»Ich heiße Caroline Meredith«, sagte Caroline überaus geistreich.
»So?« fragte Poletti, ohne von seinem Heft aufzublicken.
Caroline war eine solche Behandlung nicht gewöhnt; sie nagte auf sehr reizende Weise an ihrer Unterlippe und kämpfte weiter.
»Haben Sie heute abend schon etwas vor?« fragte sie.
»Heute abend bin ich wahrscheinlich tot«, sagte Poletti. Er zog eine Karte aus der Tasche und reichte sie ihr hinüber, blickte dabei aber noch immer nicht von seinem Comicheft auf.
Auf der Karte stand: Vorsicht! Ich bin ein Opfer! Es war die allgemein übliche Warnung, gedruckt in sechs Sprachen.
»Gütiger Himmel!« sagte Caroline mit ergötzlicher Stimme.
»Ein Opfer, und trotzdem sitzen Sie da so völlig ohne Deckung! Das ist aber sehr mutig!«
»Ich kann sonst nichts tun«, sagte Poletti. »Ich habe nicht genug Geld, um eine Verteidigung zu organisieren.«
»Können Sie nicht Ihr Mobiliar verkaufen?« schlug Caroline vor.
»Das ist schon gepfändet«, sagte Poletti. »Ich konnte die Raten nicht mehr bezahlen.« Er blätterte um und fing an zu grinsen.
»Aber, gütiger Himmel«, sagte Caroline, »es muß doch einfach eine Möglichkeit geben…«
Sie brach abrupt ab, als in der Cafeteria plötzlich Aufregung entstand. Ein rattengesichtiger kleiner Mann war hereingestürmt, hatte das Lokal durchquert und war mit dem Rücken zur Wand stehengeblieben. Sekundenbruchteile später betrat ein zweiter Mann die Cafeteria. Er war sehr groß und dünn, und sein schmales, hartes Gesicht hatte die Farbe eines peruanischen Sattels.
Er trug einen großen weißen Hut, ein schwarzes Halstuch, eine Wildlederweste, Levi’s-Jeans und Stiefel aus Rindsleder. Um die Hüften trug er außerdem einen Pistolengürtel mit zwei Colts.
»Also, Blackie«, sagte der dünne Mann mit verdächtig sanfter Stimme, »ich denke, daß wir uns nun wieder gegenüberstehen.«
»Stimmt«, entgegnete der rattengesichtige Mann. Sein Schnurrbart zitterte, und die Furcht stand ihm in seinem häßlichen Gesicht geschrieben.
»Ich denke auch«, sagte der dünne Mann, »daß wir diese kleine Meinungsverschiedenheit nun ein für allemal regeln sollten.«
Caroline, Poletti und die anderen Gäste verkrochen sich sofort unter den Tischen.
»Da gibt es nichts zu regeln, Duke«, stammelte der rattengesichtige Mann. »Bestimmt, ich schwöre es dir.«
»Im Ernst?« erwiderte der schmalgesichtige Duke immer noch verdächtig sanft, wodurch sich nun niemand mehr täuschen ließ. »Nun, Blackie, vielleicht haben wir beide nicht die gleiche Vorstellung von Recht und Gesetz. Ich jedenfalls bin so altmodisch, daß ich es übelnehme, wenn man mir eine Eisenbahn quer durch mein bestes Weideland baut, und ein mieser, schurkiger Bankier aus dem Osten mir mein Mädchen ausspannt, und ich beim Pharao um mein ganzes Geld betrogen werde. So denke ich darüber, Blackie, und jetzt wird abgerechnet.«
»Warte!« rief Blackie verzweifelt. »Ich kann dir alles erklären!«
»Das kannst du dir sparen«, sagte Duke. »Du angeberischer, verlogener, feiger Halunke – zieh!«
»Duke, bitte, ich habe doch gar keine Waffe!«
»Dann werde eben nur ich ziehen«, sagte Duke gnadenlos. Seine rechte Hand glitt hinunter zu seinem Colt. In diesem Augenblick erholte sich der Barmann von seinem Schreck und rief: »Nein, nein, das dürfen Sie nicht tun, Sir!«
Duke wandte sich ihm zu und sagte verdächtig sanft: »Sonny, ich rate dir, deine Nase nicht in fremder Leute Angelegenheiten zu stecken; sonst wird sie dir womöglich von einem aufgebrachten Bürger weggeschossen.«
»Ich will mich wirklich nicht einmischen, Sir«, sagte der Barmann. »Ich möchte Sie lediglich darauf hinweisen, daß Mord unter diesen Umständen illegal ist.«
»Nun paß mal auf, Bürschchen«, sagte der hochgewachsene Fremde, »ich bin offiziell anerkannter Jäger, und dieses vor Angst schlotternde Stinktier dort ist mein offiziell anerkanntes Opfer. Es war nicht ganz einfach, die Sache so hinzubiegen, aber die Papiere sind alle legal. Also halt dich besser aus der Schußlinie.«
»Sir, bitte!« rief der Barmann. »Ich wollte keinesfalls Ihre Legitimation in Zweifel ziehen. Jeder kann sofort sehen, daß Sie unbestreitbar das Recht zu töten haben. Aber unglücklicherweise gilt hier ein generelles Verbot für alle Tötungen, legale und andere.«
»Heiliger Strohsack«, sagte Duke. »Erst durfte man nicht in Kirchen töten, dann verboten sie es auch in Restaurants, dann kamen die Frisiersalons an die Reihe, und jetzt Imbißstuben. Es kommt noch so weit, daß ein Mann ebensogut zu Hause an Altersschwäche sterben kann.«
»Ganz so schlimm ist es wohl noch nicht«, sagte der Barmann beschwichtigend.
