Das alles geschah innerhalb eines Augenblicks. Brin verstummte, ihr dunkelhäutiges, ausgezehrtes Gesicht war gerötet und erregt. Wieder empfand sie dieses seltsame, plötzliche Gefühl gehässigen Triumphs — diesmal aber stärker, viel stärker. Es loderte wie Feuer durch sie hindurch. Sie konnte ihre Erregung kaum beherrschen. Sie hatte die schwarzen Wesen fast mühelos vernichtet.
Und sie hatte es genossen!
Nun begriff sie, daß die Barriere, die sich zwischen ihren Willen und seine Ausführung geschoben hatte, von ihr selbst stammte — eine Beschränkung, die sie sich auferlegt hatte, um genau das zu verhindern, was gerade geschehen war. Nun existierte diese Schranke nicht mehr, und sie glaubte nicht, daß sie neu aufgebaut werden konnte. Sie hatte gefühlt, daß ihr die Kontrolle über die Magie entglitt. Sie hatte nicht verstanden, warum, nur daß es geschah. Jede Anwendung schien sie ein Stück mehr von sich entfernt zu haben. Sie hatte versucht, dem zu widerstehen, was da mit ihr geschah, doch ihre Bemühungen, auf die Anwendung des Zaubers zu verzichten, waren jedesmal vereitelt worden — fast als ob irgendein launisches Schicksal erzwungen hätte, daß sie die Magie einsetzen mußte. Als sie sie diesmal anwandte, hatte sie sie voll ausgekostet, und sie hatte nicht mehr das Gefühl, sich noch dagegen wehren zu können. Sie würde zu dem werden, was die Vorsehung bestimmt hatte.
Langsam und vorsichtig trottete Wisper zu der Stelle, wo sie auf den Knien lag, und stieß mit seiner dunklen Schnauze nach ihrem Gesicht. Sie schlang liebevoll die Arme um die große Katze, und Tränen liefen ihr die Wangen hinab.
Jair Ohmsfords Stimme verstummte mit abgehacktem Keuchen und mit ihr erstarb das Licht der Kristallkugel. Das Gesicht seiner Schwester war fort. Tiefe Stille erfüllte die plötzliche Düsternis, und die Gesichter der versammelten Männer waren bleich und angespannt.
»Das waren Mutens«, flüsterte Spinkser schließlich.
»Was?« Edain Elessedil, der neben ihm saß, schaute erschrocken drein.
»Diese schwarzen Wesen — so heißen sie — Mutens. Sie sind Geschöpfe der schwarzen Magie. Sie bewachen die Abflußkanäle unter Graumark...« Der Gnom verstummte und schaute rasch zu Jair hinüber.
»Demnach ist sie da«, hauchte der Talbewohner mit trockenem Mund und fest um die Kristallkugel geschlossenen Händen.
Spinkser nickte. »Ja, Junge, sie ist da. Und näher an der Grube als wir.«
Garet Jax erhob sich schnell als schmaler, schwarzer Schatten. Die anderen rappelten sich ebenfalls hoch. »Es sieht aus, als hätten wir keine Zeit und keine andere Wahl, als jetzt hineinzugehen.« Selbst im Halbdunkel leuchteten seine Augen wie Feuer. Er streckte ihnen die Hände mit nach oben gewandten Innenflächen entgegen. »Reicht mir eure Hände.«
Einer nach dem anderen taten sie, wie ihnen geheißen. »So legen wir unser Gelübde ab«, erklärte er ihnen mit hartem, sprödem Unterton in der Stimme. »Der Talbewohner soll das Becken des Himmelsbrunnen erreichen, wie er es geschworen hat. Wir stehen in dieser Sache wie ein Mann zusammen, was immer auch geschieht. Wie ein Mann bis zum Schluß. Schwört es.«
Es trat betretene Stille ein. »Wie ein Mann«, wiederholte Helt mit seiner tiefen, freundlichen Stimme. »Wie ein Mann«, kam das Echo von den übrigen.
Die Hände sanken herab, und Garet Jax wandte sich an Spinkser. »Führe uns hinein!«
40
Sie schlichen wie die Geister, denen sie aus dem Weg zu gehen suchten, die Gebirgszugänge zu den Kellern unterhalb Graumark hinauf. Mit Hilfe von Fackeln, die sie in einer Nische am Tunneleingang aufgestapelt fanden, krochen sie durch die Finsternis und die Stille zum Kern der Bergfeste. Spinkser führte sie an; er hielt das derbe, gelbe Gesicht dicht an die Fackel gebeugt, und in seinen schwarzen Augen funkelte Angst. Er marschierte sicher und zielstrebig, und nur sein Blick verriet, was er sich selbst am liebsten nicht eingestanden hatte. Aber Jair sah es, erkannte es und empfand es als Spiegel dessen, was in ihm selbst verborgen ablief.
