»Rom wimmelt von ihnen!« sagte Silvestre.
»Eben deshalb habe ich ihnen, nie Beachtung geschenkt.«
»Aber gerade deshalb müssen Sie ihnen Beachtung schenken!« rief Silvestre. »Ein falsches Detail an sonst vertrauter Stelle ist der beste Hinweis, daß irgend etwas nicht stimmt.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Als ich noch in der Jagd aktiv war, achtete man auf solche Dinge. Nichts entging je meiner Aufmerksamkeit.«
»Nichts, außer dieser explosiven Banane«, sagte Poletti.
»Zugegeben«, sagte Silvestre. »Dieser Bursche aus Nigeria entdeckte meine Schwäche für tropische Früchte.«
»Und ich denke, da waren auch noch einige weitere Mißgeschicke«, erinnerte Poletti ihn.
»Dessen bin ich mir sehr wohl bewußt«, sagte Silvestre würdevoll. »Das Schicksal war immer gegen mich, und darum lehre ich andere jetzt, wie sie die Fehler, die ich machte, vermeiden können. In dieser Arbeit kann ich einige bemerkenswerte Erfolge vorweisen. Aber ich fürchte, Sie kann ich dazu nicht zählen, Marcello.«
»Vielleicht nicht«, sagte Poletti unbekümmert.
»Sie haben meinen ganzen Kurs durchlaufen«, sagte Silvestre. »Und es mangelt Ihnen nicht völlig an Talent. Aber da ist etwas in Ihnen – eine innere Gleichgültigkeit, die es Ihnen unmöglich macht, sich mit Herz und Seele für die nobelste Beschäftigung des Menschen zu begeistern – für das Töten.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte Poletti. »Ich kann mich einfach nicht lange genug für eine Sache interessieren.«
»Ich fürchte, Sie haben einen ernsten charakterlichen Defekt«, sagte Professor Silvestre ernst. »Mein Junge, was soll nur aus Ihnen werden?«
»Wahrscheinlich werde ich sterben«, sagte Marcello.
»Vermutlich«, pflichtete Silvestre bei. »Aber weit wichtiger als das ist die Frage, wie Sie sterben. Werden Sie einen heldenhaften Tod sterben, wie ein Kamikaze, oder elend, wie ein in die Enge getriebenes Kaninchen?«
»Ich glaube nicht, daß das einen großen Unterschied macht«, sagte Poletti.
»Es macht einen gewaltigen Unterschied!« rief der Professor. »Wenn Sie schon nicht gut töten können, sollten Sie wenigstens gut sterben. Andernfalls werden Sie Schande über Ihre Familie, über Ihre Freunde und über Professor Silvestres Schule für Opfer-Strategien bringen. Denken Sie an unseren Slogan: ›Stirb so gut, wie du tötest!‹«
»Ich werde versuchen, daran zu denken«, sagte Poletti und stand auf.
»Mein Junge, mein Junge«, sagte Silvestre, erhob sich und legte seine rostfreie Stahlhand auf Polettis Schulter, »Ihre scheinbare Gleichgültigkeit ist nur eine Maske für den Ihnen innewohnenden Masochismus. Sie müssen nicht nur den tödlichen Jäger draußen bekämpfen, sondern auch den noch tödlicheren Gegner in Ihrem eigenen Verstand.«
»Ich werde es versuchen«, sagte Poletti und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. »Aber jetzt muß ich leider gehen…«
»Natürlich, natürlich«, sagte der Professor. »Aber erst müssen wir uns noch über meine Rechnung unterhalten. Mit der heutigen Sitzung sind es insgesamt 300000 Lire. Wenn Sie so nett wären…«
»Im Augenblick geht es leider nicht«, sagte Poletti und mußte erkennen, daß die rostfreie Stahlhand des Professors etwa einen Inch von seiner linken Halsschlagader entfernt war. »Aber sobald morgen früh die Banken aufmachen, werde ich es Ihnen holen.«
»Sie könnten mir einen Scheck schreiben«, schlug Silvestre vor.
»Unglücklicherweise habe ich keine Schecks bei mir.«
»Glücklicherweise«, sagte der Professor, »habe ich welche bei mir.«
»Traurigerweise«, sagte Poletti, »kann ich im Augenblick keine Schecks ausstellen, denn mein Geld befindet sich in einem Banksafe.«
Silvestre starrte seinen nicht sehr vielversprechenden Schüler an, dann zuckte er die Achseln und ließ seine Stahlhand sinken.
»Sehr gut«, sagte er. »Morgen. Ihr Wort darauf?«
»Mein Wort darauf«, sagte Poletti.