»Vielleicht nicht, Söhnchen, aber es kommt noch so weit. Du hast doch gewiß nichts dagegen, wenn ich dieses Stinktier hinter dem Haus ins Jenseits befördere?«
»Es wäre uns eine Ehre, Sir«, sagte der Barmann.
»Okay«, sagte Duke grimmig. »Blackie, du darfst noch ein letztes Gebet sprechen, bevor… He! Wohin ist Blackie verschwunden?«
»Er ging, während Sie sich mit dem Barmann unterhielten«, sagte Poletti.
Duke schnalzte verächtlich mit den Fingern. »Er ist ein gerissener Halunke, dieser Blackie, aber ich erwische ihn schon noch.«
Er drehte sich um und stürzte zur Tür. Alle Gäste nahmen ihre Plätze wieder ein. Poletti fuhr fort, in seinem Comicheft zu lesen, Caroline fuhr fort, Poletti zu beobachten. Der Barmann fuhr fort, Martinis einzuschenken.
Polettis Telefon klingelte. Er gab Caroline mit einer vagen Handbewegung zu verstehen, daß sie für ihn an den Apparat gehen sollte. Befriedigt und stolz, daß sie wenigstens diesen Grad von Vertrautheit mit ihrem merkwürdigen Opfer erreicht hatte, nahm Caroline den Hörer ab.
»Hallo? Einen Moment bitte.« Sie wandte sich Poletti zu. »Es ist für Marcello Poletti. Sind Sie das?«
Poletti blätterte die letzte Seite seines Comicheftes um und fragte: »Ist es ein Mann oder eine Frau?«
»Eine Frau.«
»Dann sagen Sie ihr, daß ich eben gegangen bin.«
Caroline sagte in die Sprechmuscheclass="underline" »Tut mir leid, er ist eben gegangen. Ja, richtig, er ist nicht da. Was soll das heißen, ich lüge? Warum sollte ich Sie denn anlügen? Was? Wie ich heiße? Mein Name tut hier nichts zur Sache. Wie heißen Sie denn? Was haben Sie gesagt? Unverschämtheit! Auf Wiederhören! Was? Ja, wirklich, er ist wirklich eben gegangen.«
Empört legte sie auf und drehte sich zu Poletti um. Sein Stuhl war leer.
»Wo ist er denn!« fragte sie den Barmann.
»Er ist eben gegangen«, sagte der Barmann.
13
Poletti fuhr einen Buick-Olivetti XXV, den er sich von dem großzügigen Neffen des Freundes der Schwester eines Freundes geborgt hatte. Er haßte den Wagen, denn er war fuchsienfarben lackiert, eine Farbe, bei der Poletti immer an Typhus denken mußte. Leider war er der einzige Wagen gewesen, den er im Augenblick auftreiben konnte.
Zwei Meilen außerhalb Roms hielt er an einer Tankstelle. Mit vornehmer Geste bedeutete er dem Tankwart, er möge volltanken, dann öffnete er die Tür und stieg aus.
Er hörte lautes Bremsenquietschen, drehte sich um und sah, wie ein mokkafarbener Lotus auf ihn zubrauste. Poletti erstarrte. Er wußte nicht, wohin er springen sollte, wenn er überhaupt imstande gewesen wäre zu springen.
Der Lotus beschrieb um Poletti herum eine perfekte Immelmann-Kehre und stoppte. Caroline stieg aus. Ihr Moschusparfüm drang durch den beißenden Gestank verbrannten Gummis.
»Hallo«, sagte sie.
Es gab viele mögliche Erwiderungen auf eine solche Äußerung, aber Poletti benutzte keine davon. Statt dessen sagte er schroff: »Warum folgen Sie mir? Was wollen Sie?«