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»Sterne sind hübsch«, sagte Caroline. Das war eine jener Äußerungen, die Poletti normalerweise banal gefunden hätte, die ihm aber nun reizend vorkamen.

»Ja, ich glaube, sie sind hübsch«, erwiderte er. »Ich meine, es ist hübsch, sie jeden Abend am Himmel zu sehen.«

»Ja«, sagte Caroline. »Es ist sehr hübsch.«

»Es ist wirklich hübsch«, pflichtete Poletti ihr bei. Dann faßte er sich und sagte: »Hören Sie, wir sind doch nicht hierhergekommen, um über die Sterne zu reden. Was wollen Sie wirklich?«

Caroline antwortete nicht sofort. Sie schaute nachdenklich hinaus aufs Meer. Eine lange Strähne blonden Haares war über ihre Wange gefallen, umrahmte und verschönte ihre makellosen Gesichtszüge. Träumerisch hob sie eine Handvoll Sand auf und ließ ihn durch ihre langen, schlanken Finger gleiten; und obwohl Poletti ein Zyniker war, spürte er einen sentimentalen Schmerz tief in seiner Seele. Absurderweise erinnerte er sich an ein kleines, strohgedecktes Haus in den Hügeln oberhalb Perugias und an eine dicke, grauhaarige, lächelnde Frau, die in der weinumrankten Tür stand und einen irdenen Krug in der Hand hielt. Er hatte diese mütterliche Figur nur ein einziges Mal gesehen, auf einer Postkarte, die Vittorio ihm geschickt hatte. Damals hatte das Bild keinen Eindruck auf ihn gemacht; aber jetzt…

Caroline sah ihn an, und ihre großen, violetten Augen reflektierten das rosige Glimmen des Abendrots. Poletti zitterte, obwohl die Temperatur in Seehöhe 78° Fahrenheit betrag und ein schwüler Wind mit fünf Meilen pro Stunde aus südwestlicher Richtung wehte.

»Ich will Sie kennenlernen«, sagte Caroline einfach.

Poletti schaffte es, zu lachen. »Mich! Ich bin ein sehr durchschnittlicher Mann und führe ein sehr typisches Leben.«

»Erzählen Sie mir aus Ihrem Leben«, sagte Caroline.

»Da gibt es wirklich nicht viel zu erzählen«, sagte Poletti; aber dann hörte er sich selbst über seine Kindheit reden, über sein erstes, noch knabenhaftes Experimentieren mit Mord und Sex; über seine Konfirmation und seine Zeit als junger Mann; über seine Verliebtheit in die heitere, optimistische Lidia – eine Verliebtheit, die durch ihre Heirat in ein Crescendo der Langeweile verwandelt worden war; über seine Begegnung und sein späteres Zusammenleben mit Olga, bei der ihm erst viel zu spät klar wurde, daß ihre hektische Wildheit auf eine angeborene Labilität zurückzuführen war und nicht auf eine leidenschaftliche charakterliche Unabhängigkeit.

Caroline war sich sofort bewußt, daß die Erfahrung Poletti nur jenen bitteren Nachgeschmack der Freude gebracht hatte, der den Namen Enttäuschung trägt. Vergnügen, die ihm in seiner Jugend einzigartig und unerreichbar erschienen waren, hatten sich, nachdem sie frei zugänglich geworden waren, als endlos und ermüdend wiederholbar entpuppt. Aus dieser grämlichen Einsicht heraus hatte er sich in jenen zivilisierten grauen Mantel der Langeweile gehüllt, den manche für das genaue Gegenstück zum bunten Kleid der Hoffnung halten. Es war traurig, dachte sie; aber bestimmt nicht hoffnungslos.

»Und das ist alles, mehr ist da nicht zu berichten«, sagte Poletti ein bißchen abwehrend. Er merkte, daß er geplappert hatte wie ein dummer, kleiner Junge. Aber streng rief er sich ins Gedächtnis, daß es keine Rolle spielte, daß es ihm egal war, was Caroline von ihm dachte.

Caroline schwieg. Sie war ihm zugewandt, ihr Gesicht war in der Dunkelheit verborgen und geheimnisvoll, ein blasser Kranz aus Sternenlicht umrahmte ihr Haar. Sie beugte sich fast unmerklich näher zu ihm, und die lieblichen Rundungen ihres Körpers und ihr mehr erahntes als sichtbares Gesicht ließen sie eher archetypisch als individuell erscheinen. Möglicherweise war sie eine große Schönheit; aber die Dunkelheit machte sie in Polettis Fantasie noch schöner.

