»Nur die Ruhe, Junge«, sagte Martin, ohne sich umzublicken. Daran, daß er nun schon zum vielleicht hundertsten Mal zwanghaft die Einstellwinkel der Kameras überprüfte, konnte man ablesen, daß auch er nicht ganz von den Ängsten anderer, geringerer Menschen, verschont blieb.
»Aber sie müßte sich inzwischen gemeldet haben!« sagte Cole. »Glaubst du…«
»Ich glaube gar nichts«, sagte Martin und wies Kamera 3 an, 1 2/3 Inch zurückzufahren.
»Schwarze Zehn auf Roten Buben«, sagte Cole zu Chet.
»Würdest du dich freundlicherweise aus meinen Privatangelegenheiten heraushalten?« sagte Chet ruhig, aber doch mit einer gewissen Gewaltandrohung in der Stimme.
»Sachte, Jungs«, sagte Martin leise. Als geborene Führerpersönlichkeit spürte er instinktiv, wann ein beschwichtigendes Wort angebrachter war als ein wütender Befehl. Seelenruhig wies er Kamera 1 an, um 1 3/4 Grad abzuschwenken.
»Aber sie müßte sich inzwischen gemeldet haben!« sagte Cole. »Sie hat sich nicht mehr gemeldet, seit sie am Sonnenuntergangs-Strand eingetroffen ist. Das war vor sechs oder sieben Stunden! Sie hat auf keinen unserer Funksprüche geantwortet. Inzwischen können die schlimmsten Dinge passiert sein – die schlimmsten Dinge, das sage ich dir! Glaubst du…«
»Reiß dich zusammen«, sagte Martin kalt.
»Tut mir leid«, sagte Cole, hob seine zittrigen Hände vors Gesicht und rieb sich die schmerzenden Augen. »Es ist die Anspannung, das Warten… es ist gleich vorüber. Wenn die Aktion erst einmal anläuft, bin ich okay.«
»Bestimmt, Junge«, sagte Martin. »Das Warten macht uns allen zu schaffen.« Er bellte in sein Mikrofon: »Halten Sie diesen Winkel, Kamera 1, und schwenken Sie genau einen halben Inch aufwärts; und, verdammt noch mal, schwenken Sie langsam!«
»Rote Zwei auf schwarze Drei«, sagte Cole zu Chet.
Chet antwortete nicht. Er war fest entschlossen, Cole umzubringen, sofort nachdem er Martin entlassen hatte. Er war darüber hinaus entschlossen, auch Mr. Fortinbras und Caroline umzubringen, und seinen Schwager in Kansas City, Missouri, der ihn immer mit den Worten begrüßte: »Na, wie geht’s denn dem alten Schmalspurfilmer?« Und auch…
Die Tür des Busses öffnete sich, und Caroline kam herein.
»Hallo, Leute«, sagte sie fröhlich.
»Hallo, Mädchen«, sagte Martin beiläufig. »Wie ist es gelaufen?«
»Wie geschmiert«, antwortete Caroline. »Ich habe ihn abgepaßt und mit ihm geredet, und er ist mit dem Interview morgen einverstanden.«
»War es sehr schwierig?« fragte Chet ruhig.
»Nö. Es war nicht viel Überzeugungskraft nötig. Er sieht das Ganze sehr geschäftsmäßig. Fünfhundert als Anzahlung, fünfhundert morgen früh, bevor das Interview anfängt.«
»Prima, toll, großartig«, sagte Martin. »Aber was hast du danach gemacht? Ich meine, du hast dich über fünf Stunden nicht gemeldet, und wir haben uns natürlich Sorgen gemacht.«
»Nun«, sagte Caroline, »ich wollte gehen, aber dann dachte ich mir, daß ich mir vielleicht noch ein etwas besseres Urteil über ihn bilden sollte. Also ging ich zurück und bat ihn, mit mir etwas trinken zu gehen, und dann gingen wir an diesen wunderschönen kleinen Strand und redeten und schauten uns die Sterne an.«
»Das ist fein.« Martin lächelte. An seinem linken Auge zuckte es nervös. »Und zu welchem Urteil bist du gekommen, hmmmm?«
»Er ist ein wunderbarer Mann«, sagte Caroline träumerisch. »Aber, weißt du, er versucht seit zwölf Jahren seine Ehe annullieren zu lassen, und während dieser ganzen Zeit hat er mit dieser Verrückten namens Olga zusammengelebt, und jetzt, wo er seine Scheidung endlich durchhat, will er Olga nicht heiraten.«
»Das ist ja sehr interessant«, sagte Martin.
»Ja, er will sogar überhaupt niemanden mehr heiraten«, sagte Caroline. »Er will noch nicht einmal mich heiraten.«
Chet setzte sich so abrupt auf, daß seine Karten durcheinanderflogen. »He, was soll das denn heißen?« fragte er.
