Der Lärm wurde lauter, und es schien, als liefe die Gruppe geradewegs darauf zu. Dann erschallten die Rufe rund um sie her. Hinter ihnen, nur wenige Meter entfernt, wurde eine Tür aufgestoßen, und Gnomen-Jäger ergossen sich in den Flur. Erregte Schreie brachen aus ihren Kehlen, und sie bogen in den Gang, um ihre Verfolgung aufzunehmen.
»Schnell!« rief Spinkser.
Ein Pfeilhagel pfiff an ihnen vorüber, als sie auf zwei hohe, mit geschnitzten Schnörkeln verzierte, spitzbogenartige Türen zuhielten. Spinkser und Garet Jax warfen sich dagegen, dicht gefolgt von den anderen, die Türen brachen aus ihren Angeln und gaben den Durchgang frei. Die Gruppe stürzte hindurch und polterte einer über den anderen eine lange Treppe hinab. Sie befanden sich in der großen Halle, die Spinkser gesucht hatte, einem gewaltigen, hell von Tageslicht, das durch hohe Gitterfenster hereinströmte, erleuchteten Saal. Alte, vom Lauf der Zeit rissige, kreuzweise angeordnete Balken stützten ein Deckengewölbe, das sich über unordentlich am Boden verteilte Tisch- und Bankreihen spannte. Die fünf von Culhaven rappelten sich hastig auf, rasten zwischen Tischen und Bänken hindurch und bogen verzweifelt um das Gerümpel. Hinter ihnen platzten ihre Verfolger in den Raum.
Jair folgte Spinkser nach rechts und behielt Garet Jax im Auge, der mit Foraker und Edain Elessedil im Gefolge den Weg links herum nahm. Seine Lungen stachen, und die Wunde an seiner Schulter pochte wieder schmerzhaft. Pfeile und Bolzen pfiffen bedrohlich vorbei und schlugen in das Holz von Bänken und Tischen. Rund um sie her tauchten Gnomen-Jäger auf.
»Zur Treppe!« brüllte Spinkser wie von Sinnen.
Vor ihnen wand sich ein langer, geschwungener Treppenaufgang zu einer Galerie hinauf, und auf den stürzten sie jetzt zu. Doch mehrere Gnomen waren vor ihnen dort, verteilten sich über die unteren Stufen und schnitten ihnen den Fluchtweg ab. Garet Jax ging geradewegs auf sie los. Er sprang auf eine der aufgebockten Bänke, schlitterte auf ihr entlang und setzte mitten in die Gnomenschar. Irgendwie gelang es ihm, auf den Füßen zu landen wie eine schwarze Katze, und er hieb nach den fassungslosen Gnomen. Mit langen Messern in beiden Händen schlüpfte er an ihren unhandlichen Spießen und Breitschwertern vorbei und machte sie einen nach dem anderen nieder, als wären sie nichts als hilflose Zielscheiben. Bis die anderen der Gruppe bei ihm angelangt waren, lagen die meisten Gnomen tot am Boden und der Rest hatte die Flucht ergriffen.
Garet Jax wirbelte zu Spinkser herum, Blut rann über sein mageres Gesicht. »Wo liegt der Croagh, Gnom?«
»Den Gang entlang hinter der Galerie!« Spinkser lief kaum langsamer, während er Antwort gab. »Schnell jetzt!«
Sie stürmten die Stiege hinauf. Hinter ihnen sammelte sich eine neue Gruppe von Verfolgern auf den Treppen und setzte ihnen nach. Auf halber Höhe holten sie sie ein. Der Waffenmeister, der Zwerg und der Elf drehten sich zum Kampf um. Spinkser zerrte Jair ein Dutzend Stufen weiter hinauf, um ihn zu beschirmen. Gnomenbreitschwerter und - Streitkolben holten aus, und ein ohrenbetäubendes Metallklirren erfüllte den Raum. Garet Jax wich zurück, als er von der Wucht des Angriffs von den anderen abgedrängt wurde. Dann ging Elb Foraker zu Boden, als eine abgelenkte Klinge ihm den Kopf bis auf den Knochen aufhieb. Er wollte aufstehen, Blut strömte über sein bärtiges Gesicht, und Edain Elessedil sprang hinzu, um ihm zu Hilfe zu kommen. Einen Augenblick lang hielt der junge Elf die Angreifer in Schach, und sein schlankes Schwert stieß immer wieder zu. Doch eine Pike durchbohrte seinen Schwertarm. Als er seiner Deckung beraubt war, gelang es einem der Gnomen, seinen Streitkolben gegen das Bein des Prinzen zu schmettern. Der Elf kippte mit einem schmerzerfüllten Aufschrei vornüber, und sogleich fielen die Gnomen über ihn her.