Er bewegte sich unruhig. Er rief sich ins Gedächtnis, daß die Enttäuschungen, wegen ihrer ganz speziellen Einstellungen, besonders anfällig für den Mythos der Romanze sind. Er zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Wir sollten jetzt besser gehen.

Wir könnten ja noch irgendwo eine Kleinigkeit trinken.«

Seine nüchternen Worte sollten den Zauberbann brechen. Doch das mißlang, denn Algol funkelte noch immer am südlichen Himmel. Caroline sagte mit einer Stimme, die kaum lauter war, als das Flüstern der Wellen: »Marcello, ich glaube, ich liebe dich.«

»Werden Sie nicht albern«, sagte Poletti. Er versuchte des Freudentaumels, der sich seiner zu bemächtigen drohte, Herr zu werden, indem er Ärger zeigte.

»Ich liebe dich«, sagte sie.

»Vergessen Sie’s«, sagte Poletti. »Diese Strand-Szenerie ist sehr romantisch, aber wir sollten uns davon zu nichts hinreißen lassen.«

»Dann liebst du mich also auch?«

»Das spielt keine Rolle«, sagte Poletti ihr. »Im Augenblick könnte ich beinahe alles sagen, und es auch glauben – aber eben nur jetzt in diesem Augenblick. Caroline, die Liebe ist ein wundervolles Spiel, das als Spaß beginnt und vor dem Traualtar endet.«

»Ist das denn so schlimm?«

»Ja, nach meinen Erfahrungen ist es tatsächlich sehr schlimm«, sagte Poletti. »Die Ehe tötet die Liebe. Ich werde Sie niemals heiraten, Caroline. Ich werde überhaupt niemals wieder heiraten. Für mich ist die ganze eheliche Institution eine Farce, eine Karikatur menschlicher Beziehungen, ein böser Spiegeltrick, eine absurde, selbstgebaute Falle…«

»Warum redest du so viel?« fragte Caroline ihn.

»Ich bin von Natur aus redselig«, sagte Poletti. Es schien auf einmal ganz natürlich, daß er Caroline in seinen Armen hielt. »Ich liebe dich sehr«, sagte er zu ihr. »Ich bete dich an, Caroline, gegen all mein besseres Wissen.«

Er küßte sie, behutsam zunächst, dann mit wachsender Leidenschaft. Er spürte, daß er sie tatsächlich liebte, und das überraschte ihn, machte ihn zugleich fröhlich und traurig. Denn die Liebe, wie er sie kannte, war eine Verirrung, eine vorübergehende Geisteskrankheit, ein kurzlebiger Zustand der Autosuggestion.

Die Liebe war ein Zustand, den ein weiser Mann klug vermied. Aber Poletti hatte sich selbst nie für weise gehalten, und Klugheit war nicht gerade eine seiner Tugenden. Er war auf schamlose Weise genußsüchtig, was, für sich betrachtet, auch eine mögliche Form von Weisheit war. Oder jedenfalls hoffte er das.

16

Im Colosseum herrschte tiefste Nacht; eine schwarze und unbarmherzige Nacht, die wie Seetang an den alten Mauern klebte und die nur von einigen Scheinwerfern durchbrochen wurde, die den Platz taghell erstrahlen ließen.

Tief unten, auf dem ebenen, Blut trinkenden Sand, standen ein halbes Dutzend Kameramänner bei ihren Kameras. Die Roy Bell Dancers ruhten sich auf einer Bühne am linken Rand von ihrer letzten Probe aus und unterhielten sich darüber, was man am besten gegen brüchige Haarspitzen unternahm. Nicht weit von ihnen saß Martin in einem Bus, der mit Kontrollinstrumenten vollgepackt war, und prüfte ein letztes Mal die Einstellwinkel der Kameras. Er hatte den Borghia-Ballsaal verlassen und seine Kommandozentrale hierher verlegt. Eine dünne, schwarze Zigarette steckte zwischen seinen Zähnen. Ab und zu hob er die Hand und rieb seine tränenden Augen.

Chet saß hinter ihm vor einem kleinen Tisch. Daran, daß er Solitär spielte, konnte man ablesen, unter welcher nervlichen Anspannung er stand.

Cole saß direkt hinter Chet. Daran, daß er unbehaglich in seinem Stuhl döste, konnte man ablesen, unter welcher nervlichen Belastung er stand. Er wachte plötzlich auf, rieb sich seine tränenden Augen und sagte: »Wo ist sie? Warum meldet sie sich nicht?«