Garet Jax leitete den Angriff und schoß schnell und geschmeidig zwischen den Gnomen, die ihm den Weg versperren wollten, hindurch und tötete sie. Er glich einem schwarz gekleideten Tänzer, ganz Grazie, Kraft und scheinbar mühelose Bewegung. Gnomen-Jäger, aus zahllosen Schlachten vernarbt und zermürbt, warfen sich ihm wild entschlossen entgegen, und ihre Waffen hackten und hieben mit todbringender Kraft. Doch genauso hätten sie versuchen können, Quecksilber aufzuhalten. Keiner konnte Hand an den Waffenmeister legen, und die sich nahe genug heranwagten, es zu versuchen, erkannten ihn als den schwarzen Schatten des Todes, der gekommen war, ihr Leben zu fordern.
Die anderen der Gruppe kämpften an seiner Seite und waren dabei keinen Deut weniger entschlossen, nur einen Hauch weniger todbringend. Foraker deckte seine eine Seite, und das schwarzbärtige Gesicht des Zwergs war grimmig, als er die große Doppelaxt schwenkte und die Angreifer mit bestürztem Geschrei davonliefen. Edain Elessedil flankierte ihn auf der anderen Seite, wo ein schlankes Schwert blitzschnell wie eine Schlange zustieß und ein langes Messer Gegenangriffe parierte. Spinkser hielt sich dicht hinter ihnen allen mit gezückten Langmessern und qualvollem Ausdruck in den schwarzen Augen. Helt bildete die Nachhut als riesenhafter Schild; sein verwundetes Gesicht blutete wieder und war schrecklich anzuschauen. Eine große Pike, die er einem Angreifer entrissen hatte, stieß und hieb nach allen, die sich an ihm vorbeidrängen wollten.
Ein seltsames Hochgefühl durchströmte Jair. Es war, als könnte nichts sie aufhalten.
Wurfgeschosse sausten aus allen Richtungen vorbei, und die Schreie der Verwundeten und Sterbenden erfüllten den grauen Nachmittag. Sie hatten nun die Mitte des Innenhofs erreicht, und die Burgmauer ragte vor ihnen in die Höhe. Dann traf ein plötzlicher Hieb den Talbewohner, daß er unter der Wucht ins Wanken geriet. Benommen schaute er hinab und sah eine Pfeilspitze wie einen Haken aus seiner Schulter ragen. Von der Wunde durchströmte Schmerz seinen Körper, und er erstarrte. Spinkser sah ihn stolpern, war sogleich neben ihm, schlang die Arme um seine Taille und zerrte ihn hinter den anderen her. Helt brüllte vor Zorn auf und drosch mit der langen Pike auf die Gnomen ein, die herbeistürmten, sie zu ergreifen. Jair preßte die Augen gegen den Schmerz zusammen. Er war verletzt, dachte er ungläubig, als er unter Spinksers Geleit weiterwankte.
Vor ihnen tauchte hoch das Fallgatter auf. Gnomen befanden sich jetzt darunter, rannten wild umher und stießen warnende Schreie aus. Die Türen zum Blockhaus wurden zugeschlagen, eiserne Kurbeln begannen sich zu drehen. Langsam sank das Fallgatter herab.
Garet Jax sprang so schnell nach vorn, daß die anderen ihm kaum folgen konnten. Innerhalb von Sekunden stand er am Tor und stürzte sich auf die Gnomen, die dort Posten bezogen hatten. Doch die Winden im Blickhaus drehten sich weiter und wickelten die eisernen Ketten ab. Das Fallgatter sank immer tiefer.
»Garet!« brüllte Foraker warnend und wurde fast unter einem Gnomen-Angriff begraben.
Aber es war Helt, der nun handelte. Er stürmte mit gesenkter Pike zwischen den Gnomen-Jägern hindurch und fegte sie beiseite wie Blätter in einem Herbststurm. Schläge regneten auf ihn herab, doch er schüttelte sie ab, als spürte er sie gar nicht und setzte seinen Lauf fort. Von den Wällen hinter ihnen nahmen Bogenschützen den hünenhaften Grenzländer unter konzentrierten Beschuß. Zweimal wurde er getroffen; beim zweiten Mal sank er in die Knie. Er schleppte sich immer noch weiter.
Dann hatte er das Blockhaus erreicht und warf seinen massigen Körper gegen die geschlossenen Türen. Die gaben mit einem Knirschen nach, brachen entzwei, und der Grenzbewohner stand drinnen. Er stürmte in eine Schar Verteidiger, schleuderte sie wie Puppen von dem Getriebe fort und schloß die riesigen Hände um die Kurbeln der Winde, um sie wieder aufzudrehen. Das Fallgatter wurde langsamer und blieb mit einem Ächzen stehen, seine Zacken waren kaum drei Meter mehr vom Erdboden entfernt.
