»Was passierte mit ihr?« fragte Fortinbras.
»Sie wurde leichtsinnig. Ein Opfer erwischte sie bei ihrer zehnten Jagd. Er benutzte eine mit Vogelfutter gefüllte Schrotflinte.«
»Keine besonders tödlich klingende Waffe«, kommentierte Fortinbras.
»In diesem Falle tödlich genug«, sagte Chet. »Der Schuß wurde aus einer Entfernung von zirka zwei Inches abgefeuert.«
»Wir wollen auf keinen Fall, daß Sie leichtsinnig werden, Caroline«, kicherte Mr. Fortinbras.
»Nein, Sir, das will ich auch auf keinen Fall«, sagte Caroline.
»Andernfalls könnten Sie plötzlich ohne Job dastehen«, sagte Fortinbras in einem mißglückten Versuch, witzig zu sein.
»Ich könnte auch plötzlich ohne Leben dastehen«, entgegnete Caroline. Carolines Schlagfertigkeit löste allgemeine Heiterkeit aus. Als das Lachen zu einem Kichern geschrumpft war, wandte sich Fortinbras den geschäftlichen Dingen zu.
»Okay, Kinder«, sagte er, »trefft eure Reisevorbereitungen und seht zu, daß die Sache glatt über die Bühne geht. Wir haben übermorgen noch eine halbe Stunde Sendezeit frei, vormittags von zehn bis halb elf, also werden wir es dann live ausstrahlen. Das gibt eine tolle Show, he he. Ihr Jungs wißt ja, welchen Ton ihr anschlagen müßt; todernst, aber trotzdem locker präsentiert. Gebt euch nicht mit Hindergrundberichten ab. Beschränkt euch auf imposante, tolle Bilder von der Tötung selbst und bringt Humor und Würde hinein. Martin weiß schon, was ich meine, nicht wahr?«
»Ich glaube, ich kann es mir denken, Sir«, sagte Martin. Er besorgte seit drei Jahren, seit er Erster Verantwortlicher Produktionsassistent war, das Denken für Fortinbras. Er rechnete fest damit, im nächsten Jahr so weit zu sein, daß er Fortinbras’ Position übernehmen konnte.
Unbestreitbar war Fortinbras dumm; aber er war nicht strohdumm. Er beabsichtigte, Martion unmittelbar nach dieser Produktion zu feuern. Aber das war sein privates kleines Geheimnis, über das er mit niemanden sprach, nicht einmal mit seinem Analytiker.
5
Die Jagdbehörde in Rom war ein riesiges, modernes Gebäude in einem pseudo-romantischen Stil mit gotischen Obertönen. Marcello Poletti, der gestern den Baron von Richtoffen ins Jenseits befördert hatte, stieg die breiten, weißen Stufen hinauf. Mehrere finstere, ganz in Schwarz gekleidete Gestalten lösten sich von der Balustrade und umringten ihn.
»He, Mister, wollen Sie einen Metall-Detektor kaufen, der in jede Hosentasche paßt?«
»Der nützt nichts gegen eine Plastik-Pistole«, sagte Marcello.
»Glücklicherweise«, sagte ein zweiter, »habe ich auch einen Detektor für Plastik anzubieten.«
Poletti lächelte schwach, zuckte die Achseln und ging weiter.
Ein dritter Mann sagte: »Entschuldigung, Sir, aber Sie sehen wie jemand aus, der einen guten Späher gebrauchen kann.«
Poletti schüttelte den Kopf und eilte weiter die Stufen hinauf.
»Aber Sie brauchen einen Späher«, bohrte der Mann weiter. »Wie wollen Sie Ihren Jäger ohne die Hilfe eines ausgebildeten Spähers identifizieren? Ich habe mein Diplom in Palermo und meine Leistungsprüfung in Bologna gemacht und besitze außerdem Empfehlungschreiben vieler dankbarer Klienten.«
Er wedelte Poletti mit einem Bündel zerfledderter Papiere vor der Nase herum. Poletti murmelte eine Entschuldigung und tauchte unter dem Papierbündel weg. Er erreichte die großen Bronzetüren der Behörde, und die schwarzgekleideten Männer trotteten mit hängenden Schultern wieder zu ihren Plätzen entlang der äußeren Balustrade.
Poletti ging über geschäftige Flure und eilte an verstaubten Jagdwaffen, an Weltkarten, auf denen Zentren des Jagd-Spiels eingezeichnet waren, und an Reisegruppen und Schulklassen, denen schlecht rasierte Führer in verschlissenen Uniformen die Geschichte des Jagd-Spiels erklärten. Schließlich kam er zu dem Büro, zu dem er wollte.
