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»Die Falltür — dort!« Er deutete über den Innenhof zu einem eisernen Gatter, das über einem Torbogen in der dicken Quadermauer hochgezogen war. »Der Weg führt am schnellsten zum Croagh!« Sein gelbes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er nach Atem rang. »Die Gnomen werden binnen kurzem merken, daß wir dort hinaus wollen. Und dann lassen sie das Gatter herunter, um uns abzufangen. Wenn wir aber vor ihnen dort sind, können wir es benutzen, um ihnen statt dessen den Weg abzuschneiden!«

Garet Jax nickte und wirkte eigentümlich gelassen inmitten der Hektik dieses Augenblicks. »Wo sind das Räderhaus und die Winde?«

Spinkser deutete wieder in eine bestimmte Richtung. »Unter dem Tor — auf dieser Seite. Wir werden die Räder blockieren müssen!«

Rund um sie her ertönten Rufe und Schreie. Im Innenhof unten begannen die Gnomen zusammenzuströmen.

Garet Jax richtete sich auf. »Schnell dann — ehe es zu viele für uns sind.«

Die kleine Gesellschaft raste hinter Spinkser her die Turmtreppe hinunter. Unten angelangt, durchquerten sie einen dunklen, geschlossenen Flur zu einer einzelnen Tür, die auf den Innenhof führte. Auf dem ganzen Hof machten Gnomen-Jäger Front, um sich ihnen entgegenzustellen.

»Gütige Geister!« keuchte Spinkser.

Sie liefen los und stürmten auf das Tor zu.

Brin Ohmsford stand langsam auf und ließ eine Hand sanft auf Wispers massigem Kopf ruhen. In der Höhle herrschte wieder Stille, und nichts rührte sich. Einen Augenblick lang stand sie auf der Mitte der Felsbrücke und schaute über den Abgrund zu der Stelle, wo das Tageslicht die hohe, gewölbte Grotte erhellte, die ins Freie führte. Sie rieb zärtlich Wispers Kopf und fühlte deutlich die Schwielen und bösen Striemen, die er in dem schrecklichen Kampf mit den schwarzen Wesen davongetragen hatte, und die weiteren Verletzungen, die ihm zugefügt worden waren.

»Das ist nun vorbei«, flüsterte sie leise.

Dann wandte sie sich nach vorn. Sie trat rasch und ohne noch einmal zurückzuschauen über die Brücke und schritt über den Höhlenboden auf die Öffnung zu. Wisper begleitete sie; er tappte lautlos hinter ihr her, und seine blauen Kulleraugen leuchteten. Ohne sich umzudrehen wußte sie, daß er da war. Vorsichtig suchte sie das rissige Gestein nach Anzeichen für die unheilvollen Wesen oder andere aus der schwarzen Magie geborenen Schrecknisse ab, doch es waren keine zu sehen. Nur sie und die Katze waren übriggeblieben.

Minuten später erreichte sie die Grotte mit ihren hohen, glatten, aus dem Stein gehauenen Wänden und den komplizierten Mustern daran, die sie schon vorher gesehen hatte. Sie schenkte ihnen wenig Beachtung und trat sogleich zur Öffnung und in das dahinter scheinende Tageslicht. Nun kannte sie nur noch ein Ziel.

Sie ließ den Höhleneingang hinter sich zurück und stand wieder im Sonnenschein. Es war um die Mitte des Nachmittags, die Sonne sank westwärts den Baumwipfeln entgegen, und ihre Helligkeit war gedämpft durch den Nebel und die Wolken, die wie ein Tuch den ganzen Himmel über ihr bezogen. Sie befand sich auf einem Felssims mit Blick über ein tiefes, von einer Reihe kahler, zerklüfteter Gipfel umsäumtes Tal. Die Szenerie von Bergen, Wolken und Nebel hatte eine eigenartig traumhafte Tönung. Das gesamte Tal war in glänzendes Bleigrau getaucht. Sie schaute sich langsam um und blickte dann hinter sich hoch. Dort erhob sich, kühn auf dem Fels errichtet, eine einsame, düstere Burg. Graumark. Von ihren Höhen und noch weiter darüber, wohin ihr Blick schon nicht mehr reichte, wand sich die Treppe hinab, die der Croagh hieß. Sie führte an ihrem Felssims vorüber, streifte es knapp und verlief dann im Zickzack ins Tal hinunter.

An diesem Tal blieb ihr Blick schließlich haften. Es entzog sich als tiefer, schattiger Abgrund dem Licht, bis sich seine unteren Hänge ganz in nebelverhangenem Dunkel verloren. Der Croagh schlängelte sich abwärts in diese Finsternis, in ein Gewirr von Bäumen, Ranken, Sträuchern und wucherndem Unterholz, das so dicht gewachsen war, daß kein Licht es zu durchdringen vermochte. Dieser Wald stellte eine bedrohliche, verschlungene Wildnis dar, die keinen Anfang und kein Ende zu besitzen, sondern in ihrem üppigen Wachstum nur durch die Felswände der Berge begrenzt schien.