Garet Jax vertrieb die Gnomen, die noch vor dem Tor ausharrten, und Spinkser und Jair stolperten hindurch in einen dahinterliegenden Hof. Der war zumindest im Augenblick menschenleer. Jair brach auf ein Knie nieder und fühlte, wie durch die Bewegung sengender Schmerz von der Wunde ausstrahlte. Dann stand Spinkser vor ihm. »Tut mir leid, Junge, aber ich muß das tun.«
Eine knochige Hand umfaßte seine Schulter, die andere den Pfeilschaft. Mit einem Ruck zog der Gnom den Pfeil heraus. Jair schrie auf und verlor fast das Bewußtsein, doch Spinkser fing ihn auf, stopfte ein Stoffbündel in Jairs Hemdenausschnitt und schnürte es mit seinem Gürtel fest über die Wunde. Unter dem Fallgatter kämpften Garet Jax, Foraker und Edain Elessedil in einer Reihe gegen die vorrückenden Gnomen. Ein Dutzend Schritte dahinter löste Helt, der immer noch im Blickhaus stand, wieder die Kurbeln der Winde. Erneut setzte sich das Fallgatter in Bewegung.
Jair blinzelte durch die Tränen hindurch, die ihm vor Schmerzen in die Augen geschossen waren. Etwas stimmte nicht. Der Grenzländer unternahm keinen Versuch, ihnen zu folgen. Er lehnte sich schwer an das Räderwerk und sah zu, wie das Tor sich herabsenkte.
»Helt?« flüsterte Jair schwach.
Dann durchschaute er die Absicht des Grenzländers. Helt wollte das Gatter herablassen und es von der anderen Seite verkeilen. Wenn er das machte, säße er in der Falle. Das würde seinen sicheren Tod bedeuten.
»Helt, nein!« schrie er und sprang auf die Beine.
Doch es war schon geschehen. Das Tor kam herunter und rammte sich mit der Wucht seines gelösten Gewichts in die Erde. Die Gnomen-Jäger brüllten vor Zorn und stürzten sich auf den Mann im Blockhaus. Helt stemmte sich ab und warf sich mit voller Wucht gegen die Windenkurbeln, riß sie aus ihren Verankerungen und ruinierte so das Getriebe.
»Helt!« schrie Jair abermals und versuchte, sich von Spinkser loszureißen.
Der Grenzländer wankte mit ausgestreckter Pike zur Tür des Blockhauses. Gnomen stürzten sich von allen Seiten auf ihn. Er bückte sich vornüber, taumelte angesichts ihres Ansturms, konnte ihnen aber einen Augenblick lang standhalten. Dann schwärmten sie über ihn hinweg, und er war nicht mehr zu sehen.
Jair stand wie versteinert hinter dem Gittertor, als Garet Jax wieder zu ihm trat. Der Waffenmeister riß ihn grob herum und stieß ihn fort. »Geh!« knurrte er. »Schnell, Jair Ohmsford, lauf jetzt!«
Der Talbewohner wankte noch völlig benommen von dem Gatter weg. Der Waffenmeister ging neben ihm her. »Er war bereits vom Tode gezeichnet«, erklärte Garet Jax. Jairs Kopf fuhr herum, die grauen Augen waren auf ihn gerichtet. »Das geflügelte Ding in dem Lagerkeller hat ihn vergiftet. Es war in seinen Augen zu sehen, Talbewohner.«
Jair nickte dumpf und mußte an den Blick denken, den der Grenzländer ihm zugeworfen hatte. »Aber wir... wir hätten vielleicht...«
»Wir hätten vielleicht vieles tun können, befänden wir uns nicht da, wo wir jetzt sind«, schnitt Garet Jax ihm mit ruhiger, eisiger Stimme das Wort ab. »Das Gift war tödlich. Er wußte, daß er sterben würde. Er entschied sich für diesen Weg, es zu Ende zu bringen. Nun lauf!«
Der hünenhafte Helt! Jair mußte daran denken, wie freundlich der große Mann auf ihrer langen Reise nordwärts immer zu ihm gewesen war. Er mußte an seine sanften Augen denken. Helt, von dem er so wenig wußte...
Er senkte den Kopf, um seine Tränen zu verbergen, und lief weiter.
Am Rande des Croagh, wo er auf seiner halben Höhe an das Felssims unterhalb Graumark stieß, lauschte Wisper, wie das Getöse der Schlacht, die oben ausgetragen wurde, immer schlimmer wurde. Der Länge nach auf dem schattigen Stein ausgestreckt wachte er bis zu Brins Rückkehr oder der Ankunft seiner Herrin. Sein Gehör war feiner als das eines jeden Menschen, und er hatte die Geräusche schon lange wahrgenommen. Doch der Lärm bedrohte ihn nicht, so daß er weiter Wache halten konnte und sich nicht von der Stelle rührte.