Er empfand ebenfalls Furcht. Die Vorahnung, die ihm zuvor solche Willensstärke verliehen hatte, war dahin. An ihre Stelle war Angst getreten, hemmungslose, schwer zügelbare Angst, die durch ihn hindurchströmte und ihm eisige Schauer über die Haut jagte.
Eigentümliche, bruchstückartige Bilder beherrschten sein Denken, während er sich mit den anderen seinen Weg durch den Felstunnel bahnte und der Geruch stickiger Luft und seines eigenen Schweißes in seine Nase drang: Gedanken an sein Zuhause in Shady Vale, an seine in alle Länder zerstreute Familie, an Freunde und vertraute Dinge, die er zurückgelassen und vielleicht verloren hatte, an die bedrückenden Dinge, die ihn quälten, an Allanon und Brin und was sie an diesem finsteren Ort zu dieser bösen Zeit zu suchen hatten. Alles geriet durcheinander und floß zusammen wie dem Wasser beigemischte Farben, und nichts von alledem ergab irgendeinen Sinn. Die Angst war es, die sein Denken so verwirrte, und er versuchte, sich dagegen zu stählen und seine Entschlossenheit wiederzuerlangen.
Die Hohlwege führten lange Zeit bergan, überschritten sich immer wieder und bildeten einen rätselhaften Irrgarten, in dem es keinen Anfang und kein Ende zu geben schien. Doch Spinkser machte niemals halt, sondern führte sie stetig weiter, bis sie schließlich eine breite, im Fels verankerte, eisenbeschlagene Tür erblickten. Sie traten auf sie zu und blieben so lautlos wie die Gänge, die sie hierhergeführt hatten, davor stehen. Jair duckte sich mit den anderen, als Spinkser ein Ohr an die Tür legte und lauschte. In der Stille seines Innern hörte er das Dröhnen seines Herzschlags.
Spinkser richtete sich auf und nickte einmal. Vorsichtig hob er den Riegel an, der die Tür verschlossen hielt, legte die Hände um den Eisengriff und zog. Die Tür schwenkte mit leisem Ächzen auf. Vor ihnen stieg eine Treppe an, die jenseits der Lichtkreise ihrer Fackeln in die Dunkelheit verschwand. Sie machten sich unter Spinksers Führung an den weiteren Aufstieg. Langsam und vorsichtig nahmen sie einen Schritt nach dem anderen und erklommen so allmählich die Stufen. Düsternis und Stille vertieften sich und schlangen sich dicht um sie. Der Treppenschacht endete und mündete oben in eine Tenne aus Steinquadern. Das leise Echo vom Scharren von jemandes Stiefeln auf der Treppe hallte droben rauh durch die Dunkelheit und verlor sich weit entfernt in der Stille. Jair schluckte seine aufkommenden Gefühle hinunter. Es war, als gäbe es da droben nichts als Finsternis.
Dann hatten sie die Treppe verlassen und waren von Dunkelheit umgeben. Wortlos blieben sie dicht bei dem Schacht stehen und spähten mit von sich gereckten Fackeln in die Düsternis. Das Licht reichte nicht bis an Wände und Decke, doch sie fühlten eindeutig, daß sie in einem so gewaltigen Gewölbe standen, daß sie sich wie Zwerge vorkamen. Am Rande des Lichtscheins ihrer Fackeln konnten sie die verdunkelten Umrisse von Kisten und Fässern ausmachen. Das Holz war trocken und faul, die eisernen Beschläge verrostet. Alles war von Spinngeweben überzogen, und über den Boden breitete sich eine dicke Staubschicht.
Doch in dem Staubteppich wiesen gespreizte Fußabdrücke darauf hin, daß hier ein eindeutig nicht-menschliches Wesen gegangen war. Was immer sich in die unteren Gefilde von Graumark gewagt haben mochte, es konnte noch nicht allzulange hier sein, dachte Jair fröstelnd.
Spinkser winkte sie weiter. Die Mitglieder der kleinen Gruppe schritten in die Dunkelheit, ertasteten sich von der offenen Treppe aus den weiteren Weg, wobei der Staub unter ihren Füßen aufgewühlt wurde und zu kleinen Wölkchen aufstiebte, um sich mit dem Licht ihrer Fackeln zu dunstigem Schein zu mischen. Unmengen von Vorratsgütern und vergessenen Lebensmitteln tauchten vor ihnen auf und verschwanden wieder. Und das Gewölbe nahm noch immer kein Ende.