Выбрать главу

Die Moorkatze blieb sitzen und blinzelte sie an.

»Nun geh schon. Du mußt zurück zu Kimber. Geh, Wisper!«

Wisper rührte sich keinen Zentimeter. Er blieb einfach sitzen und wartete.

»So.« Brin schüttelte wieder den Kopf. »Du bist wohl genauso starrsinnig wie deine Herrin.«

Ihr blieb keine Wahl; sie benutzte das Wünschlied. Sie sang dem Kater leise vor, hüllte ihn fest in Worte und Melodie und sagte ihm, daß er umkehren mußte. Mehrere Minuten lang sang sie mit sanftem Drängen, das nicht wehtun sollte. Als sie zu Ende war, erhob Wisper sich, tappte den Korridor zurück und verschwand in der Dunkelheit.

Brin sah ihm nach, bis er außer Sicht war, drehte sich dann um und ging weiter. Augenblicke später begann die Dunkelheit etwas weniger undurchsichtig zu werden, und es wurde etwas heller. Der Gang, der die ganze Zeit über schmal und nieder gewesen war, verbreiterte und vergrößerte sich innerhalb von Sekunden, so daß der schwache Schein ihrer Fackel nicht mehr an Wände und Decke reichte. Doch nun schien vorne Licht, das ihres überflüssig machte, und erfüllte den Tunnel mit staubiger, grauer Helligkeit. Es war die Sonne. Irgendwo ganz in der Nähe führte der Tunnel wieder in die Außenwelt.

Sie eilte weiter und ließ Coglines flammenlose Fackel neben sich herabsinken. Der Gang stieg an, und eine aus dem Felstunnel gehauene Treppe führte weit vorne in eine riesenhafte, offene Höhle. Sie schritt schnell die Stufen empor, alle Müdigkeit war vergessen, und sie fühlte, daß sie fast am Ziel ihrer Reise angelangt war. Sonnenlicht ergoß sich in die Höhle über ihr, und in den breiten, silbernen Strahlen wirbelten Staub- und Sandpartikel herum, die wie kleine Lebewesen tanzten und kreisten.

Dann erreichte sie die letzte Stufe, trat aus dem Tunnel auf das breite Felssims dahinter und blieb stehen. Vor ihr überspannte eine weitere Felsbrücke einen zweiten Abgrund, von doppeltem Ausmaß wie der erste, zerklüftet und steinig. Er fiel Hunderte von Metern zu einer so tiefen Schlucht hinab, daß selbst die Sonnenstrahlen, die durch die Risse in der Höhlendecke schienen, die Dunkelheit nicht zu durchdringen vermochten. Brin spähte hinab und zog die Nase angesichts des Gestanks kraus, der daraus aufstieg. Selbst mit Coglines Salbe zur Betäubung ihres Geruchssinns wurde ihr übel. Was immer am Grund der Grube liegen mochte, es war weit schlimmer, als was durch die Kanalisation von Graumark gespült wurde.

Sie schaute über die Felsbrücke, was sie drüben erwartete. Die Höhle führte viele Meter in den Berg hinein und mündete dann in einen kurzen, hohen Tunnel. Doch es war eher eine Nische als ein Tunnel, dachte sie — handgehauen, gemeißelt und geglättet, und komplizierte Muster waren in den Stein geritzt. Dahinter auf der anderen Seite strömte Licht herab, und der Himmel dehnte sich in verwaschenem, dunstigem Grün.

Sie schaute genauer hin. Nein, das war nicht der Himmel, der sich da erstreckte. Es war die nebelverhangene Wand eines Tales.

Es war der Maelmord.

Sie wußte es instinktiv, als hätte sie ihn im Traum gesehen und sich das Bild eingeprägt. Sie konnte seine Berührung fühlen und sein Flüstern vernehmen.

Sie huschte auf die Brücke, einen hochgewölbten Übergang von etwa acht Metern Breite mit ins Gestein gehauenen Geländerpfosten, die mit Ketten verbunden waren. Sie ging rasch weiter, passierte den Gipfel des Bogens und lief auf der anderen Seite hinab.

Sie hatte die Brücke schon fast überquert, als plötzlich aus einem tiefen Spalt im Höhlenboden keine fünf Meter vor ihr eine schwarze Gestalt in die Höhe schoß.

Cogline brummelte gereizt vor sich hin und kam, dicht gefolgt von Rone und Kimber, schlurfend zum Stehen. Vor ihnen gabelte sich der Abwasserkanal in zwei völlig gleich aussehende Tunnel. Es gab keinerlei Hinweis, welchen der beiden Wege zu einem unbekannten Ziel Brin nun eingeschlagen hatte. Nichts ließ darauf schließen, welcher der richtige war.

»Also, welchen nehmen wir?« wollte Cogline von Rone wissen.

