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Und so wäre es vielleicht auch mit ihrer Zauberkunst.

Den Rest der Nacht marschierten sie ostwärts und nahmen ihren Weg durchs lichter werdende Waldgebiet. Die Wand vom Rabenhorn rückte näher und zog sich nach Norden in die Wildnis des tiefen Anar. Das Gebirge erhob sich als hochragender, dunkler Schatten-Streifen in die Nacht. Hinter ihnen versank das Altmoor, und nur die grüne Reihe der hügeligen Ausläufer trennte sie noch von den Berghöhen. Eine tiefere Stille schien sich über das Land zu legen. Brin wußte, daß Graumark und der Maelmord dort verborgen lagen, wo die Bergkette nach Norden hin abknickte.

Und dort muß ich eine Möglichkeit finden, mich von den anderen abzusetzen, dachte sie. Von dort muß ich allein weitergehen.

Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne glitten langsam über die Bergwand in Sicht. Allmählich hellte sich der Himmel auf, wandelte sich von Tiefblau in Grau, von Grau in Silber und von Silber in Rosa und Gold. Schatten huschten davon in die zurückweichende Nacht und das breite Panorama der Landschaft zeichnete sich von der Dunkelheit ab. Zuerst kamen die Bäume in Sicht, das Laubdach, die krummen Äste und knorrigen Stämme, wie das Licht sie umriß und tönte; dann nahmen Felsen, Sträucher und kahle Erde vom Vorgebirge bis zum Tiefland Gestalt an. Eine Zeitlang schwebte der Schatten der Bergkette noch als Mauer gegen das Licht vor ihnen und verlor sich in der Dunkelheit, wo sie noch nicht gänzlich gewichen war. Doch schließlich wurde auch dieser letzte Rest von der emporsteigenden Sonne verdrängt, und ihre Strahlen ergossen sich über die Gipfel, um das furchteinflößende Antlitz des Rabenhorns zu entblößen.

Es war ein finsteres, häßliches Antlitz — ein Antlitz, verwüstet durch die Zeit, die Elemente und das Gift der ihm innewohnenden schwarzen Magie. Wo das Gebirge sich nordwärts in die Wildnis krümmte, war das Gestein gebleicht und zerfressen — als wäre ihm alles Leben dort wie eine Haut abgeschält worden, um nichts als Knochen zurückzulassen. Es ragte an die zweitausend Meter über ihnen als Mauer von Steilfelsen und zerklüfteten Engpässen empor, auf denen die Last der Jahrhunderte und der ausgestandenen Qualen ruhte. Nichts rühre sich an der harten, grauen, kahlen Wand.

Brin hob einen Augenblick lang ihr Gesicht, als der Wind vorüberstrich. Sie zog angewidert die Nase kraus. Irgend etwas weiter vorn verströmte scheußlichen Geruch.

»Die Abwasserkanäle von Graumark.« Cogline spie aus und warf hektische Blicke um sich. »Nun ist es nicht mehr weit.«

Kimber schlüpfte nach vorn, wo Wisper prüfend in die stinkende, übelriechende Morgenluft schnüffelte/Sie beugte sich dicht zu der großen Katze und sprach Wisper leise etwas ins Ohr — nur ein Wort —, worauf das Tier sie zärtlich mit der Nase ins Gesicht stupste.

Kimber drehte sich wieder zu ihnen um. »Schnell jetzt, ehe es noch heller wird — Wisper wird uns den Weg zeigen.«

Sie huschten weiter durch das Morgenlicht und die zurückweichenden Schatten und folgten der Moorkatze, die sie durch die Windungen der Bergausläufer zu der Stelle führte, wo das Rabenhorn einen Knick nach Norden machte. Bäume und Sträucher gab es hier überhaupt keine mehr, die Gräser wurden spärlich und dürr, und die Erde wich zermalmtem Gestein und Felsplatten. Der Gestank wurde ständig unerträglicher, ein beißender, fauliger Gestank, der selbst die Frische des Tagesanbruchs überdeckte. Brin rang unwillkürlich unter Würgen nach Atem. Wieviel schlimmer würde es erst werden, wenn sie ihren Weg durch die Abwasserkanäle nähmen ?

Dann fielen die Berge steil hinab in ein tiefes Tal, das sich im Schatten der Bergwand verlor. Dort lag finster und still ein dunkler See stinkenden Wassers, der von einem Bach gespeist wurde, der sich aus einem breiten, schwarzen Loch die Felsen herab ergoß.

Wisper blieb, mit Kimber neben sich, stehen. »Dort!« Sie deutete auf das Loch. »Die Abwasserkanäle.«

Brins Blick schweifte hoch an der zerklüfteten Reihe der Gipfel, ein-, zweitausend Meter hinauf zu der Stelle, wo die Bergwand ihren gezackten Rand vor den goldenen Morgenhimmel schob. Dort und noch immer ihren Blicken verborgen, lagen Graumark, der Maelmord und der Ildatch.