Brin starrte hinunter. Von hier erklang das Zischen, das sie schon vorher in den Abwasserkanälen gehört hatte. Es erinnerte an Atemholen. Sie zwinkerte in das blendende, graue Zwielicht. Hatte sie gesehen, wie...?

Der Wald in der Talsenke rührte sich.

»Du lebst«, sagte sie leise und stählte sich gegen das Gefühl, das diese Erkenntnis in ihr auslöste.

Sie trat weit hinaus auf das Sims bis zu seinem äußersten Rand, wo der Croagh sich mit ihm vereinte. Derbe Stufen waren in den Stein gehauen, und sie folgte ihnen mit dem Blick hinab bis zu der Stelle, wo sie hinter einer Felsbiegung verschwanden. Dann schaute sie wieder daran vorbei ins Tal darunter.

»Maelmord, ich komme zu dir«, flüsterte sie.

Dann drehte sie sich wieder zu Wisper um. Sie kniete neben ihm zu Boden und kraulte ihm zärtlich die Ohren. Ihr Lächeln war traurig und sanft. »Du darfst mich nicht weiter begleiten, Wisper. Auch wenn deine Herrin dich geschickt hat, auf mich aufzupassen, du darfst nicht weiter. Du mußt hierbleiben und warten, bis sie dich holt. Verstehst du?«

Der Kater blinzelte mit seinen leuchtenden Augen und rieb sich an ihr. »Schütze meinen Rückweg, wenn du mich überhaupt beschützen willst«, bat sie ihn. »Vielleicht verläuft es anders, als der Finsterweiher vorhergesagt hat — vielleicht muß ich doch nicht hier sterben. Vielleicht komme ich zurück. Halte mir den Weg frei, Wisper. Paß auf deine Herrin und meine Freunde auf. Laß nicht zu, daß sie mir folgen. Warte, und wenn ich die mir gestellte Aufgabe vollbracht habe, werde ich zu dir zurückkommen, wenn ich kann. Ich verspreche es dir.«

Dann sang sie dem Kater vor und benutzte das Wünschlied diesmal nicht, um zu überreden oder zu täuschen, sondern um zu erklären. In Bildern, die für das Denken der Moorkatze verständlich waren, ließ sie Wisper fühlen, was sie wünschte, und ihn begreifen, was sie tun mußte. Als sie fertig war, beugte sie sich vor und drückte die große Katze einen Augenblick lang fest an sich, grub ihr Gesicht ins rauhe Fell und fühlte, wie die Wärme des Tieres in sie floß und ihr neue Kraft verlieh.

Sie stand auf und trat zurück. Langsam ließ Wisper sich auf seine Hinterläufe und Vorderpfoten nieder, bis er ausgestreckt vor ihr lag. Sie nickte und lächelte. Er überwachte ihren Abstieg. Er würde sich so verhalten, wie sie es wünschte.

»Leb wohl, Wisper«, sagte sie zu ihm und trat auf den Croagh.

Der Gestank, der aus dem Abgrund hinter ihr aufgestiegen war, wehte ihr erneut aus den dampfenden Tiefen des Tales unter ihr entgegen. Sie beachtete ihn nicht und ließ den Blick einen Moment lang über die Klippen zu der Stelle schweifen, wo die Sonne den Horizont erhellte. Dann mußte sie an Allanon denken und fragte sich, ob er sie jetzt sah — ob er vielleicht auf irgendeine Weise bei ihr sein konnte.

Schließlich atmete sie tief ein, um sich zu fangen, und machte sich an den Abstieg.

41

Wie ein Mann stürzten sich die sechs, die von Culhaven gekommen waren, aus dem Schutz der Turmtür und rasten auf den Innenhof dahinter. Rund um sie her erschallten Alarmschreie, und weitere Gnomen strömten aus allen Richtungen herbei.

Inmitten des Chaos verfolgte Jair seltsam unbeteiligt, wie der Kampf sich entwickelte. Die Zeit zerfiel in Bruchteile, und ihm entglitt alles Realitätsgefühl. Dicht umringt von seinen Freunden, die ihn zu schützen trachteten, schwebte er schweigend und flüchtig als Geist, den keiner sehen konnte, in ihrer Mitte. Erde, Himmel und die ganze Welt jenseits dieser Mauern existierten nicht mehr zusammen mit allem, was jemals gewesen war oder jemals sein würde. Es gab nur das Jetzt und die Gesichter und Gestalten jener, die in diesem Innenhof kämpften und starben.