Wie ein Geschoß sein Ziel trifft, bewegte sich Poletti in einer geraden, flachen Flugbahn und mit beträchtlicher Geschwindigkeit auf einen Tisch zu, der die Aufschrift AUSZAHLUNGEN trug. Hinter dem Tisch saß der Auszahlungsbeamte, ein Mann, den man extra wegen seines steifen, grimmigen, unnachgiebigen Benehmens und auch wegen seiner gekrümmten Schultern, seines dürren Halses und seiner Nickelbrille für diesen Job ausgesucht hatte.
»Ich komme, um mein Preisgeld abzuholen«, sagte Poletti und gab dem Beamten seinen Ausweis. »Vielleicht haben Sie schon davon gehört, wie ich Baron Richtoffen bei dem Reitturnier in die Luft gesprengt habe. Es steht alles in den Zeitungen.«
»Ich lese keine Zeitung«, sagte der Beamte. »Und ich interessiere mich auch nicht für Radrennen, Fußballspiele oder Jagden. Wie, sagten Sie, ist Ihr Name?«
»Poletti«, sagte Poletti ein wenig niedergeschlagen. Er buchstabierte seinen Namen.
Der Beamte wandte sich seinem Aktenschrank zu, in dem alle Jäger und Opfer des Bezirks Rom aufgelistet waren. Mit geübten Beamtenfingern überflog er die Karten und zog Marcellos Karte heraus, wie ein Huhn ein Korn aufpickt.
»Ja«, sagte der Beamte endlich, nachdem er Polettis Foto auf der Akte mit Polettis Foto in Polettis Ausweis, und dann beide Fotos mit dem echten (oder angeblich echten) Poletti, der vor ihm stand, verglichen hatte.
»Ist alles in Ordnung?« fragte Marcello.
»Völlig in Ordnung«, sagte der Beamte.
»Bekomme ich dann jetzt mein Preisgeld?«
»Nein. Es wurde bereits beansprucht.«
Poletti schaute einen Moment drein, als habe ihn eine Viper gebissen. Aber er faßte sich schnell wieder und fragte: »Wer hat es kassiert?«
»Ihre Frau, Signora Lidia Poletti. Sie ist doch Ihre Frau, nicht wahr?«
»Sie war es«, sagte Marcello.
»Sind Sie geschieden?«
»Die Ehe wurde vor zwei Tagen annulliert.«
»Es dauert eine Woche, manchmal zehn Tage, bis Änderungen im Familienstand dieses Büro erreichen. Sie könnten natürlich Beschwerde einreichen.«
Der Beamte lächelte ein blasiertes kleines Lächeln, um zu zeigen, wie er Polettis Chancen einschätzte, jemals sein Geld zurückzuerhalten.
»Ist nicht so tragisch«, sagte Poletti, drehte sich um und ging hinaus. Gegenüber einem Beamten zeigt man seine Gefühle nicht; aber genau wie ein Beamter braucht man Geld, wahrscheinlich noch viel dringender. Diese Lidia! Wenn es um Geld ging, war sie schnell wie eine Rakete.
Draußen vor der Behörde überquerte Marcello gerade die Straße, als zu seiner Überraschung ein schönes, blondes Mädchen auf ihn zurannte, die Arme um seinen Hals schlang und ihn leidenschaftlich küßte. So etwas passierte einem nicht gerade alle Tage; und wie üblich, wenn es passierte, passierte es im falschen Augenblick, und er war nicht in der richtigen Stimmung.
Er wollte sich losmachen; aber das Mädchen klammerte sich an ihn und jammerte: »O bitte, bitte, Sir, bringen Sie mich über die Straße und zum Eingang der Jagdbehörde. Danach kann ich mir selbst weiterhelfen.«
Da begriff Marcello, was hier gespielt wurde. Behutsam löste er ihre Hände von seinem Nacken und trat zurück. »Ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte er. »Das wäre ungesetzlich. Sehen Sie, ich bin selbst Jagd-Spieler.«
Das schöne, blonde Mädchen (sie konnte nicht älter als 19 oder 20 sein, höchstens aber 28) sah, wie Marcello sich von ihr entfernte und erkannte, daß sie einsam und schutzlos mitten auf der breiten, sonnenbeschienenen Straße stand. Sie drehte sich um und rannte auf die Jagdbehörde zu.
Ein Maserati (jene Ausführung, die allgemein als Der Peiniger bekannt wart) schoß aus einer Seitenstraße hervor und brauste auf das Mädchen zu. Sie duckte sich wie ein Stierkämpfer, der einem Stier ausweicht. Aber dieser Stier hatte Scheibenbremsen, die nun heftig betätigt wurden und den Wagen quietschend und schleudernd vor dem Mädchen zum Stehen brachten. Ein grimmiger Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Mädchens. Aus ihrer Schultertasche zerrte sie eine klobige Maschinenpistole, entsicherte sie und feuerte eine Salve ab.