»Besiegeln wir’s mit einem Händedruck«, sagte der Professor und streckte seine Stahlhand aus.
»Lieber nicht«, sagte Poletti.
Der Professor lächelte und bot ihm seine gesunde Hand. Poletti schüttelte sie herzlich. Silvestres Hand zuckte zurück, und der Professor starrte auf seine Handfläche. In ihrer Mitte befand sich ein Blutstropfen.
»Sehen Sie?« sagte Marcello und zeigte ihm einen glitzernden kleinen Dorn, den er in seiner Handfläche befestigt hatte. »Wie Sie gesagt haben: Das falsche Detail an sonst vertrauter Stelle. Wenn ich diesen Dorn nun in Curare getaucht hätte…«
Gutmütig kichernd ging er zur Tür.
Silvestre setzte sich auf seinen Hocker und saugte an der Wunde in seiner Hand. Er fühlte sich unglücklich. Trotz seiner kleinen Tricks stand Marcello Poletti schon mit einem Bein auf dem Friedhof. Aber dann rief er sich ins Gedächtnis, daß das bei allen Menschen der Fall war; während er, Professor Silvestre, höchstwahrscheinlich auf dem Schrottplatz enden würde.
8
Im Borgia-Ballsaal des Rom Hilton probte Caroline mit den Roy Bell Dancers die Tanznummer, die nach der Tötung geplant war. Es herrschte völlige Stille, die gelegentlich von einem Ausruf wie diesem unterbrochen wurde: »Ich habe gesagt das rosa Spotlight, du hirnloser, inkompetenter Volltrottel, nicht die weißen Deckenstrahler!«
Martin, Chet und Cole saßen in der ersten Reihe des hastig aufgebauten kleinen Theaters und kniffen sich verständnisvoll in ihre Oberlippen. Sie konnten sehen, daß Caroline keine Pavlova war; aber sie brauchte auch keine Pavlova zu sein. Ihren (beträchtlichen) Mangel an tänzerischer Begabung machte sie durch ihre (mehr als beträchtliche) weibliche Anziehungskraft wett. Die Roy Bell Dancers stellten gekonnt die verschiedenen Aspekte der Weiblichkeit dar; aber Caroline brauchte nichts darzustellen – sie war die Weiblichkeit in Person. Manchmal erinnerte sie an eine Vampirin, manchmal an eine Walküre. Ihr großer, geschmeidiger Körper schien einfach zu keiner unbeholfen wirkenden Bewegung fähig zu sein, und ihr langes, blondes Haar strömte an ihren Schultern herab wie eine gefährliche, lodernde Flamme der Verheißung.
»Sie ist keine sehr begabte Tänzerin«, sagte Martin, »aber sie ist durch und durch Frau.«
Chet nickte. »Es ist erstaunlich. Manchmal erinnert sie an eine Vampirin, manchmal an eine Walküre.«
»Das stimmt«, sagte der junge Cole und nahm die Finger von seiner Oberlippe. »Und habt ihr bemerkt, daß ihr großer, geschmeidiger Körper einfach zu keiner unbeholfen wirkenden Bewegung fähig zu sein scheint, und daß ihr langes, blondes Haar an ihren Schultern herabströmt wie eine gefährliche, lodernde Flamme der Verheißung?«
»Halt die Klappe«, sagte Martin, der sieh noch immer in die Oberlippe kniff. Er war drauf und dran gewesen, das selbst zu sagen, und er haßte es, wenn Untergebene ihm das Wort aus dem Mund nahmen. Er beschloß, daß er Cole zusammen mit Chet feuern würde. Martin konnte Klugscheißer nicht ausstehen.
Der Tanz war zu Ende. Ein wenig außer Atem verließ Caroline die Bühne und ließ sich in einen Sitz neben Martin gleiten.
»Nun?« fragte sie. »Wie war ich?«
Die drei Männer gaben anerkennend Laute von sich, wobei der lauteste und entscheidendste von Martin kam, der so seiner Rolle als Chef Rechnung trug.
»Und ist am Colosseum alles für morgen früh vorbereitet?« fragte sie.
»Alles, von vorne bis hinten«, versicherte Martin ihr. »Scheinwerfer, Bühnen, automatische Mikrofone, fünf aktive Kameras und zwei in Reserve. Wir haben sogar ein spezielles Richtmikrofon, mit dem wir das Todesröcheln des Opfers aufnehmen können.«
»Dann ist ja alles okay«, sagte Caroline. Sie grübelte einen Augenblick, und ihr vielgestaltiges Gesicht wandelte sich von dem einer Vampirin oder Walküre in das von Diana, der Jagdgöttin. »So, dann zeigt mir mal eure Fotos von diesem Poletti.«