt!« explodierte Spinkser von neuem. »Wir sehen nichts, und können unseren Weg nicht finden! Zehn Schritte hinein, und schon hätten uns die Procks!«

»Mich nicht!« fiel Stythys ihm zischend ins Wort. »Ich bessitze die Geheimnisse der Höhlen der Nacht! Kleine Leutchen kommen nicht durch, aber mein Volk kennt den Weg. Unss können die Prockss nichtss anhaben!«

Daraufhin schwiegen alle. Garet Jax trat zurück und blieb vor dem Mwellret stehen. »Die Höhlen der Nacht führten unter dem Rabenhorn hindurch nach Graumark — und sind vor den Blicken der Wandler geschützt? Und du kannst uns hindurchführen?«

»Ja, kleine Freunde«, krächzte Stythys leise. »Kann euch durchführen.«

Garet Jax drehte sich zu den anderen um. Einen Augenblick lang sprach niemand ein Wort. Dann nickte Helt knapp. »Wir sind nur zu sechst. Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, müssen wir uns ungesehen zur Festung durchschlagen.«

Foraker und Edain Elessedil nickten ebenfalls. Jair schaute Spinkser an. »Ihr seid Narren!« rief der Gnom bitter. »Blinde, törichte Narren! Ihr dürft den Echsen nicht trauen!«

Es trat verlegene Stille ein. »Du mußt ja nicht weitergehen, wenn du nicht möchtest, Spinkser«, versuchte Jair zu vermitteln.

Der Gnom versteifte sich. »Ich kann schon auf mich selbst aufpassen, Junge!«

»Ich weiß. Ich dachte nur...«

»Behalt deine Gedanken für dich!« schnitt der andere ihm das Wort ab. »Und was das Nicht-Weitergehen betrifft, solltest du diesen Rat lieber selbst beherzigen. Aber ich bin sicher, daß du das nicht tun wirst. Also werden alle Narren wieder Zusammensein.« Er warf Stythys einen finsteren Blick zu. »Aber dieser Narr hier wird genau aufpassen, und wenn irgend etwas unterwegs schiefgeht, werde ich dafür sorgen, daß diese Echse das Ende der Reise nicht mehr erlebt!«

Garet Jax wandte sich wieder an Stythys. »Du wirst uns also führen, Mwellret. Und vergiß nicht — es bleibt dabei, was der Gnom gesagt hat. Was uns zustößt, wird dir ebenfalls zustoßen. Veranstalte keine Spielchen mit uns. Falls du es versuchst...«

Stythys lächelte ein knappes, hartes Lächeln. »Keine Sspielchen mit euch, kleine Freunde!«

Sie warteten bis zum Einbruch der Dunkelheit, ehe sie ihre Reise fortsetzten, und schlichen sich dann aus den Felsen über dem Silberfluß, um den Weg nach Norden in die Berge einzuschlagen. Licht von der Mondsichel und den Sternen erhellte das düstere Massiv des Rabenhorns, das sich um sie her erhob und seine großen, kahlen Gipfel in den tiefblauen Himmel schob. Ein ausgetretener Pfad verlief parallel zum Flußufer durch eine Gruppe von Bäumen und Sträuchern, und die kleine Schar von Culhaven folgte ihm, bis das Waldgebiet im Süden nicht mehr zu sehen war.

Sie marschierten die ganze Nacht. Helt und Spinkser hatten die Führung übernommen, die übrigen folgten ihnen in wachsamem Schweigen. Die finsteren Gipfel drängten sich immer näher an das Flußbett des Silberflusses heran, bis sie ihn seitlich umschlossen. Außer dem anhaltenden Rauschen des Flusses herrschte in diesen Bergen eine eigentümliche Stille, eine tiefe, alles durchdringende Stille, die sich um das kahle Gestein hüllte, als wiegte Mutter Natur ihr schlafendes Kind. Als die Stunden vergingen, spürte Jair, wie er immer unruhiger wurde angesichts dieser Lautlosigkeit, wie er die massiven Felswände begaffte, in die Finsternis spähte und nach etwas suchte, das er nicht sehen konnte, von dem er jedoch fühlte, daß es präsent war und ihn beobachtete. In dieser Nacht stieß die Gruppe auf kein anderes Lebewesen als große Gebirgsvögel, die weit droben geräuschlos über ihren Futterplätzen segelten, doch noch immer hatte der Talbewohner das Empfinden, daß sie nicht allein wären.

Ein Teil dieses Gefühls, das war ihm klar, stammte von der beständigen Gegenwart des Stythys’. Wenn er sich hinterherschleppte, sah er immer die schwarze Gestalt des Mwellret direkt vor sich. Er spürte, wie die grünen Augen des Wesens ständig umherschweiften, um ihn zu suchen, zu beobachten, um abzuwarten. Er traute dem Mwellret ebensowenig wie Spinkser. Welche Versprechen Stythys auch gegeben hatte, ihnen zu helfen, Jair war überzeugt, daß dahinter die rücksichtslose Entschlossenheit lag, den Elfenzauber des Talbewohners in seine Gewalt zu bringen. Was immer sonst geschehen mochte, die Kreatur legte alles darauf an, diese Macht an sich zu reißen. Diese Gewißheit war furchterregend. Die Tage, die er eingesperrt in den Kerkern von Dun Fee Aran zugebracht hatte, verfolgten ihn als so schreckliches Gespenst, daß nichts es jemals ganz vertreiben konnte. Stythys war es, der für diesen Alptraum verantwortlich war, und er würde dafür sorgen, daß der wieder Realität würde. Wenn Jair auch nicht mehr unter der Knute des Mwellrets stand, konnte er doch nicht das Gefühl abschütteln, daß das Geschöpf auf irgendeine hinterhältige Weise noch Macht über ihn ausübte.

Doch als die Nacht sich in den frühen Morgen dehnte und die Erschöpfung seinen Zweifeln und Ängsten die Schärfe nahm, mußte Jair statt dessen an Brin denken. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder ihr Gesicht, wie er es kürzlich zweimal im Sehkristall vor sich hatte: einmal gramzerfurcht, als sie unaussprechliche Trauer empfand, einmal voller Furcht beim Anblick ihres verzerrten Abbildes in der Gestalt jenes Geistes. Schlaglichter nur, zwei kurze Visionen, und keine vermochte dem Talbewohner zu erklären, was wirklich vorgefallen war. Er ahnte, daß seine Schwester viel hatte erleiden müssen — und einiges davon war schrecklich. Ein Gefühl der Leere breitete sich in ihm aus, als er an sie dachte, die nun schon so lange vom Tal und von ihm weggegangen war, unterwegs in einer Mission, die nach Aussagen des Königs vom Silberfluß zu ihrem Verlust führen würde. Es war eigentümlich, aber in gewissem Sinn schien sie ihm schon verloren, denn Zeit und Raum, die sie trennten, schienen so seltsam vergrößert durch die Ereignisse die eingetreten waren, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. So vieles war geschehen, und er war so weitab von dem, was er und wer er einmal gewesen war.

Die Leere wurde plötzlich schmerzlich. Und wenn der König vom Silberfluß ihn nun überschätzt hatte? Wenn er es nicht schaffte und Brin verlöre? Was, wenn er sie zu spät erreichte? Er biß sich auf die Lippen, um gegen solche Gedanken anzukämpfen, und schwor sich inbrünstig, daß es nicht so kommen sollte. Enge Bande fesselten ihn an sie, den Bruder an die Schwester: Bande der Verwandtschaft, des gemeinsamen Lebens, des Wissens, des Verständnisses, der Fürsorglichkeit und vor allem Bande der Liebe.