Einen Moment lang sah es so aus, als wären sie alle am Ende. Doch dann trat Garet Jax wieder in Aktion, stürzte seine schwarzgekleidete Gestalt in die Masse der Angreifer und warf sie zurück. Die Gnomen-Jäger fielen, starben verwundert und waren fast tot, ehe sie wußten, was ihnen widerfahren war. Der letzte Jäger ging zu Boden, und die Angehörigen der kleinen Gruppe waren wieder einmal allein.
Foraker wankte zu der Stelle, wo Edain Elessedil sich unter Schmerzen wand, und griff mit knorrigen Händen hinab, um das verletzte Bein abzutasten. »Gesplittert«, hauchte er leise und wechselte einen vielsagenden Blick mit Garet Jax.
Er verband das Bein mit Streifen von seinem kurzen Umhang und benutzte abgebrochene Pfeile als Schienen. Spinkser und Jair hasteten die Stufen zu ihnen hinab, und der Gnom flößte dem Elf etwas von dem bitteren Bier, das er bei sich trug, in die Kehle. Edain Elessedils Gesicht war weiß und schmerzverzerrt, als Jair sich über ihn beugte. Der Talbewohner sah sofort, daß das verletzte Bein nicht mehr zu gebrauchen war.
»Helft mir, ihn hinaufbringen«, forderte Foraker. Mit Spinksers Hilfe trugen sie den Elf zum oberen Treppenabsatz. Dort stützten sie ihn gegen das Geländer und knieten um ihn herum.
»Laßt mich liegen«, wisperte er und zog eine Grimasse, als er sein Gewicht verlagerte. »Ihr müßt. Bringt Jair zum Croagh. Beeilt euch!«
Jair schaute hastig zu den anderen. Sie machten finstere, entschlossene Gesichter. »Nein!« rief er zornig.
»Jair.« Die Hand des Elfs schloß sich fest um seinen Arm. »Es war abgemacht, Jair. Wir haben es geschworen. Was immer uns übrigen widerfährt, du mußt den Himmelsbrunnen erreichen. Ich kann dir nicht mehr helfen. Du mußt mich zurücklassen und weiterziehen.«
»Er sagt die Wahrheit, Ohmsford — er kann nicht weiter.« Elb Forakers Stimme klang merkwürdig gedämpft. Er legte seine Hand auf die Schulter des Talbewohners, kam langsam auf die Füße und sah nacheinander Spinkser und Garet Jax an. »Ich denke, daß ich vielleicht auch soweit gekommen bin, wie ich kann. Dieser Schwerthieb hat mich zu schwindlig gemacht für lange Kletterpartien. Ihr Drei geht weiter. Ich denke, ich werde hierbleiben.«
»Elb, nein, das kannst du nicht machen«, versuchte der verletzte Mann einzuwenden.
»Das ist meine Entscheidung, Edain Elessedil«, fiel der Zwerg ihm ins Wort. »Meine Entscheidung, so wie es die deine war, mir zu Hilfe zu kommen. Uns bindet ein Treueschwur — ein Bündnis zwischen Elfen und Zwergen, das weiter zurückreicht, als jemand sich erinnern kann. Wir stehen einander immer bei. Nun ist für mich die Zeit gekommen, den Schwur in die Tat umzusetzen.«
Darauf wandte er sich an Garet Jax. »Diesmal bleibt über die Frage meines Bleibens nichts zu diskutieren, Garet.«
Eine Reihe Gnomen-Jäger tauchte am anderen Ende der Halle auf. Sie verlangsamten vorsichtig ihren Schritt und riefen anderen, die ihnen folgten, Warnungen zu.
»Beeilt euch nun«, flüsterte Foraker. »Nehmt Ohmsford und geht.«
Garet Jax zögerte nur einen Augenblick und nickte dann. Er streckte die Hand aus und faßte nach der des Zwergen. »Viel Glück, Foraker.«
»Dir auch«, entgegnete der andere.
Seine dunklen Augen suchten flüchtig den Blick des Gnomen. Dann legte er wortlos einen Eschenholzbogen, Pfeile und die schlanke Elfenklinge neben Edain Elessedil. Seine eigene Hand umspannte den Streitkolben.
»Geht jetzt!« sagte er rauh, ohne sich umzuwenden, und seine Miene wirkte stolz und gefaßt.
Jair blieb trotzig stehen, sein Blick wanderte vom Gesicht des Waffenmeisters zu dem von Spinkser. »Komm, Junge«, mahnte der Gnom ruhig.
Derbe Hände schlössen sich um den unverletzten Arm des Talbewohners und zerrten ihn über die Galerie. Garet Jax folgte ihnen mit starrem kalten Blick in den grauen Augen. Jair wollte seinen Protest hinausschreien, sagen, daß sie sie doch nicht so zurücklassen konnten, doch er wußte, daß es keinen Sinn hatte. Der Entschluß stand fest. Er blickte über seine Schulter hinweg zurück zu der Stelle, wo Foraker und der Elfenprinz am Rande der Treppe warteten. Keiner schaute sich nach ihm um. Ihre Blicke ruhten auf den heranrückenden Gnomen-Jägern.