Die Kämpfenden gingen in wildem Durcheinander zu Boden und rissen mit Zähnen und Klauen aneinander. Das schwarze Ungeheuer war völlig überrumpelt, denn es hatte nur das Mädchen gesehen. Es fauchte wütend und versuchte, die Moorkatze von seinem Rücken abzuschütteln, wo das große Tier sich mit todbringendem Griff festklammerte. Sie überschlugen sich immer wieder über die ganze Länge der Brücke, und die Kiefer der Moorkatze rissen an Hals und Schultern des Monsters, während die massige, schwarze Gestalt sich zusammenkrümmte und zuckend um sich schlug.
Brin erstarrte unentschlossen einige Meter entfernt mitten auf der Brücke. Sie mußte etwas unternehmen, sagte sie sich. Schließlich ging es hier nicht um Wispers Kampf, sondern um den ihren. Sie wich angesichts dieses Aufeinanderpralls zurück, und ein leiser Schrei entfuhr ihr, als die beiden so nahe an das Geländer herankamen, daß die Eisenketten klirrten. Sie mußte helfen. Aber wie sollte sie. Sie besaß keine Waffe außer dem Wünschlied, und sie konnte den Zauber einfach nicht anwenden! Sie konnte einfach nicht!
Sie war überrascht über die Unerschütterlichkeit ihres Entschlusses. Sie konnte das Wünschlied nicht einsetzen... weil... Zorn und Angst durchströmten sie und vermischten sich mit Verwirrung, die sie handlungsunfähig machte. Warum? Die Frage war ein wütender Aufschrei in ihrem Innern. Was war nur mit ihr los?
Dann setzte sie sich unvermittelt in Bewegung, ging vorsichtig zur gegenüberliegenden Seite der Brücke fernab von den Kämpfenden. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Sie würde flüchten. Sie war es, hinter der das schwarze Wesen her war. Wenn es sie laufen sähe, würde es ihre Verfolgung aufnehmen. Und wenn sie schnell genug war, würde sie vielleicht vor ihm den Maelmord erreichen...
Sie blieb stehen. Vor sich, wo der Höhlenboden sich in die gewölbte Öffnung erstreckte, sah sie etwas Neues aus dem rissigen Gestein auftauchen.
Ein zweites Ungeheuer!
Sie blieb völlig regungslos. Der offene Durchgang zum Tageslicht und dem Tal dahinter lag zu weit entfernt — und das schwarze Wesen stand direkt in ihrem Fluchtweg. Da kam es auch schon auf sie zu. Es erhob sich vom Stein und kroch dann mit weit aufgerissenem schwarzen Rachen auf die Brücke zu. Brin wich zurück. Diesmal mußte sie sich selbst verteidigen. Furcht und Ungewißheit durchströmten sie schmerzlich. Sie mußte das Wünschlied anwenden. Sie mußte!
Das schwarze Ungeheuer fauchte und streckte die Klauen nach ihr aus. Wieder fühlte sie den Knoten, der sich in ihrer Kehle bildete.
Und wieder war es Wisper, der sie rettete. Der Kater riß sich von dem ersten Wesen los, wirbelte herum und warf sich kraftvoll gegen das andere, daß es von dem Mädchen fortgeschleudert wurde. Wisper rappelte sich hoch und stellte sich seinem neuen Widersacher. Das schwarze Ungeheuer stürzte sich mit heiserem Heulen und einem hohen Satz durch die Luft auf ihn. Aber Wisper war zu schnell. Der Kater wich geschickt zur Seite aus und schlug mit der Pranke nach dem entblößten Unterleib seines Angreifers. Fetzen dunklen Fleischs wurden herausgerissen, doch das Monster gab nicht nach. Es befreite sich mit einem mächtigen Sprung und starrem Blick in den toten Augen.
Nun bekam das zweite Wesen Unterstützung vom ersten. Vorsichtig begannen sie, der Moorkatze näherzurücken. Wisper zog sich achtsam etwas zurück und hielt sich vor Brin; er sträubte sein dickes Fell, bis er fast doppelt so dick wie gewöhnlich aussah. Auf alle viere niedergeduckt täuschten die schwarzen Wesen schnelle Angriffe vor und bewegten sich mit einer Geschmeidigkeit von einer Seite zur anderen, die ihr plumpes Aussehen Lügen strafte. Gezielt machten sie sich auf die Suche nach einer Lücke in der Abwehr der Riesenkatze. Wisper hielt stand und ließ sich nicht zu einer unbedachten Reaktion verleiten. Dann stürzten sich beide Geschöpfe gleichzeitig auf ihn, und Zähne und Klauen rissen tiefe Furchen in Fell und Haut. Wisper wurde gegen die Ketten des Brückengeländers zurückgeschleudert und durch ihren wütenden Angriff dort fast eingekeilt. Doch er befreite sich mit einem Satz, wobei er heftig mit den Pranken nach den schwarzen Ungeheuern schlug und seinen Haß auf sie hinausschrie.