»Man könnte es vielleicht Liebe nennen«, sagte Caroline.
»Wassolldasheißen, Liebe?« fragte Chet. »Dein Vertrag verbietet es dir ausdrücklich, dich während der Dauer deiner zehnten Jagd zu verlieben, und er verbietet dir insbesondere, dich in dein Opfer zu verlieben.«
»Liebe«, sagte Caroline kühl, »existierte schon lange, bevor es Verträge gab.«
»Verträge«, sagte Martin boshaft, »lassen sich aber wesentlich besser durchsetzen als Liebe. Nun hör mal, Baby, du wirst uns doch keinen Ärger machen, nicht wahr?«
»Ich glaube nicht«, sagte Caroline. »Er sagte, daß er mich auch liebt… Aber wenn er mich nicht heiraten will, ist es wohl besser, er ist tot.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte Martin. »Vergiß das nie, okay, Mädchen?«
»Ich werde es schon nicht vergessen«, sagte Caroline kalt. »Aber, glaubst du…«
»Ich glaube gar nichts«, sagte Martin. »Hör mal, wir machen jetzt alle ein Nickerchen, damit wir morgen frisch und ausgeruht für die Tötung sind. Okay? Okay.«
Alle waren einverstanden. Martin erteilte Anweisungen, und die Scheinwerfer erloschen. Die Kameramänner und die Tänzerinnen gingen. Zuletzt gingen Martin, Chet, Cole und Caroline, stiegen in den Roadrunner XXV, den Martin gemietet hatte, und fuhren in ihr Hotel.
17
Schwarze und undurchdringliche Nacht lag über dem Colosseum. Die Finsternis wurde nur hin und wieder von einem durch die Wolken blinzelnden, gehörnten und buckligen Mond durchbrochen. Stille sickerte durch die alten Gemäuer, und die Vorahnung des herannahenden Todes stieg wie ein unsichtbares Miasma aus dem blutgetränkten Sand auf.
Dann trat Poletti aus einem der Bogengänge. Sein Gesicht war finster und wütend. Hinter ihm kam Gino.
»Nun?« fragte Poletti.
»Es ist völlig klar«, sagte Gino. »Sie ist dein Jäger. Da besteht kein Zweifel.«
»Natürlich nicht. Das wurde mir schon klar, als sie mir an den Strand folgte. Das hier ist nur die Bestätigung meines Verdachts. Eine große Tötung mit jeder Menge Publicity – ganz im amerikanischen Stil!«
»Ich habe gehört, daß sie es oben in Mailand jetzt auch so machen«, sagte Gino. »Und dann natürlich die deutschen Jäger, besonders im Ruhrgebiet…«
»Weißt du, was sie mir heute gesagt hat?« fragte Poletti. »Sie hat mir erzählt, daß sie mich liebt. Und dabei hat sie die ganze Zeit über vorgehabt, mich zu töten.«
»Die Ehrlosigkeit der Frauen ist sprichwörtlich«, sagte Gino. »Was hast du ihr gesagt?«
»Natürlich habe ich ihr gesagt, daß ich sie auch liebe«, sagte Poletti.
»Stimmt das denn?«
Poletti dachte lange nach. Dann sagte er: »Es ist seltsam, aber sie ist wirklich sehr liebenswert. Sie ist ein guterzogenes, in mancher Beziehung sehr schüchternes Mädchen.«
»Sie hat neun Menschen getötet«, erinnerte Gino ihn.
»Das kann man ihr nicht zum Vorwurf machen«, sagte Marcello. »Dabei handelt es sich doch bloß um eine Zeiterscheinung.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Gino. »Aber was willst du jetzt tun, Marcello?«
»Ich werde mich verteidigen, genau wie ich es geplant hatte«, sagte Poletti. »Das einzige Problem ist noch, ob Vittorio rechtzeitig die Werbetrommel für mich rührt.«
»Du hast ihm nicht viel dabei geholfen«, sagte Gino.
»Das ließ sich nicht machen«, sagte Poletti. »Er müßte es trotzdem schaffen, ein oder zwei Sponsoren aufzutreiben.«
»Er wird bestimmt etwas arrangieren«, pflichtete Gino ihm bei. »Aber, Marcello, was ist, wenn sie merkt, das du ihr auf die Schliche gekommen bist? Sie hat eine große Organisation im Rücken, Geld, Macht… Vielleicht solltest du sie einfach bei der ersten sich bietenden Gelegenheit töten und kein Risiko eingehen.«
Poletti zog einen Revolver aus der Jackentasche, überprüfte die Ladung und steckte ihn wieder weg.