Der Hochländer starrte ihn an. »Wißt Ihr es denn nicht?«

Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Entscheide du.«

Rone zögerte, wandte den Blick ab und schaute schließlich wieder hin. »Ich kann nicht. Schaut, vielleicht ist es gleichgültig, welchen wir nehmen. Vielleicht führen beide zum gleichen Ort.«

»Abflußkanäle führen zwar zu dem gleichen Ort, aber kommen nicht — vom gleichen Ort! Das weiß jeder Dummkopf!« schnaubte der Greis verächtlich.

»Großvater!« tadelte Kimber ihn scharf.

Sie schob sich zwischen die beiden, musterte die Tunnel nacheinander und betrachtete genau die schwarzen Abwässer, die durch die in jeden eingeschnittenen Kanal strömten. Schließlich trat sie zurück und schüttelte langsam den Kopf.

»Ich kann euch nicht helfen«, gestand sie, als hätte sie irgendwie dazu in der Lage sein müssen. »Ich habe keine Ahnung, wohin die beiden führen. Mir kommen sie völlig gleich vor.« Sie schaute zu Rone hinüber. »Du wirst dich entscheiden müssen.«

Sie starrten einander einen Augenblick wie versteinert an. Dann nickte Rone langsam. »In Ordnung wir gehen nach links.« Er trat an ihnen vorüber. »Zumindest scheint der Tunnel zu dem Abgrund zurückzuführen.«

Er eilte mit ausgestreckter flammenloser Fackel und finsterer Miene in den Gang der Kanalisation. Kimber und Cogline warfen einander einen raschen Blick zu und hasteten hinterdrein.

Das schwarze Wesen erhob sich aus dem Schlitz im Höhlenboden wie ein aus einer nächtlichen Traumwelt erwachter Geist und duckte sich vor der Brücke nieder. Es hatte menschliches Aussehen, war aber so unbehaart und glatt wie aus dunklem Ton geformt. Es beugte sich vornüber, bis es auf seinen langen Unterarmen schaukelte, und war in dieser Haltung doch immer noch größer als Brin. Seine Gliedmaßen und sein Rumpf wirkten eigentümlich formlos, als ob es den Muskeln darunter an Konturen fehlte — oder als ob gar keine Muskeln vorhanden wären und es sich um gar kein Wesen aus Fleisch und Blut handelte. Blicklose, tote Augen hoben sich auf der Suche nach den ihren, und ein ebenso ausgefranster und schwarzer Mund wie die Haut des Geschöpfs öffnete sich zu einem tiefen, tonlosen Zischen.

Das Talmädchen erstarrte. Es gab keine Möglichkeit, dem Geschöpf auszuweichen. Es war hier eindeutig postiert, um die Brücke zu bewachen, und nichts käme an ihm vorüber. Vermutlich hatten die Mordgeister es mit Schwarzer Magie geschaffen — es geschaffen oder aber es aus einer zeitlosen Unterwelt heraufbeschworen wie den Jachyra.

Das schwarze Ungeheuer trat langsam und sicher einen Schritt nach vorn und begaffte sie aus toten Augen. Brin zwang sich, nicht von der Stelle zu weichen. Sie hatte keine Möglichkeit herauszufinden, wie gefährlich dieses Wesen war, aber sie ahnte, daß es ziemlich bedrohlich sein mußte und über sie herfallen würde, wenn sie sich umdrehte oder zurückwich.

Die Kreatur riß das schwarze Maul weit auf, und sein Zischen erfüllte die Stille. Brin wurde es eiskalt. Sie wußte, was als nächstes geschähe. Und das hieß, daß sie wieder einmal das Wünschlied würde anwenden müssen. Sogleich schnürte sich ihr die Kehle zu. Sie wollte den Elfenzauber nicht anwenden, aber sie durfte dieses Ungeheuer nicht an sich heranlassen, selbst wenn das bedeutete...

Unvermittelt griff das unheilvolle Wesen dann an, indem es von seiner Halbhocke aus losstürzte. Die Schnelligkeit des Monsters überraschte sie. Sie wirkte geradezu hypnotisch auf sie. Das Wünschlied blieb ihr im Hals stecken, wo ihre Unentschlossenheit es gefrieren ließ. Der Augenblick hing in der Schwebe wie ein Knoten im Faden der Zeit, und sie wartete, daß die Wucht des Aufpralls sie träfe.

Doch zu diesem Aufprall sollte es niemals kommen. Etwas schoß blitzschnell an ihr vorüber, so daß sie die Bewegung nur verschwommen wahrnehmen konnte, erwischte das schwarze Wesen mitten im Sprung und schleuderte es zurück. Brin stolperte fort und fiel auf die Knie. Es war Wisper! Der Bann des Wünschliedes war nicht stark genug gewesen, den Befehl seiner Herrin aufzuheben; Wisper hatte den Zauber abgeschüttelt und war ihr gefolgt.