Sie begannen wiederum ihn zu kreisen. Wisper, in dessen glattem grauen Fell das Blut dunkle Streifen zog, rutschte zurück in seine kauernde Abwehrstellung. Die Angreifer hatten ihn gegen das Brückengeländer und weg von Brin gedrängt. Sie beobachteten das Mädchen nun gar nicht, ihre leblosen Augen waren auf die Katze gerichtet. Brin sah, was sie vorhatten. Sie würden sich noch einmal auf Wisper stürzen, und diesmal würden die Ketten der Wucht ihres Angriffs nicht standhalten. Die Moorkatze würde über den Rand gestoßen werden und in den Tod stürzen.
Wisper schien ebenfalls zu begreifen, was geschah. Er griff an und versuchte sich mit Finten an den Rand zu schleichen und wieder zur Mitte der Brücke zu gelangen. Doch die Ungeheuer schafften es mit schnellen Manövern, ihm den Weg abzuschneiden, so daß er am Geländer in der Falle saß.
Brin Ohmsford zog sich vor Furcht die Kehle zusammen. Diesen Kampf konnte Wisper nicht gewinnen. Diese Geschöpfe waren zuviel für ihn. Er hatte beiden Wunden zugefügt, durch die sie schwer verletzt hätten sein müssen, doch sie schienen dadurch nicht im geringsten beeinträchtigt. Ihr Fleisch hing in Fetzen herab, doch sie bluteten nicht. Sie waren ungeheuer stark und schnell — stärker und schneller als alles, was diese Welt hervorbrachte. Sie waren offensichtlich Geschöpfe der schwarzen Magie und nicht der Natur.
»Wisper«, hauchte sie, und ihre Stimme klang spröde und trocken.
Sie mußte ihn retten. Niemand anders war dazu in der Lage. Sie besaß das Wünschlied und seine Zauberkraft. Sie konnte es einsetzen, um diese Geschöpfe zu vernichten, um sie so sicher auszulöschen wie...
Die verwachsenen Bäume im Runne-Gebirge...
Die Psyche der Diebe vom westlichen Bogengrat...
Den zerschmetterten Gnomen...
Tränen rannen ihr die Wangen herab. Sie konnte es nicht! Etwas schob sich zwischen ihren Willen und die Ausführung, hielt sie von ihrem angestrebten Ziel zurück und ließ sie starr vor Unentschlossenheit stehen. Sie mußte ihm helfen, aber sie war nicht dazu in der Lage!
»Wisper!« kreischte sie.
Die schwarzen Wesen fuhren hoch und drehten sich halb herum. Unvermittelt landete Wisper einen Scheinangriff, der sie auf der Stelle erstarren ließ, wirbelte dann heftig nach rechts, sammelte seine Kräfte und setzte mit einem gewaltigen Sprung über beide hinweg. Die Moorkatze landete auf allen Vieren und raste auf die Mitte der Brücke zu, wo Brin stand. Die schwarzen Monster waren sogleich hinter ihm her, fauchten vor Wut und rissen an seinen Flanken, um ihn zu Boden zu zerren.
Keine fünf Meter von Brin entfernt gelang es ihnen schließlich. Alle drei kullerten in wildem Durcheinander von Zähnen und Klauen über den Weg. Ein paar verzweifelte Sekunden hielt Wisper beide in Schach. Dann warf der eine sich auf seinen Rücken, und der andere riß sich los. Er stürzte an der kämpfenden Katze vorüber auf Brin zu. Das Talmädchen warf sich zur Seite flach über die Brücke. Wisper brüllte auf. Mit letzter Kraft setzte er zum Sprung gegen Brins Angreifer an, wobei die andere Kreatur sich immer noch wie eine riesenhafte Spinne an seinen Rücken klammerte. Die Wucht seines Sprungs warf alle drei gegen die Brüstung der Brücke. Eisenglieder brachen wie Reisig, und die schwarzen Wesen zischten triumphierend, als Wisper von der Brücke auf den Abgrund zuzurutschen begann.
Brin kam auf die Knie hoch, ein Aufschrei von Wut und Entschlossenheit entriß sich ihrer Kehle. Die Schranken, die sie zurückhielten, fielen, Unentschlossenheit und Unsicherheit zerbrachen, ihr Ziel lag frei. Sie sang schnell und heftig, und der Klang des Wünschliedes erfüllte die Höhen und Tiefen des Höhlengesteins. Das Lied war unheilvoller als alle bisher gesungenen, es war ein neuer und schrecklicher Klang voll von wütender Raserei, die alles, dessen sie sich selbst für fähig gehalten hätte, überstieg. Es stieß wie ein eiserner Rammbock in die schwarzen Ungeheuer. Sie wurden von seiner Wucht zurückgeschleudert, und ihre leblosen Augen kippten nach innen. Wild um sich schlagend rissen die Bestien ihre schwarzen Rachen weit zu lautlosem Schrei auf und wurden von Wisper fortgestoßen, fort von der sicheren Brücke und hinab in die Leere. Zuckend wie windgepeitschte Blätter stürzten sie in den Abgrund und waren verschwunden.