Der Kanalisationsgeruch stach ihr in die Nase, und sie schluckte. Dort lag das Schicksal, das sie erwartete. Sie lächelte hart. Sie mußte sich ihm stellen.

Am Eingang zu den Kanälen enthüllte Cogline ein wenig mehr von seiner Magie. Aus einem versiegelten Päckchen tief aus dem Innern eines der Beutel, die er an seine Taille geschnürt trug, förderte er eine Salbe zutage, die den Gestank der widerlichen Ausscheidung der Kanäle milderte, wenn man sie sich in die Nasenlöcher rieb. Nur eine unbedeutende Zauberei, behauptete er. Wenn der Gestank auch nicht völlig abgetötet werden konnte, so wurde er doch erträglicher. Aus Reisig fertigte er kurze Fackeln; er tauchte die Enden in den Inhalt eines zweiten Beutels, und als er sie herauszog, waren sie von einer silbrigen Substanz überzogen, die wie das Licht von Öllampen schimmerte, als sie sie in die Dunkelheit der Höhlen mitnahmen — und das ohne alles Feuer.

»Nur ein weiterer Trick meiner Magie, Ausländer.« Er kicherte, als die anderen verwundert die flammenlosen Fackeln anstarrten. »Chemikalien, weißt du noch? Etwas, wovon die Wandler nichts verstehen. Und ich habe noch ein paar Überraschungen. Ihr werdet sehen.«

Rone zog voller Zweifel die Stirn kraus und schüttelte den Kopf. Brin schwieg, kam aber schnell zu dem Schluß, daß sie ebenso froh wäre, wenn die Gelegenheit, solche Überraschungen zu zeigen, erst gar nicht eintrete.

Mit den Fackeln in den Händen wagte die kleine Gesellschaft sich aus dem Licht der Morgendämmerung in die dunklen Tunnel der Kanalisation. Die Gänge waren breit und tief, das flüssige Gift, das von Graumarks Hallen und dem Maelmord ausgeschieden wurde, floß in einem furchigen Kanal, der tief in den Tunnelboden eingeschnitten war. Zu beiden Seiten des Abwasserstroms verliefen steinerne Wege, die breit genug waren, daß man sie begehen konnte. Wisper trottete vorweg; seine leuchtenden Augen blinzelten schläfrig in das blendende Fackellicht, seine gespreizten Pfoten tappten lautlos über den Stein. Ihm folgten Cogline und Kimber, Brin und Rone bildeten die Nachhut.

Sie gingen lange Zeit. Brin hatte das Gefühl für die Dauer ihres Marsches verloren, und sie war hin und hergerissen zwischen der Aufgabe, im schummrigen Zwielicht ihren Weg zu finden und dem Nachdenken über ihr Gelübde, ohne die anderen in den Maelmord hinabzusteigen. Der Kanal wand sich durch das Berggestein höher und drehte sich wie eine zusammengeringelte Schlange. Der Gestank, der in dem Tunnel herrschte, war selbst mit dem Gegenmittel, das Cogline ihnen gegen ihre Atemschwierigkeiten zur Verfügung gestellt hatte, schier unerträglich. Von Zeit zu Zeit wehte ein kalter Luftzug von oben herab und nahm den Geruch der Abwässer mit sich — es war der Wind von den Berggipfeln, in die sie emporstiegen. Doch diese Erfrischungen waren selten und nur kurz anhaltend, und der Gestank kehrte rasch wieder zurück.

Der Morgen verging, die Stunden verstrichen im endlosen Zickzack ihres Aufstiegs. Einmal gelangten sie an ein starkes Eisentor, das sich über den Gang spannte und allem, was größer war als eine Ratte, den Zutritt verwehrte. Rone griff nach seinem Schwert, aber ein scharfes Wort von Cogline ließ ihn innehalten. Ein triumphierendes Kichern brach von den Lippen des alten Mannes, als er ihnen Zeichen gab, zurückzutreten, und wieder einen anderen Beutel hervorzog — der diesmal ein seltsames, schwärzliches Pulver enthielt, dem etwas beigemischt war, das wie Ruß aussah. Er tupfte von dem Pulver an die Gitterstäbe, wo die im Fels verankert waren, und tippte die behandelten Stellen schnell mit der flammenlosen Fackel an, worauf der Puder grellweiß aufleuchtete. Sobald das Licht erlosch, waren die Gitterstäbe völlig durchgetrennt. Nach einem kräftigen Schubs brach das gesamte Gitter auf den Höhlenboden. Die Gesellschaft setzte ihren Marsch fort.