»Gütige Geister!« hörten sie Helt darauf flüstern. »Die ganze Höhle lebt!«
»Da müsssen wir durch«, verkündete Stythys mit gehässigem Grinsen. »Kleine Leutchen müsssen bleiben dicht hinter mir.«
Sie hielten sich praktisch Körper an Körper; ihre bleichen Gesichter glänzten vor Schweiß im Schein des Feuerstrudels, und sie wandten nicht einmal den Blick vom Höhlenboden vor ihnen. Wieder ging Stythys voraus mit Garet Jax auf den Fersen; Spinkser, Jair, Edain Elessedil und Helt folgten in einer Linie, und Foraker bildete das Schlußlicht. Sie bahnten sich einen langsamen, verschlungenen Weg zwischen den Procks hindurch, traten an jene Stellen, wo im Licht des Feuerstrudels keine Münder zu erkennen waren, und ihre Ohren und Gedanken waren erfüllt von den Geräuschen, welche die schrecklichen Schlunde von sich gaben. Die Procks öffneten und schlössen sich rings um sie her, als warteten sie auf die Fütterung, und erinnerten dabei an wilde Tiere, die die Nähe des Futters witterten. Gelegentlich schlössen sie sich so fest, daß sie Teil des massiven Höhlenbodens zu sein schienen, und zogen sich nur als dünne Linien über das rauhe Gestein. Doch sie konnten sich schnell öffnen, den dargebotenen sicheren Grund verschwinden lassen und waren bereit, alles zu verschlingen, was sich darauf wagte. Doch jedesmal, wenn ein geschlossener Schlund vor ihnen lauerte, zeigte der Feuerstrudel ihnen die Stelle und geleitete sie vorsichtig daran vorbei.
Sie gelangten von der ersten Höhle in eine zweite und danach in noch eine. Noch immer waren die Procks da, durchzogen den Boden jeder Höhle und jedes Ganges, so daß keiner gefahrlos zu durchqueren war. Sie gingen nun langsam, und die Minuten zogen sich scheinbar endlos dahin. Erschöpfung meldete sich bei dieser verstärkten Konzentration, da jeder wußte, daß ein einziger Fehltritt der letzte wäre. Währenddessen öffneten und schlössen die Procks sich um sie herum und knirschten in höhnischer Vorfreude.
»Dieser Irrgarten nimmt kein Ende!« flüsterte Edain Elessedil Jair einmal entmutigt zu.
Der Talbewohner nickte hilflose Übereinstimmung. Foraker hielt sich nun eng an die Gruppe, und Helt bildete die Nachhut. Das bärtige Gesicht des Zwergen war schweißgebadet, und seine Augen glitzerten.
Plötzlich öffnete sich fast zu Jairs Füßen ein versteckter Prock und riß den schwarzen Rachen auf. Von Panik ergriffen zuckte der Talbewohner zurück und prallte gegen Spinkser. Der Prock hatte sich direkt neben ihm befunden, und Jair hatte ihn nicht gesehen! Er kämpfte gegen die Woge von Angst und Ekel an, die ihn durchflutete, und biß wild entschlossen die Zähne aufeinander. Es würde nicht mehr lange dauern. Bald wären sie draußen.
Doch als sie dann eine weitere Höhle durch ein Labyrinth von Procks durchquerten, tat Stythys schließlich das, wovor Spinkser die ganze Zeit gewarnt hatte. Es geschah so schnell, daß nicht einmal Garet Jax Zeit zum Reagieren hatte. Gerade eben noch waren sie alle zusammen und schlichen sich an den scheußlich knirschenden Spalten vorüber. Im nächsten Augenblick schnellte plötzlich die Hand des Mwellrets nach hinten und schleuderte ihnen den Feuerball direkt in die Gesichter. Er schoß als gleißender Lichtstrahl auf sie zu und breitete sich aus. Instinktiv wandten sie sich ab, um ihre Augen zu schützen, und in diesem Augenblick handelte Stythys. Er sprang an Garet Jax und Spinkser vorbei zu der Stelle, wo Jair sich duckte. Das Echsenwesen schlang einen kräftigen Arm um die Taille des Jungen, zog ein irgendwo unter seinen dunklen Gewändern versteckt gehaltenes, gefährlich aussehendes Messer hervor und setzte es seinem Gefangenen an die Kehle.
»Bleibt zurück, kleine Freunde!« fauchte der Mwellret und drehte sich zu ihnen um, als das Feuer sich wieder vor ihm ballte.
Keiner rührte sich. Garet Jax hockte keine zwei Meter entfernt als schwarzer Schatten an den Boden geduckt. Das Seil band ihn noch immer an den Mwellret. Stythys hielt den Talbewohner zwischen sie beide, und sein Messer blitzte im schummrigen Licht.
»Törichte, kleine Leutchen!« krächzte das Monster. »Glaubt, mich gegen meinen Willen zu benutzen! Sseht ihr jetzt, wass euch erwartet?«
»Ich sagte euch doch, daß ihm nicht zu trauen ist!« stieß Spinkser wütend hervor.
Er wollte hinzustürzen, doch ein warnendes Zischen des Mwellrets ließ ihn auf der Stelle verharren. Hinter ihm standen die anderen Gruppenmitglieder wie versteinert im dichten Kreis — Helt, Foraker und Edain Elessedil. Rings herum malmten die Procks weiter, daß Stein auf Stein knirschte.
Garet Jax erhob sich aus der Hocke, und seine grauen Augen blickten so kalt, daß Stythys’ Arm sich noch enger um Jair spannte. »Laß den Talbewohner los, Mwellret«, befahl der Waffenmeister leise.
Die Messerklinge drückte sich fester gegen Jairs Kehle. Jair schluckte und versuchte, davor zurückzuweichen. Dann begegnete sein Blick dem von Garet Jax. Der Waffenmeister war schnell, schneller als irgend jemand. Als er die Gnomen-Jäger angegriffen hatte, von denen Jair in die Schwarzen Eichen verschleppt worden war, hatte er zum ersten Mal bewiesen, wie schnell er sein konnte. Und der gleiche Gesichtsausdruck, den er damals gehabt hatte, stand nun wieder auf dem mageren, harten Antlitz — ein ruhiger, unergründlicher Ausdruck, wo nur die Augen von dem Tod sprachen, der verheißen war.
Jair atmete tief und langsam ein. Garet Jax war ganz in seiner Nähe. Doch das Messer an der Kehle des Talbewohners war noch näher.
»Unss gehören die Zauberkünsste, nicht den kleinen Leutchen«, krächzte Stythys in einem hastigen und ängstlichem Flüsterton. »Zauberkunsst, mit der man ssich den Wandlern widerssetzen kann! Kleine Leutchen dürfen ssie und unss nicht benutzen! Törichte, kleine Leutchen! Werde euch wie Ungeziefer zermalmen!«
»Laß den Talbewohner los!« wiederholte Garet Jax.
Der Feuerstrudel tanzte und schillerte vor dem Mwellret als wogende Wolke schimmernden Staubs. Stythys’ grüne Augen verzogen sich zu haßerfüllten Schlitzen, und er lachte leise.
»Lasss du sstatt desssen loss, Schwarzer!« fauchte er. Er warf Spinkser einen raschen Blick zu. »Du, kleiner Gnom! Schneide dass Sseil durch, dass mich an ihn bindet!«
Spinkser schaute zu Garet Jax und dann wieder zurück. Seine Augen suchten für den Bruchteil einer Sekunde Jairs Blick. Der Talbewohner begriff, was von ihm erwartet wurde. Wenn er hoffte, aus dieser Sache lebendig herauszukommen, hatte er nun auch einen Beitrag zu leisten.
Langsam trat Spinkser einen Schritt nach dem anderen nach vorn und zog das Messer von seinem Gürtel. Niemand sonst rührte sich. Jair sammelte sich und kämpfte Angst und Abscheu nieder, die ihn durchfluteten. Spinkser kam einen weiteren Schritt näher. Eine Hand griff nach dem schlaff herabhängenden Seil, das den Mwellret an Garet Jax fesselte. Jair hielt völlig still. Er würde nur eine Chance haben. Spinksers Hand schloß sich um das Seil, das Messer fuhr zum Hanf empor.
Dann sang Jair — einen schnellen, lauten Schrei, den Spinkser sogleich wiedererkannte. Dutzende grauer, haariger Spinnen schwärmten über Stythys und krochen über den Arm, der das Messer ah Jairs Kehle drückte. Der Mwellret riß den Arm mit einem’ Aufheulen zurück und schlug wild gegen seine Kleider, um die Insekten, die daran klebten, abzustreifen. Sogleich verteilte sich der Feuerstrudel zu einem weiten Kreis, nahm das Licht mit sich und tauchte alles in Schatten.
Mit der Behendigkeit einer Katze stürzte Spinkser sich auf Stythys und rammte das lange Messer in den Arm, der Jairs Taille umklammerte. Auch dieser Arm wurde zurückgerissen, Jair war wieder frei und sackte auf die rauhen Steine nieder. Aus der restlichen Gruppe ertönten Schreie, als sie einzeln hinzustürmten, ihn aus dem Weg zu zerren. Stythys fiel rückwärts auf den Höhlenboden; Spinkser lag auf ihm, und Garet Jax sprang hinterdrein. Ein langes Messer tauchte in der Hand des Waffenmeisters auf, als er versuchte, das Seil zu durchschneiden, das ihn an den Mwellret fesselte. Doch er wurde von den Füßen gerissen, als dieses sich spannte. Er verlor den Halt und rutschte auf die Knie.